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mußte. Geradezu geschickbestimmend für ihn aber ward es, daß er durch Lavater in das Haus des Waagmeisters Rahn eingeführt wurde. Rahn hatte Klopstock’s Schwester Johanna geheirathet und von dieser im Jahr 1758 eine Tochter erhalten, Johanna Maria, welche Fichte’s Gattin werden sollte – eine jener Gelehrten-Frauen, nicht gelehrten Frauen, wie sie zum Glück in den Lebensgeschichten deutscher Geisteshelden nicht selten vorkommen. Wieland, Voß, Schiller, Jean Paul, Fichte erfuhren die ganze Segensfülle solcher Hausfräulichkeit, während ein gut Theil von der geistigen Verlotterung, um nicht zu sagen Verluderung der Romantiker, wie ich glaube, auf Rechnung ihres sehr zweideutigen oder vielmehr sehr unzweideutig frivolen Verhältnisses zu den Frauen zu setzen sein dürfte. Man weiß ja, wie die Herren Schlegel, Schelling, Werner, Brentano zu den Weibern – ich vermeide absichtlich den Ausdruck Frauen – sich stellten, und gewiß heißt auch die Wurzel von gar vielem Unerquicklichen in Goethe’s späterem Leben Christiane Vulpius … Fichte’s Herzensbund mit Johanna Maria Rahn war nicht das Resultat leidenschaftlicher Erregung. „Beide“ – erzählt Fichte’s Sohn – „schon in einem Alter, wo leidenschaftliche Verblendung ernste Gemüther nicht mehr täuscht und verwirrt, gründeten ein Verhältniß, das, durch genauere Kenntniß und innigere Achtung immer tiefer sich befestigend, endlich für das ganze Leben geschlossen wurde.“

Fichte’s Geburtshaus in Rammenau in der Oberlausitz.

Zu Ostern 1790 löste Fichte sein Verhältniß zu Herrn Ott; er war der Hauslehrerei gründlich überdrüssig geworden, gerieth aber auf den bei seiner ganzen Charakteranlage höchst sonderbaren Gedanken, eine Stelle als Prinzenerzieher oder als Vorleser bei Hofe zu suchen. Daß sein wahrer Beruf der eines akademischen Lehrers sei, scheint er damals noch gar nicht geahnt zu haben. Außerdem gehörte es ja zu den Lieblingstendenzen der Epoche, durch persönliche Einwirkung auf die vornehmen Kreise den zeitbewegenden Ideen Bahn zu brechen. Die guten, idealgläubigen Menschen von damals! Sie wußten noch nicht, daß es eine sociale Grenzlinie giebt, wo die Wirksamkeit der Ideen überhaupt aufhört.

Ueber Stuttgart und Frankfurt in sein Heimathland Sachsen zurückgegangen, schrieb Fichte im Mai 1790 von Leipzig aus an Lavater, daß seine vorhin erwähnten Pläne keine Aussicht auf Verwirklichung hätten und er sich daher mit schriftstellerischen Arbeiten werde durchzubringen versuchen müssen. Eine traurige Aussicht, zumal Fichte eine eigentlich productive Natur niemals gewesen ist! Sein Talent war ein sprödes, brüchiges; er arbeitete sehr langsam und ruckweise, es wäre denn, daß, wie mitunter geschah, die mächtig in ihm arbeitenden Gedanken in einer plötzlichen Eruption sich entluden. Wie arm er damals war, erkennt man, wenn er sich bei seiner Braut entschuldigt, daß er jetzt nicht die Mittel habe, sein ihr versprochenes Portrait machen zu lassen. Er mußte sich sein kärgliches Brod durch Privatunterricht erwerben, den er Studenten ertheilte. Einem gab er Lectionen über die Kantische Philosophie, und „dies war“ – schreibt er an seine Braut – „die Gelegenheit, die mich zum Studium derselben veranlaßte.“ Mit diesem Studium hatte Fichte’s Leben erst seinen wahren geistigen Inhalt bekommen. An der Philosophie des großen Weisen von Königsberg bildete seine eigene sich empor, die consequenteste Gestaltung des deutschen Idealismus, die kühnste Manifestation des germanischen Princips der freien Persönlichkeit, aber zugleich auch die strengste Concentration der Forderungen germanischer Sittlichkeit. Fichte’s Philosophie war, um das gleich hier zu sagen, eine Parallele, eine Ergänzung zu Schiller’s Poesie. Beide lehrten und forderten die Freiheit des Individuums, aber Beide forderten und förderten auch die Fortbildung der Deutschen von freien Menschen zu freien Staatsbürgern.

Im Frühling von 1791 war Fichte entschlossen, nach Zürich zurückzugehen, um sich mit seiner Verlobten zu verbinden. Allein wie bisher so ziemlich alle seine Pläne, scheiterte auch dieser, und zwar an dem Umstand, daß Johanna’s Vater gerade damals sein Vermögen durch den Bankerott eines Bankierhauses verlor. Erst später konnte ein Theil desselben gerettet oder wiedererlangt werden. So reiste denn Fichte zu Ende Aprils nicht südwärts, sondern ostwärts, um eine ihm angebotene Erzieherstelle im Hause des Grafen v. P. zu Warschau anzutreten. Unterwegs hatte er zu Bischofswerda eine Zusammenkunft mit seinem Vater, und es charakterisirt ihn vortrefflich und schön, wenn er in sein Reisetagebuch schrieb: „Der gute, brave, herzliche Vater! Mache mich, Gott, zu einem so guten, ehrlichen, rechtschaffenen Mann und nimm mir alle meine Weisheit, und ich habe immer gewonnen.“ Dies Reisetagebuch ist übrigens sehr interessant, voll Anschaulichkeit und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_157.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)