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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

zärtliche Angst um die Gefahr, welcher ihr Gatte sich fast alltäglich auszusetzen hatte, nahmen Veronika den heitern Gleichmuth und den Frohsinn, welche Graf Joseph an ihr geliebt hatte und auf die er bei seinem Weibe nicht verzichten wollte.

Sie waren noch nicht lange in Frankreichs Hauptstadt gewesen, als Veronika zu ahnen begann, was ihr hier persönlich drohe. Aus der Aufregung durch das öffentliche Leben, aus der Ueberreizung in einer Gesellschaft, die sich verwegen zur Sorglosigkeit und zum Genusse aufstachelte, kehrte der Graf zu einer Frau zurück, die sich nicht zur Freude zu zwingen vermochte, und dieser Abstand war ihm peinlich. Er beklagte es, daß Veronika nicht den Sinn der Jugend, nicht die heitere Leichtlebigkeit der beweglichen Französin besitze; er nöthigte sie, ihre Säle zu öffnen, Gesellschaft zu sehen, um, so viel es dem einzelnen Edelmann möglich war, die Sicherheit kund zu geben, von der die Aristokratie sich noch immer getragen fühlte; und bereitwillig, wenn auch schweren Herzens, hatte Veronika sich dem Willen ihres Gatten gefügt, als die dreiste Gesellschaft der Marquise jene Scene herbeiführte, welche der Gräfin den Rest ihrer Zuversicht und ihres Friedens rauben sollte.

Freilich hatte der erste Eindruck den Erwartungen der Marquise nicht völlig ensprochen, denn ihr Auftreten hatte den Grafen beleidigt, und er hatte noch Liebe genug für seine Gattin gehabt, um in ihrer Seele zu empfinden und Schonung für sie zu verlangen. Auch hatte er sie zu beruhigen gestrebt, er hatte Franziska’s rücksichtslose Selbstsucht, wie ihren Mangel an weiblicher Würde getadelt und sich freiwillig bereit erklärt, sie zu vermeiden; aber trotz seiner Einsicht und seiner Zugeständnisse regte sich eine Stimme in ihm, welche für Franziska sprach. Es hatte ihn ergriffen, wieder einmal die Sprache der Leidenschaft zu vernehmen, an die sie ihn gewöhnt, und alle die wechselnden Scenen des Vorwurfs, des Streites und der Versöhnung, welche er mit ihr durchlebt, waren ihm plötzlich in einer einzigen Empfindung gegenwärtig geworden und hatten ihn auf’s Neue an die Vergangenheit gekettet, von der er sich für immer losgerissen geglaubt hatte. Er bedauerte das Leiden Veronika’s, er hätte lebhaft gewünscht, daß es ihr erspart geblieben wäre; und doch that es ihm heimlich wohl, daß sie eine Vorstellung von jener feurigen Leidenschaft erhalten, welche ihr nach seiner Meinung fehlte, und welche die Marquise besitzen sollte.

Von jenem Tage an war Veronika’s Frieden für immer gestört. Mit dem klaren Auge der Unschuld durchschaute sie Franziska’s absichtliches Spiel, aber sie verstand es nicht, sich dagegen zu schützen, und hätte sie den Kampf mit ihrer Nebenbuhlerin aufnehmen mögen, ihr hätten die Waffen gefehlt, derselben zu begegnen.

Die Dienstverhältnisse des Grafen und der Marquise brachten es mit sich, daß sie einander am Hofe oft begegnen mußten; und daß Franziska es durchsetzen werde, den Grafen auch im Besondern zu sehen, davon hielt die Gräfin sich überzeugt. Indeß ihr Herz war jung und kräftig, sie mochte nicht verzagen, sie konnte nicht aufhören zu lieben und zu hoffen, und mitten in ihrem Kummer tröstete sie sich doch wieder mit dem Gedanken, daß ein Mann, der seinem Könige die Treue heilig bewahre, auch seinem Weibe nicht verloren gehen könne. Bald wollte sie dem Grafen ihre Besorgnisse mittheilen, bald schreckte sie davor als vor einer Beleidigung gegen ihn und gegen die Heiligkeit ihrer Ehe zurück. Sie wollte es nicht glauben, daß man sich von dem Unwürdigen anziehen und fesseln lassen könne, wenn man es einmal als ein solches erkannt, und der Graf selbst hatte ihr in den Tagen nach ihrer Verlobung ein Bild von dem Charakter der Marquise entworfen, das nur zu treu und richtig gewesen war.

Veronika beschloß also zu schweigen und abzuwarten; aber schweigen zu müssen, wo man sich gewöhnt hat, sich offenen Herzens hinzugeben, ist ein schwerer Zwang, der alle unsere Fähigkeiten lähmt. Eine stille Angst, eine dumpfe Unfreiheit lasteten auf der jungen Frau. Ihr mangelte nicht nur die freie Luft der Heimath und die freie Bewegung in der weiten Natur, ihr fehlte vor Allem die geistig reine Atmosphäre, in welcher sie bis zu ihrer Ankunft in Paris gelebt hatte, und der schöne Glanz ihrer Jugend begann davor zu schwinden.

