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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

schloß: „Ich fürchte nichts für die Zukunft der Musik von der Musik der Zukunft!“ – Zum Schlusse sang die ganze Gesellschaft noch auf unsern Wunsch die Garibaldihymne, deren Anfang: All’ arme! all’ arme! (Zu den Waffen!)

Als wir spät Nachts nach Hause gingen, ertönte noch von einer Barke her der zweistimmige Gesang heimkehrender Schiffer zu uns herüber. Ich kannte die Melodie; es war dieselbe, die ich vor drei Jahren manche Nacht am andern Ufer auf der Terrasse der Majolica vernommen hatte. Mir ward ganz heimisch dabei zu Muthe!

Den 15. September.

Gestern habe ich eine sehr interessante Bekanntschaft gemacht. Als wir von einem Frühspaziergange nach der Höhe, auf welcher die alte Herrenburg von Varenna liegt, zurückkehrten, fanden wir in dem Frühstückssalon unseres Gasthauses ein hellloderndes Kaminfeuer und an demselben sitzend ein schönes junges Paar, das die Nacht durch mit einem Vetturin von Lecco hergefahren war und sich von der Morgenkälte der Fahrt an dem behaglichen Feuer aufwärmte.

„Es ist nicht für mich, sondern für meine Frau,“ – sagte nach einigen Gesprächsworten, gleichsam entschuldigend, der schöne stattliche junge Mann, den ich an seinem ganzen Aussehen und an dem neben ihm stehenden Malerportefeuille als einen Künstler zu erkennen glaubte, – „denn ich bin der Kälte und Nachtfahrten schon anders gewohnt, sondern für meine Signora hier, die heute zum ersten Male eine solche Nachtfahrt gemacht hat.“ In diesem Augenblicke brachte uns der Barcarol der Signora Venini eine Aufforderung derselben zu einer am Nachmittage zu unternehmenden Fahrt über den See nach Menaggio zu der Villa des ihr befreundeten Marchese d’Azeglio, die wir zu sehen gewünscht hatten. Bei der Nennung des Namens Venini bemerkte der Fremde, daß er gleichfalls die Familie kenne, und daß er gekommen sei, um das Grab eines geliebten Freundes zu besuchen, der in ihrer Villa begraben sei. So gab ein Wort das andere, und es fand sich, daß er der Maler Girolamo Induno aus Mailand, Bruder des Malers Domenico Induno sei, daß ich beider Brüder Arbeiten vor sechs Jahren auf der großen Welt-Kunstausstellung zu Paris gesehen hatte,[1] und ihm den Inhalt derselben angeben konnte. Der Freund aber, zu dessen Grabe er pilgerte, war eben jener unglückliche, von den Oesterreichern in Mailand erschossene Doctor Ginami, von dessen tragischem Geschicke ich vorher erzählt habe. –

Girolamo Induno ist ein Lombarde der besten Art, einer von denjenigen, die in ihrer gesetzten Ruhe und Einfachheit einen Zug deutschen Wesens und Charakters haben. Wir näherten uns einander mit jener Schnelligkeit, wie sie nur die Gunst des Reiselebens und jener Zauber plötzlich entdeckter gegenseitiger Beziehungen möglich macht, der bei solchem durch die Gunst des Zufalls herbeigeführten Begegnen in der Fremde sich doppelt wirksam erweist. Er mochte ungefähr im Anfange der Dreißig stehen. Kräftig gebaut, über Mittelgröße, breitbrüstig, ein Ausdruck milden Ernstes in den Zügen des wohlgeformten, nachdenklichen, von dunkelbraunem Barte eingefaßten Gesichts, von höchster Einfachheit in Sprache und Benehmen, und von einer überaus ansprechenden verläßlichen Treuherzigkeit des ganzen Wesens, die aus seinen dunkelbraunen Augen leuchtete, – der Eindruck des Ganzen halb Künstler, halb Soldat. Und Soldat ist er gewesen, ein Soldat der Freiheit seines Landes, von seinem neunzehnten Jahre an, wo er im Jahre 1848 zu Garibaldi’s Fahnen eilte und in Welschtyrol und 1849 in der ewig denkwürdigen Vertheidigung Roms unter dem großen Volkshelden kämpfte. Im Jahre 1855 machte er den Krimfeldzug als Künstler mit, und malte dann wieder bis zum Jahre 1859, wo der zu seiner Staffelei zurückgekehrte Künstler Pinsel und Palette wieder zur Seite warf und auf’s Neue die Büchse ergriff, um dem Rufe des geliebten Führers zu folgen. Aus dell’ Ungaro’s Buche la difesa di Roma wußte ich, daß der Künstler und wie tapfer er in Rom gekämpft hatte. Von ihm selbst erfuhr ich einiges Nähere über seine wunderbare Errettung bei dem blutigen Strauße, der um die Villa Corsini gegen die Franzosen zu Anfange der Belagerung gestritten ward.

