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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Dänenthume begonnen. Hier wiederholt sich nur die Geschichte der vertriebenen Prediger auf den: Festlande – wenn …“

„Ja, wenn man nicht ein Renegat an der Nationalität und Freiheit seines Landes werden und in das Lager der Dänen überlaufen will,“ unterbrach ihn mein Freund; „ich weiß, auf Föhr hat man schon vollständig aufgeräumt, und die Pastoren und Beamten, welche sich nicht zur Danisirung der Insel hergeben wollten, in’s Elend gejagt. Aber man sagte mir doch“ fügte er lachend hinzu, „Sie hätten einen Fehler gemacht, Sie hätten den Danebrog einmal nicht zu rechter Zeit aufziehen lassen, oder sonst so Etwas.“

In den blauen Augen des Pastors erschien wieder jener Blick des Ernstes und der Wehmuth. „Das sind so Dinge, die man sich im Lande umher erzählt, weil man nach einem Grunde meiner Verbannung sucht und ihn nicht finden kann. Niemals habe ich einen Fehler gemacht. Ich erhielt plötzlich ein Decret der dänischen Regierung, daß ich meines Pastorats in Silt entsetzt sei und mich binnen vierzehn Tagen hierher zu begeben habe. In dem Decret war gar kein Grund für ein solches Verfahren angegeben. Mir ist der Grund aber recht wohl bekannt. Auch kennt ihn auf Silt Jedermann. Ich that, was meine Pflicht war. Ich widersetzte mich den Danisirungsversuchen in der Communalverwaltung, in der Kirche und in der Schule. Da schickte man mich fort, um mich zu bestrafen und um meine Wirksamkeit zu brechen.“

„Ja, ja,“ rief mein Freund lachend, „das ist der Mythus, der im Laude umhergeht. Als meine Regierung mich absetzte, da flüsterten sich die Leute in die Ohren, ich sei nicht streng genug gegen die Wilddiebe verfahren.“

„Und Ihre Pfarre, Herr Pastor? Nun, ich kann mir das Weitere denken. Ein Däne hat sie bekommen, der mit Minister Monrad in Kopenhagen in dasselbe Horn bläst. Mein Freund kennt die dänischen Prediger auf dem Festlande, welche die Stellen der braven Pastoren eingenommen haben, die man in’s Elend jagte. Er hat mir wunderbare Dinge davon erzählt.“

„Der neue Pfarrer auf Silt ist ein ganz unbedeutender Mensch; er wird Alles thun, was man in Kopenhagen verlangt.“

„Ist Ihre Stelle hier schlecht auf Oland, Herr ,Pastor?“ fragte ich.

„Sie ist mit einem Gehalt von einigen hundert Thalern dotirt,“ erwiderte er lächelnd. „Doch darauf kommt es nicht an. Aber meine Frau und meine Kinder leben fortwährend in einer entsetzlichen Angst vor diesen Fluthen, welche täglich die Insel überströmen. Noch ist das ja nicht gefährlich. Aber der Herbst und der Winter werden mit ihren Nordweststürmen und mit den großen Springfluthen kommen. Sie wissen ja, die ganze Nordseeinselkette ist dem allmählichen Untergänge geweiht. Und da wird Oland zuerst in die Tiefe des Meeres hinabgerissen. Alle fünfzig Jahre kehren die großen Springfluthen wieder. Bald ist das halbe Jahrhundert wieder um. Olands Tage sind gezählt, und mit ihnen die unsrigen. Vielleicht schon eine Decembernacht im kommenden Winter! Doch, wie Gott der Herr es will! Aber meine Frau, meine armen Kinder werden gleich von der Wiese kommen. Sprechen wir dann nicht mehr davon.“

„Aber weshalb sind Sie nicht auf das Festland gegangen, Herr Pastor? warum kamen Sie nicht nach Deutschland? Es haben viele von den vertriebenen schleswigschen Predigern bei uns Brod und Arbeit gefunden.“

Da erhob sich der Prediger von seinem Sessel. Hoch richtete er sich auf. Seine blonden Locken berührten beinahe die Decke des niedrigen, ärmlichen Gemachs. Seine blauen Augen strahlten; die harten Züge seines charakteristischen Gesichts überflog ein Schimmer hoher, geistiger Verklärung. Er sah us, wie einer jener Apostel des Christenthums, welche erhobenen Hauptes und mit blitzenden Augen im Colosseum zu Rom den Sprung des Löwen erwarteten, welcher bereits an dem Eisengitter seines Käfigs tobte.

