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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Lützow’schen Freischaaren, welche sie zum Kampfe begeisterte, die Freundin des Dichters Immermann, der an ihrer Seite seine schönsten Werke schuf, seine besten Lieder sang. Auch die Schwester des berühmten Neander, welche ihren Bruder mit der hingebendsten Aufopferung und Liebe durch das Leben leitete, ebenso gut, als geistreich und witzig, ist nicht mehr unter den Lebenden.

Aber auch die weite Ferne schickte von Zeit zu Zeit ihre besten Geister in das Varnhagen’sche Haus, das gastfrei jedem empfohlenen oder sich selbst empfehlenden Manne geöffnet war. Franzosen, Russen, Engländer und selbst Amerikaner kamen ab und zu und brachten manch neues, anregendes Element zu den schon vorhandenen hinzu. Unter ihnen befand sich, wenn ich nicht irre, der damals noch unbekannte Verfasser von Goethe’s Leben, Mr. Lewes, und seine Freundin Miß Elliot, welche durch ihren Roman „Adam Bede“ in jüngster Zeit ein so großes Aufsehen erregt hat, der liebenswürdige, geistreiche Fürst Pückler-Muskau, Fürst Hatzfeld mit seiner schönen, anmuthigen Gemahlin und deren Mutter, der Freundin Holtei’s, in deren Hause Laube einige Zeit als Hauslehrer gelebt hat, und die geniale Schröder-Devrient, welche hier oft ihre schönsten Lieder mit bezaubernder Kunst vortrug. Der Gast aber, der vor Allen mit Recht gefeiert wurde, war unser – Uhland, der größte deutsche Lyriker. Er war nach Berlin gekommen, um die Schätze der dortigen Bibliothek für seine literarhistorischen Studien zu benutzen. Als Jugendfreund Varnhagen’s ließ er sich an der Seite seiner trefflichen Gattin öfters in dem Kreise blicken, der ihm natürlich mit der größten und innigsten Verehrung entgegenkam. Die äußere Erscheinung Uhland’s verrieth nichts weniger als den großen Dichter, sie war unscheinbar wie das bescheidene Grau der Nachtigall, die ihre schönsten Lieder im Verborgenen singt und unter der prunklosen Hülle die Seele voll himmlischer Melodie und entzückender Poesie verbirgt. Aber das sinnige Auge, die reine Stirn und ein mildes Lächeln verriethen dem aufmerksamen Beobachter den Sänger unserer herrlichsten Lieder und Balladen. In größerer Gesellschaft sprach Uhland nur wenig, aber in vertrauter Unterhaltung mit Varnhagen schwand zuweilen seine bescheidene Zurückhaltung, und dann belebten sich seine Züge, leuchteten seine Augen, umschwebte ihn ein Abglanz der romantischen Jugendzeit. – Ich weiß nicht, ob es Zufall oder Absicht war, daß gerade zur Zeit seines Berliner Aufenthaltes die Intendanz sein Trauerspiel „Ernst von Schwaben“ einstudirte. Als davon in der Gesellschaft die Rede war, schüttelte der bescheidene Dichter mit eigenthümlichem Lächeln den Kopf und äußerte: „Das thut mir leid. Der Ernst von Schwaben ist nicht dramatisch, wie ich mich längst überzeugt habe.“

Man thäte sehr Unrecht, wenn man glaubte, daß in dem Varnhagen’schen Kreise ausschließlich gelehrte und literarische Interessen vorgeherrscht hätten oder gar der sogenannte ästhetische Berliner Ton angeschlagen worden sei. Im Ganzen kann man sich keine freiere, harmlosere Unterhaltung denken, in der Scherz und Ernst, tiefere Bemerkungen und pikante Anekdoten, bedeutende Worte und leichte Bonmots mit einander abwechselten. Da war kein Haschen nach geistreichen Phrasen und ästhetischen Urtheilen, kein gesuchtes Wesen, keine gemachte Bedeutsamkeit; man lachte, scherzte und überließ sich meist einer ungezwungenen Heiterkeit, obgleich auch der tiefe Ernst keineswegs ausgeschlossen war. Varnhagen selbst war der liebenswürdigste Gesellschafter, ein unübertrefflicher und unnachahmlicher Erzähler, an dessen Mund die ganze Gesellschaft hing. Besonders waren die anwesenden Frauen von seiner Unterhaltung entzückt, und selbst die jüngsten Mädchen schwärmten für den alten Herrn, der so anmuthig mit ihnen zu scherzen wußte, ohne im Mindesten seine Würde zu vergeben.

Im Verlaufe der Zeit war es mir gegönnt, Varnhagen näher zu treten und als sein Hausarzt, zu dem er mich später wählte, manchen Blick in sein eigenthümliches Wesen zu thun. Eigentlich behandelte sich Varnhagen, wenn er, wie dies häufig der Fall war, an seinem oft wiederkehrenden Brustkatarrhe litt, fast ganz allein, da er früher selbst Medicin studirt hatte, so daß ich eigentlich nur sein ärztlicher Beirath war und die von ihm verordneten Mittel entweder billigte oder verwarf. In dieser meiner Eigenschaft war ich auch Zeuge der wahrhaft rührenden Sorgfalt und Zärtlichkeit, womit Varnhagen seine und Rahel’s alte Dienerin, „die Dore“, während ihrer langandauernden Krankheit behandelte. Er selbst pflegte sie, reichte ihr die verordnete Arznei, und als die Gefahr dringender wurde, wich er weder bei Tag noch Nacht von ihrem Lager. Rührend und erschütternd war sein Schmerz über ihren Verlust, und auch mir wird der Augenblick unvergeßlich bleiben, als er der Sterbenden die Augen zudrückte mit dem Ausrufe: „Leb wohl, Du treue Seele!“ –