Er war mit einem Cameraden in einem Eckzimmer der weitläufigen Villa postirt gewesen, als die Franzosen die schwachbesetzte Villa überfielen. Sein Camerad ward neben ihm am Fenster feuernd erschossen; er selbst überhörte das Rückzugssignal und sah sich wenige Minuten später abgeschnitten und im Versuche, sich durchzuschlagen, von einem Trupp eindringender Franzosen zurückgeworfen, die ihn, als er sich nicht ergeben wollte, von mehreren Kugeln und von nicht weniger als einundzwanzig Bajonnetstichen an Armen, Brust und Schenkeln verwundet, für todt zurückließen. Als er erwachte, fand er sich im Garten liegend am Fuße der hohen Terrassenmauer, auf der er zuletzt gestanden zu haben sich erinnerte. Ob er herunter gefallen oder von den Feinden herunter geworfen sei, wußte er selbst nicht mehr. Von Blutverlust erschöpft, schleppte er sich in stundenlanger Anstrengung unter dem Schutze der eingebrochenen Dunkelheit, auf allen Vieren kriechend, zu den Seinen zurück, wo seine Wunden untersucht und keine derselben tödtlich erfunden wurde. Nach einigen Wochen konnte er wieder in den Dienst eintreten.

Von Garibaldi sprach er nur in den Ausdrücken der tiefsten Verehrung. Er habe „den Muth eines Löwen und das Herz eines Kindes.“ „Kein Feind kann ihn täuschen, aber er wird leicht die Beute eines Jeden, der ihm unter der Maske der Freundschaft und der Liebe zum Vaterlande naht, und dem er einmal sein Vertrauen geschenkt hat. Seine Affaire mit der Marchese Raimondi ist ein trauriger Beweis davon!“ Ich fragte, ob er mir über diese vielbesprochene Geschichte etwas Näheres mittheilen könne, und erfuhr von ihm, der die Sache in nächster Nähe miterlebt hatte, Folgendes:

Der Besitzer der größten aller Villen am untern Comersee, Marchese Raimondi, hatte eine Tochter von großer Schönheit, die sich durch ihre Exaltation für die italienische Sache im Jahre 1859 und durch ihre zur Schau getragene Begeisterung für den populärsten aller italienischen Volkshelden auszeichnete. Als Garibaldi mit seinen Schaaren beim Beginne des italienischen Feldzuges in den Gebirgen zwischen dem Lago maggiore und dem Comersee operirte, gelang es ihr, demselben persönlich nahe zu kommen, indem sie ihm einige Male, nicht ohne eigene Gefahr, Nachrichten über die Stellungen, die Stärke und die Absichten der gegen ihn ausgesandten österreichischen Abtheilungen selbst überbrachte. Ihre patriotische Hingebung, die Kühnheit, mit der die schöne Amazone den Gefahren Trotz bot, die begeisterte Verehrung, mit der das schöne Weib ihm huldigte, machten Eindruck auf Garibaldi, der ihr um so unbedingter vertraute, als die Kundschaften, die sie ihm brachte, ihm nicht unwesentliche Dienste geleistet und ihn und die Seinen einmal sogar vor einer großen Gefahr bewahrt hatten. Die Donna ihrerseits hatte es gar kein Hehl, daß sie für den Helden von glühender Leidenschaft entbrannt sei, daß sie das Leben nicht ertragen könne, wenn er nicht der Ihrige werde. Sie wußte es dahin zu bringen, daß der General am Ende des Feldzugs eine Zeit lang sein Quartier in dem Schlosse ihres Vaters, der ehemaligen Villa Odescalchi, unweit Como nahm, und hier vollendete sie die Eroberung des Helden. Garibaldi war 52 Jahr, sie weit über die Hälfte jünger; aber der Gedanke, daß ein begeistertes Mädchen, ein Tochter Italiens, kein größeres Glück kenne, als sich ganz dem geliebten Helden ihres Vaterlandes zu weihen, ihm seine letzten Lebensjahre durch ihre Liebe zu verschönern, hatte an sich nichts Unglaubliches oder auch nur Auffallendes. Und Donna Teresa war schön, für den Mann ihres Herzens ebenso wie für die Sache Italiens bis zum Fanatismus begeistert, und Garibaldi’s Herz war jung und glaubensvoll. Seine geliebte Anita war seit zehn Jahren todt, seine Tochter und sein Sohn Menotti waren erwachsen, und Donna Teresa schien ganz dazu geeignet, ihm die Lücke in seinem Dasein auszufüllen, die der Tod seines geliebten Weibes, die alle seine Schicksale und Gefahren bis zum letzten Hauche kühn und treu getheilt hatte, in sein Leben gerissen. Dennoch schwankte er längere Zeit; „es schien ihm eine Untreue gegen das Gedächtniß seiner Anita,“ wie er gegen seine Vertrautesten äußerte, „eine Andere an ihre Stelle treten zu lassen,“ und nur die Ueberzeugung, welche die junge Marchese in ihm zu erregen wußte, daß sie es nicht überleben werde, sich von ihm verschmäht zu sehen, gab endlich bei ihm den Ausschlag. Einige anonyme schriftliche Warnungen, welche er erhielt, die das Betragen der Marchese klug berechnete Verstellung nannten, verschmähte er in der Geradheit seines vertrauenden Sinnes. So ward der unwiderrufliche Bund geschlossen. Kaum eine Stunde nach der Ceremonie der Trauung aber traf ihn der vernichtende Schlag. Ein Cavalier aus Bergamo, der herbeigeeilt war, um ihn vor dieser Verbindung

  1. Man sehe: „Nach fünf Jahren“. Pariser Studien auf der großen allgemeinen Kunstausstellung des Jahres 1855 von Ad. Stahr, Rh. I. S. 114.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_191.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)