„Warum nicht?“ sagte er mit fester und sonorer Stimme. „Ich besitze hinreichendes Talent und genügende Kenntnisse, um in Deutschland den Lebensunterhalt für mich und meine Familie erwerben zu können. Aber ein braver Soldat kämpft auf seinem Posten weiter und stirbt – selbst wenn der Posten ein Verlorner ist. Ich bleibe hier und, wenn es sein muß, sterbe ich mit Oland in den Wellen.“

Stumm blickten wir den Mann an. Wieder dachte ich an die Märtyrer des Christenthums auf dem blutigen Sande des Colosseums. Die Nachmittagssonne blickte durch die kleinen Fenster in die ärmliche Stube, und wob um die blonden Locken des Priesters eine strahlende Aureole. Mein leidenschaftlicher Freund sprang auf, reichte ihm die Hand und erging sich in heftigen Ausrufen gegen die hirnverrückte Partei in Kopenhagen, welche in wirklich toller Weise im Lande regiere, und gegen Deutschland, welches sich eine so tolle Wirthschaft auf eigenem Grund und Boden von einem halben Dutzend verrückter Schulmeister gefallen lasse. Vor meinem geistigen Auge erschien das Bild eines andern Mannes, der kürzlich in Schleswig dieselben Worte zu mir sprach: „Das Bestreben der Dänen geht seit zehn Jahren dahin, die Intelligenz aus dem Lande zu treiben; denn sie wissen, daß der Widerstand gegen ihre Danisirungsversuche in der Intelligenz sich verkörpert. Deshalb verbannten sie auf einmal allein in der Stadt Schleswig 68 den ersten und intelligentesten Ständen angehörige Familien. Mit dem kleinen Bürger und dem Bauer, denken sie, wollen wir allein schon fertig werden. Darum ist es Ehrensache, hier zu bleiben, und so lange im Kampfe mit diesem Gesindel von Beamten und Polizisten auszuhalten, wie es irgend angeht. Auch ich verlasse deshalb das Land nicht.“ So sprach jener Mann in Schleswig. Sein Haar ist grau geworden, das Gesindel hat sein Vermögen und seine ganze bürgerliche Stellung ruinirt. Vielleicht hat kein Mensch in Schleswig so viel von den fortwährend angewandten kleinlichen Tracasserien, von den feigen und heimtückischen Streichen, in denen die dänischen Polizisten und Beamten so zähe und so unerschöpflich sind, zu leiden gehabt, wie dieser Mann. Aber standhaft und muthig hat er ausgehalten auf seinem Posten im Kämpfe mit dem Dänenthnm. Dahier wird man in der traurigen Geschichte des unglücklichen Landes seinen Namen immer mit Hochachtung und Verehrung nennen. An diesen Mann dachte ich, als die Nachmittagssonne durch die kleinen Fenster blickte und um die blonden Locken des Pastors die goldene Aureole zeichnete.

Da öffnete sich die Thüre, und herein trat die Gattin des Pastors. Ihr voran stürzten die Kinder, zwei hübsche blonde Mädchen und ein kräftiger Knabe, sämmtlich in dem Alter von zehn bis fünfzehn Jahren. Sie sprangen auf den Vater zu, kletterten an ihm hinauf und umarmten und küßten ihn. Der Pastor stellte uns seiner Gemahlin vor. Sie gehörte einer der vornehmsten dänischen Familien an, und ich sprach mit ihr von ihrer Cousine, deren Verlobung mit einem unserer berühmtesten Aerzte ich kürzlich gelesen hatte. Dann kam das Gespräch, wie von selbst und wie immer in Schleswig, auf die Zustände oder, wie man dort zu sagen pflegt, auf „das Unglück im Lande“. Jedes lebendige Wesen von den windumrauschten Inseln der Nordsee bis zu den mit Eichen- und Buchenwäldern gekrönten Küsten des Ostens sprach mit mir von „dem Unglück im Lande“, der Kutscher, der mich in dem hochrädrigen holsteiner Wagen fuhr, der Schiffer, der mich durch den „Schlick“ auf seinen Schultern aus dem leichten Schooner auf die weißen Dünen von Ameram trug, der Edelmann im mit Marmor und Bildwerk geschmückten Saale seines alterthümlichen Schlosses in Angeln, der Bauer, dem ich auf der Landstraße begegnete, der Flensburger Holzhändler, mit dem ich auf das Deck des Dampfschiffes stieg, um nach Kopenhagen zu fahren, die Kinder, wenn sie aus der Schule kamen und Unterricht in der dänischen Sprache gehabt hatten, das Hausmädchen, welches mir Morgens im Wirthshause den Kaffee brachte. Ich konnte es zuweilen nicht mehr aushalten, und als zwei junge Damen aus Kiel mich während eines Concerts unter den schattigen Buchen von Düsternbrock auch vom Unglück im Lande unterhielten, da entfloh ich auf drei Tage nach Hamburg – um dann dieselbe Unterhaltung in dem Staatszimmer eines Hofbesitzers in Angeln auf’s Neue zu beginnen. Das Leid ist zu groß in Schleswig. Die Presse, welche übrigens auch nur aus einigen unbedeutenden Wochenblättern besteht, hat einen Knebel im Munde, der ihr jedes Wort unmöglich macht. Der Unglückliche findet einen Trost darin, wenn er sein Leid klagen kann. So sprach auch die Frau des Märtyrers von Oland von dem Unglück im Lande.

Am meisten fürchtete sie sich vor dem Aufenthalt auf der armseligen Insel während der stürmischen Wintermonate. Sie war erst seit wenigen Wochen mit den Kindern auf der Hallig. Der allerdings sehr starke Contrast mit Silt war ihr noch zu neu. Silt ist durch mächtige Dünen vor den Wellen des Meeres geschützt, und ist eine große, mehrere Meilen lange Insel. Um den ganzen Strand von Oland kann man in einer starken Viertelstunde gehen, und bei einer heftigen Fluth bespülen die Wellen die Schwelle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_169.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)