verschiedene: Die Gartenlaube (1862) | |
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Richtung der erst diffusen Töne unterscheidbar. – Mit gewaltigen
Hammerschlägen gegen die Felswand sucht man sich nach oben
kund zu geben. – Jetzt beginnt es auch von Osten her nagend
zu bröckeln – die Arbeit im Stollen wird hörbar – die Hoffnung
steigt und die Todesangst beginnt fieberischer, verzehrender
Spannung Raum zu geben. – Beim Abendgottesdienste mischt
sich schon Lauschen auf den Ton der irdischen Rettung in die Erhebung
zum himmlischen Erlöser. – Und die Hoffnungsreichen
lassen sich durch das Geknirsch der Gnomenarbeit in einige Stunden
unruhigen Schlummers wiegen.
Weit und breit hatte während des Sonntags das Elbthal
geschwiegen! Keine Musik, kein Tanz in den lebenslustigen Städtchen
ringsumher. Wer hätte jubeln mögen während der Todesqual
der Brüder! Aber hinausgeströmt war die Menge, für die
wackeren Arbeiter Erquickungen mit sich führend, und umstand das
gewaltige Felsengrab schweigend – die Nacht unterbrach die Arbeiten
nicht. Bänke wurden durchsetzt, Leitern in Klüfte gesenkt,
immer neue nach unten gehende Spalten zeigten sich, die, schnell
erweitert, den Weg förderten. Mehr als einmal trieb es freilich
auch den Allermuthigsten aus dem furchtbaren Schlotte, in dem
sie weilten, wenn das Gestein, das sie berührten, knackte und
knirschte, aber kaum schwieg der grauenhafte Ton, waren sie wieder
in der Tiefe, bei der Arbeit. Auf den luftigen Höhen des berühmten
Basteifelsens steht ein Sprachrohr, mit dem der Reisende
dem auf sonniger, ferner Höhe stehenden Genossen einen Jubelruf
zuzutönen pflegt; das war herbeigeschafft worden, um Menschenlaute
hier in das Grab hinab dringen zu lassen. Als sich beim
Wegräumen einer Schuttmasse ein tief hineingehender Spalt zeigte,
setzt es Richter an den Mund und hinab dröhnt’s: „Lebt Ihr?“
Und sie hören es drunten, die lebendig Begrabenen – die Menschenstimme
von draußen, und fallen auf die Kniee und schreien
wie aus einem Munde: „Ja, wir leben Alle!“ Aber das Geräusch
da draußen verschlingt den leisen Ton aus der Tiefe. – Vierzig
Stunden unablässig hatten die schlichten, tapfern, wackeren Retter
gewirkt, da erreichte der Schacht die 16 Ellen dicke, massive Platte,
die das Grab der Verschütteten deckt, und ein gütiger Gott hatte
Meißel, Brecheisen und Spaten gelenkt, der Schacht traf genau die Kante
der ungeheuren Steinmasse, so daß man sie nicht zu durchbrechen
brauchte, sondern in einer Kluft leicht an ihrer Seite hinab gelangte.
Plötzlich hörten die Eingeschlossenen die Arbeitstöne nicht mehr über sich, sondern deutlich stromwärts, fast in gleicher Höhe mit der Höhle, in genau zu bestimmender Richtung. „Jetzt drauf und dran, Freunde!“ rief Linke „kaum zwanzig Ellen von uns, da drüben müssen sie schon sein! Die letzten Kräfte zusammengenommen! Wir wollen ihnen entgegen.“ Und der Knabe schleißt Spähne und hält sie in Brand, und unter der Felsplatte hin wühlen die Leute emsig den Schutt weg, den draußen Arbeitenden entgegen.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_172.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)