Solche Züge sprachen für das Herz Varnhagen’s und widerlegten hinlänglich den allgemein verbreiteten Irrthum von seiner Kälte und diplomatischen Gemessenheit. Wer ihm überhaupt näher stand, hatte im Gegentheil weit öfter über seine Leidenschaftlichkeit zu staunen, die er allerliebst in den meisten Fällen vollkommen zu beherrschen wußte, so daß er äußerlich ganz ruhig schien, während es in seinem Innern stürmte. Bei aller Besonnenheit war er von Natur ein entschiedener Sanguiniker, leicht bewegt, aber auch bald wieder beruhigt und abgekühlt. Dieses Temperament und ein gewisser, fast weiblicher Zug in seinem Charakter dürften zur Erklärung mancher Widersprüche und scheinbarer Räthsel in seinem Wesen dienen. Rahel’s männlicher Geist und große Seele hat vielleicht wider Willen mit dazubeigetragen, ihm eine derartige receptive und für die verschiedensten Eindrücke empfängliche Richtung zu geben. Trotz seiner großen Begabung war Varnhagen durchaus kein eigentlich produktiver und schöpferischer Schriftsteller, er hat kein irgend Epoche machendes Werk von ewiger Dauer hinterlassen, aber er war, wie es auch Frauen häufig zu sein pflegen, ein scharfer Beobachter der ihn umgebenden Personen und Zustände; er hatte ein feines Gefühl, einen sicheren Takt, einen stark entwickelten Sinn für Ordnung und war Meister des geglätteten, sorgfältig polirten Styls, der nur die männliche Kraft und Originalität hier und da vermissen läßt. Als Biograph, Verfasser von Denkwürdigkeiten wird er Wenige finden, die ihn übertreffen, indem er mit weiblicher Empfänglichkeit fremde Individualitäten und Zustände in sich aufzunehmen vermochte. Selbst seine zierliche Handschrift, die perlengleichen Züge, die meisterhaften Papierschnitzereien mit der Scheere, die sorgsame Aufbewahrung von Reliquien und oft unscheinbaren Kleinigkeiten verriethen eine gewisse Ähnlichkeit mit der weiblichen Natur. Mit bewunderungswürdiger Geduld und Geschicklichkeit schnitt er mit der Scheere die reizendsten Landschaften und Figurenbilder aus freier Hand in Papier aus, die von seinen Freunden als theure Angedenken aufbewahrt werden.

Auch in seinem Charakter offenbarte sich oft eine fast weibliche Reizbarkeit und Launenhaftigkeit, der überraschendste Wechsel der Gefühle und Empfindungen, heftige Sympathien und Antipathien, die eben so oft in ihr Gegentheil umschlugen und nur von kurzer Dauer waren, entschieden ausgesprochene Liebe und starker Haß, leichte Verletzbarkeit und Vorurtheile aller Art, aber daneben jene bezaubernde Liebenswürdigkeit, Hingebung und Feinheit der Empfindung, Mitleid und großmüthige Aufopferung, wie sie sonst nur dem schnell bewegten Herzen der Frauen eigen zu sein pflegt. Alle diese Eigenschaften finden sich auch in seinen so berühmt gewordenen „Tagebüchern“ wieder, die freilich keinen Anspruch auf eine große literarische Bedeutung machen können, aber für den zukünftigen Geschichtsschreiber von unschätzbarem Werthe sind.

Von jeher hatte Varnhagen die Gewohnheit, die wichtigsten und interessantesten Begebenheiten des Tages, Mittheilungen aller Art, Gespräche mit bedeutenden Personen auf kleine Quartblätter von starkem grauem Papiere aufzuschreiben. Diese Notizen wurden von ihm sorgfältig gesammelt, geordnet und in schwarzen Pappkasten bewahrt, die er in dem großen Wandschranke verschloß. Ebendaselbst lagen in alphabetischer Ordnung ein Schatz von Briefen und seltenen Autographen der berühmtesten Männer und Frauen seiner Zeit. Er sammelte, aber nicht wie gewöhnliche Raritätenkrämer, um diese oder jene Handschrift zu besitzen, sondern hauptsächlich solche Documente, welche ihm für die Literatur oder Zeitgeschichte von großer Wichtigkeit schienen. Im Laufe der Unterhaltung pflegte er dann, wenn ihm ein Name, ein Datum oder eine Person entfallen war, den Schrank zu öffnen und seine Cartons hervor zu langen. So groß aber war die Ordnung in diesen Papieren, daß er stets das Gewünschte fand. Auf diese Weise sind jene „Tagebücher“ entstanden, welche bei ihrem Erscheinen eine so große Sensation erregten; es sind eben nur lose Blätter, flüchtige Bemerkungen und Notizen, wie sie Jedermann niederschreiben zu können glaubt. Bei näherer Prüfung wird man freilich den historischen Geist Varnhagen’s auch hier erkennen, indem er das Wesentliche von dem Unwesentlichen, das Bleibende von dem Vergänglichen zu sondern wußte und nur solche Thatsachen verzeichnete, welche einen

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