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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Worte rufen: Voici Garcia! und beeilte mich, den großen Mann von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

Ich hatte erwartet, daß die äußere Erscheinung dieses glücklichen Spielers einiges Interessante bieten würde; denn wilde große Leidenschaften verleihen doch gewöhnlich der Physiognomie ein eigenthümliches Gepräge; und wenn ein Mensch seine ganze geistige Thätigkeit auf einen Punkt concentrirt, und wenn er einen Kampf gegen die Maschine, welche zuletzt auch den härtesten Widerstand bezwingt und jedes Vermögen vernichtet, bereits eine geraume Zeit lang mit so großem Glücke besteht, daß selbst die Kraft dieser Maschine geschwächt erscheinen mochte: so konnte man wohl voraussetzen, daß in jenen Zügen irgend eine hervortretende Eigenthümlichkeit zu entdecken sein würde, etwa düstere Energie, oder kalter, durch nichts zu erschütternder Gleichmuth. Doch dieser Herr Garcia sah aus, wie hundert andere Spieler aussehen. Er war gekleidet wie ein Parvenü; er trug – in der Morgenzeit – ein gesticktes Hemd, wie die Hauptstutzer es gewöhnlich nur auf den Bällen tragen, und wo nur Brillanten anzubringen gewesen, da hatte er sie angebracht, an den Fingern, an der Uhrkettte, als Hemdknöpfe; ja selbst an seinem Rocke bemerkte ich ein kleines Diamantenkreuz, das ich im Anfang für einen Orden hielt, später aber ebenfalls nur als einen Phantasieschmuck erkannte. Er war von ebenso zahlreichem Gefolge umgeben, als jener obenerwähnte belgische Spieler; seine Begleiterin war eine Deutsche; ihre Schwester schien als Gesellschaftsdame zu fungiren. Das Benehmen dieses Herrn Garcia zeigte weder von Energie noch von kaltem Gleichmuthe. Er spielte zwar immer mit demselben Satze von 12,000 Franken und bewährte ziemlich viel Ruhe, so lange er gewann; als er aber zufällig gegen Ende einer Taille verlor – und zwar nur, was er vorher gewonnen – da wurde er eben so unwirsch, als irgend ein Handwerksmann es sein würde, der im Wirthshause seinen Wochenlohn verspielte. Er sprang vom Tische auf, schob seinen Stuhl so heftig weg, daß er den hinter ihm stehenden Zuschauer fast umstieß, und lief fort.

Bei Tische machte ich die Bekanntschaft eines französischen Rentiers, der viele Jahre Consul seines Vaterlandes in Südamerika gewesen war und das Leben nach allen Richtungen so sehr genossen hatte, daß ihm, dem eigenen Geständnisse zufolge, nur noch das Spiel eine Anregung bot. Er hielt sich alljährlich einige Zeit in den Bädern, vorzugsweise in Baden-Baden, auf, brachte eine gewisse Summe mit, die er fast regelmäßig am grünen Tische zurückließ, und amüsirte sich in seiner Weise. Er war ein sehr geistreicher Mann, der mit Menschen aller Gattungen viel verkehrt und zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte und über die Spielhöllen sehr klar dachte. Ganz offen sprach er sich dahin aus, daß Jeder, der noch irgend einer höhern Anregung zugänglich sei, und sich dem Spiele ergebe, unrettbar verloren sei, weil keine Leidenschaft den Menschen so ganz und gar zu jeder anderen Beschäftigung unfähig mache. Denn selbst die Trunkenheit, meinte er, steht über der Leidenschaft der Spieler; erstens kommt sie bei Menschen, die einige Erziehung genossen haben, nur in den seltensten Fällen vor; zweitens kann der Trunkenbold, wenn er kein Geld hat, nicht mehr in’s Weinhaus gehen, während dem unglücklichen Spieler der Eintritt in die Hölle noch unverwehrt ist, wo er noch immer die Massen Goldes vor seinen Augen hin- und herwogen sieht, und wo sein von Tantalus-Qualen gefolterter Geist nachdenken kann, wie er sich neue Mittel schaffen könne, um nochmals sein Glück zu versuchen.

Nach Tische begaben wir uns in die Spielsäle, und mein neuer Bekannter zeigte mir noch andere hervorragende Persönlichkeiten und unterrichtete mich über den Ursprung sowie über die Organisation dieser renommirten Hölle; und wie ich mich später nach genauern weitern Forschungen überzeugte, waren alle seine Mittheilungen durchaus wahrheitsgetreu.

Die Gründer des Spielhauses waren die Gebrüder Blanc, von denen nur noch einer am Leben ist. Bevor sie als die Directoren des sauberen Instituts auftraten, waren sie in Paris und andern Orten, wie z. B. Nizza, Monaco etc., übel berüchtigt als Leute, die kein Mittel zum Gewinn scheuten, und namentlich auch in Gesellschaftsspielen eine so eigenthümliche Geschicklichkeit entwickelten, daß sie zuletzt in keiner anständigen Gesellschaft mehr geduldet wurden und ihre Augen auf das jungfräuliche Deutschland warfen, das ihnen als ein neu zu bebauendes Terrain erschien. Sie entwarfen den Plan, in der Nähe von Frankfurt ein Spielhaus zu errichten, fanden einige Leute, denen dieser Plan ein gewinnverheißender schien, wie z. B. die beiden Gebrüder Teittler, und auch bald Gelegenheit zur Ausführung desselben. Der alte Landgraf von Hessen mochte wohl von dem Gedanken entzückt sein, daß seine Residenz, die bisher ein armseliges Dorf war, zu einem eleganten Badeorte umgewandelt würde, und daß er dafür nicht nur keinen Heller zu verausgaben brauchte, sondern vielmehr eine ganz schöne Summe jährlich in seine Tasche stecken konnte; er gab seine Einwilligung, und im Beginn der vierziger Jahre blühte schon Homburg in einer Weise, daß es alle Bäder Deutschlands – mit Ausnahme von Baden-Baden – verdunkelte.