Jahr und Tag waren so hingegangen. In Frankreich, in Paris tobte der Parteikampf, war die Revolution zu einer vollendeten Thatsache geworden. Der König war bereits völlig in der Gewalt des Volkes, das ihn hierhin und dorthin zu gehen nöthigte, obschon er sich noch anscheinend in Freiheit befand, und wie ein zum Tode Kranker sein Dasein peinvoll und doch noch auf die Zukunft hoffend von einem Tage zu dem andern hinschleppt, so wankte die Monarchie ihrem Untergange entgegen. An die Stelle hochfahrenden Uebermuthes war allmählich verzagter Trotz getreten.

Heute baute man auf Hülfe von auswärts und sah zuversichtlich über die Grenzen des Reichs hinaus, morgen dachte man daran, diese Grenzen zu erreichen, um sich der Volksherrschaft zu entziehen und das Königreich mit Schwertesgewalt neu zu erobern, und alle diese Entwürfe wurden immer wieder aufgegeben, weil der König und die Königin, bei der Ungleichheit ihrer Naturen, keinen einstimmigen Willen hatten und keine gemeinsamen Pläne fassen konnten, so lange dafür noch Zeit und Möglichkeit vorhanden war.

Eine endlose Reihe von Heimlichkeiten und Intriguen war die nächste Folge dieser innern Uneinigkeit des Herrscherpaares. Ueberall hatte man Kundschafter, überall suchte man Verbindungen anzuknüpfen, und die Getreuen des Hofes wurden in einer beständigen Bewegung erhalten, hatten viel mit einander zu verkehren, waren bald hier, bald dort, und immer aufregend beschäftigt. Bald galt es einen sicheren Boten für eine Nachricht ausfindig zu machen, welche man außer Landes gelangen zu lassen wünschte, bald handelte es sich darum, Menschen zu ermitteln, auf welche man bei gewissen Möglichkeiten rechnen könne; und da die Marquise in alle Absichten der Königin mit eingeweiht, da man mehr und mehr auf die Treue und Verlässigkeit der Schweizergarden angewiesen war, so brauchte Franziska gar nicht erst die Anlässe zu suchen, welche sie mit dem Grafen zusammen führten.

Die großen Cirkel am Hofe hatten schon lange aufgehört, Veronika hatte also nur selten zu erscheinen und sah daher die Marquise auch nur selten. Desto häufiger traf der Graf mit ihr zusammen, und er nannte es eine billige Rücksicht für Veronika, daß er von diesen Begegnungen nicht mit ihr sprach. So lange er dieses nur aus eigenem Antriebe that, war die Gefahr für seine Gattin noch nicht dringend. Indeß den nothwendigen Begegnungen mit der Marquise folgten die freiwilligen Zusammenkünfte in nicht zu langer Zeit, und diese natürlich mußten der Gräfin verschwiegen bleiben.

Der Graf hatte, als er Franziska nach jener Scene in seinem Hause zuerst wieder gesehen, ihr Vorwürfe gemacht, und sie hatte sich zu vertheidigen gewünscht. In den Sälen der Königin war das unmöglich gewesen. Sie hatte es gefordert, sich rechtfertigen zu dürfen, sie hatte verlangt, daß der Graf sie in ihrer Dienstwohnung besuche, und sie hatte jetzt keine andere mehr. Franziska war frei, war ganz allein, man konnte frei bei ihr sprechen, frei bei ihr mit den nächsten Vertrauten der Königin verkehren, frei einander bekennen, was Jeder hoffte, was er fürchtete, was ihn drückte. Sie meinte, auch den Grafen müsse es nach solchem freien Austausch der Seele verlangen. Er lehnte das nicht ab; das hieß mit andern Worten, er gab es zu, eine Vertraute zu brauchen, und Franziska war klug genug, für’s Erste die Rolle anzunehmen, welche die Gelegenheit ihr an die Hand gab.

Der Graf rühmte seine Gattin, und auch Franziska lobte sie, aber sie bedauerte, daß die junge Frau eben zu solchem Zeitpunkte nach Paris gekommen sei. Darin stimmte der Graf ihr bei, und er ging noch weiter. Er nannte es einen Mangel an Voraussicht, daß er ein Mädchen geheirathet habe, welches fern von der großen Welt, fern vom Hofe und nicht in den rechten Begriffen der Loyalität erzogen worden sei. Franziska gab ihm darin Recht.

Sie nannte es gefährlich für ihn und für die Gräfin, und sie legte es ihm jetzt als Pflicht auf, Veronika zu schonen, sie allmählich zur Erkenntniß kommen zu lassen, sie nicht gewaltsam überreden und überzeugen zu wollen. Er sollte sie gehen, sie gewähren, sie ihr stilles, unschuldiges Pflanzenleben führen lassen und sich daran erfreuen, daß ihm mitten in der unheilvollen Verwirrung, in welcher man sich befand, durch Veronika’s kindliche Unschuld eine Oase des Friedens eröffnet werde, in die er sich flüchten, in der er sich ausruhen und erhelen könne, wenn er entmuthigt und ermüdet sei.

„O!“ rief sie, „das Leben übt seine Vergeltung aus; ihr, der stillen Kindesseele, die Ruhe und der Frieden! mir die Sorge und der Kampf! Und für die Sorge und den Kampf will ich auch Ihnen bleiben, Joseph! –“

Sie reichte ihm die Hand, er nahm sie an, und ihre feine Hand wußte eisern festzuhalten, was sie ergriffen hatte; denn es

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