Die Gebrüder Blanc waren aber auch die einzigen Spielunternehmer, die es verstanden, die damals noch weniger bekannten und benutzten Hebel der Verlockung in Bewegung zu setzen. Sie hatten ihre Studien in den nunmehr geschlossenen Pariser Spielhäusern gemacht, und wandten dieselben bei der Organisation der Homburger Hölle an; dabei führten sie aber auch Neuerungen ein, die ihrem erfinderischen Geiste alle Ehre machten und sie quasi als Genie erscheinen ließen. Sie hoben das refrait,[1] legten trente und quarante zuerst ganz auf und führten erst später das halbe refrait, ein, was bei dem Umstande, daß noch kein anderes „Etablissement“ sich zu dieser Concession verstehen wollte, alle Systemspieler bewog, nach Homburg zu wandern. Sie waren auch die Allerersten, welche Concerte auf Administrations-Unkosten veranstalteten und die Künstler bezahlten, während diese in anderen Ländern noch immer auf ihr eigenes Risico concertirten; daß die Gattung von Damen, mit welchen Müßiggänger und sonstiges elegantes Gesindel am liebsten umgeht, in Homburg die freundlichste Aufnahme fand, versteht sich von selbst.

Der große Aufschwung Homburgs datirt von der Zeit nach 1848. Das deutsche Parlament decretirte die Aufhebung der Spielbank, und der Homburger Cursaal wurde durch abgesandte Bundestruppen und Commissaire geschlossen. Die Mitgründer der Bank und Besitzer von Actien hielten sich für ruinirte Leute. Der geniale Blanc (der jetzt lebende) benutzte diesen Umstand zu seinem Vortheile. Er sah voraus, daß die Beschlüsse des deutschen Parlamentes von keiner nachhaltigen Wirkung sein würden; er sprach die denkwürdigen Worte: „Meine Bank wird länger dauern, als Euer Parlament,“ und kaufte fast alle Actien zu einem Spottpreise. So wurde er der Herr des Hauses, und ein Franzose Namens Minard und die Teittler’s nebst einigen ganz unbedeutenden kleinen Besitzern von Actien, die in Blanc’s Genie unbedingtes Vertrauen setzten und daher ihre Papiere behielten, blieben Mitunternehmer, begnügten sich aber mit der bescheidenen Rolle von Trabanten der großen Hauptplaneten. Und sie hatten Recht! Als die ersten großen Reden im Parlamente verhallt waren, versuchten die Homburger Bankhalter, das Geschäftchen, wenn auch nur verborgen und in kleinerem Maßstabe, wieder in Gang zu bringen, und siehe da! es gelang besser, als sie gedacht hatten; zu den eifrigsten Besuchern der geheimen, zuerst bei verschlossenen Thüren gehaltenen Sitzungen gehörten – einige hochgeborene Mitglieder des Parlamentes. Als das Jahr 1849 die bekannten Katastrophen herbeiführte, als zuletzt das Parlament sich auflöste und die Revolution in Baden den Spielort dieses Landes unzugänglich machte, öffnete Homburg seine gastlichen Hallen wieder und entfaltete sich glänzender denn je.

Seit der Errichtung des Eisenbahnnetzes, das nun Frankfurt mit allen großen Städten verbindet, ist die Organisation der Homburger Spielbank zu ihrer höchsten Vollendung gediehen. Da die Presse in neuester Zeit doch auch eine Macht, wenigstens in socialer Beziehung, geworden ist, so wurde ihr von Herrn Blanc eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Es ist eine ganz bekannte Thatsache, daß Hauptredacteure der einflußreichsten Localblätter Frankfurts mit der Bank auf sehr gutem Fuße stehen; die Indêpendance belge enthält unter ihren Annoncen immer eine, die fast den dritten Theil einer Seite dieses großen Blattes einnimmt, worin die vielen Vorzüge Homburgs gepriesen werden. Auch die österreichischen

großen Blätter enthalten seit einem Jahre solche Ankündigungen,

  1. Wenn die Karten für die schwarze wie für die rothe Farbe gleichmäßig einunddreißig Points zählen, so verlieren die Spieler beider Farben die Hälfte ihres Einsatzes; in Homburg, und in neuester Zeit auch in Wiesbaden und Nauheim, hat man den Spielern den „Vortheil“ eingeräumt, daß dieses refait nur gilt, wenn die letztfallende Karte eine schwarze – Trefle oder Pique – ist, sonst aber nur als ein nicht zählender Abzug betrachtet wird. Baden und Ems sind der alten Tradition getreu geblieben.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_219.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)