Seite:Die Gartenlaube (1862) 111.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

daß ich diesmal das Richtige für uns treffe. Beruhigt sich die Aufregung in Frankreich, so werde ich dann selbst den Grafen bitten, seinen Abschied zu fordern.

Meine Neugier und meine Lust, doch auch ein wenig von der Welt zu sehen, werden übrigens sicher Befriedigung durch unsere Reise erhalten. Ich werde, wie ich hoffe, auch eine sehr elegante Dame werden, und wenn ich das zufällige Glück haben sollte, dem Grafen mit meiner Person in der Gesellschaft einigermaßen Ehre zu machen, so wird das – ich kenne ihn darauf – meinen Werth in seinen Augen nicht verringern. Da können Sie an diesen letzten Aeußerungen gleich gewahren, wie schon der bloße Gedanke an Paris den Menschen umgestaltet. Es muß etwas Bezauberndes in sich schließen, dieses Paris! – Hat doch auch der gute Ulrich mit all’ seiner Liebe für sein Vaterland es bei uns nur wenig Monate ausgehalten, und sich schnell wieder nach dem blendenden Lichte der Hauptstadt hingewendet, an dem ich nun auch – mir die Flügel verbrennen gehen will.

Ich umarme Sie und küsse Ihnen die Hand! Glauben Sie mir, meine theure Schwägerin, daß ich es nie vergesse, welche liebevolle Erzieherin und Führerin Sie mir gewesen sind, und nun fassen Sie guten Muth, wie ich selbst ihn habe. Joseph muß durchaus wieder froh und heiter werden. Hier bleiben und ihn so oft niedergeschlagen und mißmuthig sehen, das geht über meine Kraft. – Von Herzen Ihre Ihnen ganz ergebene

Veronika, Gräfin von Rottenbuel.“ 


Die Gräfin von Rottenbuel an die Freifrau von Thuris.
„Paris, den 20. October 1790. 

„Meine verehrte Schwägerin! Wir sind vor drei Wochen grade an dem Tage hier angekommen, an welchem unser verehrter Landsmann Herr Necker, müde der Leitung eines Schiffes, das vom wilden Strudel erfaßt ist, abermals sein Amt niederlegte, um sich auf seine Besitzungen in seine und unsere Heimath zurückzuziehen; und ich habe Ihnen noch nicht geschrieben, meine Freundin, weil ich Mühe habe, mich und meine Gedanken in dem Sturme zurecht zu finden, der mich umgiebt.

Ich komme zum ersten Male in eine große Stadt und finde ihre sämmtlichen Verhältnisse wie aufgelöst, ich komme an den Hof, in dessen Sonnenstrahlen Alles sich drängte, und finde, daß seine treuesten Anhänger sich von demselben zurückziehen, ich sehe zum ersten Male einen König, einen edeln, sanften, guten König, und er steht fruchtlos kämpfend einer Gewalt gegenüber, die stärker ist, als er, und die mit jedem Erfolge, den sie erringt, und mit jeder Niederlage, welche das Königthum erleidet, sich ihrer Macht deutlicher bewußt wird. Eine Reihe von Vorstellungen drängten sich mir hier bei meiner Ankunft auf, die eben so schnell durch die Erfahrung weniger Wochen als Truggebilde vor meinen Augen in ihr Nichts versanken.

Ich hatte geglaubt, hier in Paris die Verehrung des Königthums verstehen und theilen zu lernen, und denke jetzt nur mit um so größerer Liebe an die Verfassung in der Heimath. Wie schön war es, wenn das Vertrauen seiner Mitbürger meinem Vater die Verwaltung und Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten übertrug! Wie anders erscheint uns die Herrschaft der freien Uebereinkunft, wenn man sie mit der Alleinherrschaft vergleicht, gegen welche hier ein ganzes Volk in Waffen steht, und die zu vertheidigen und aufrecht zu erhalten, grade dem gütigsten und schuldlosesten der Könige auferlegt wird. Während ein König meine ganze Neigung und Verehrung gewinnt, lerne ich die Bürde der Krone und die Verantwortlichkeit ihres Trägers als eine schwere Last erkennen, und während Sie mit Recht erwarten, daß ich Ihnen Kunde gebe von dem Eindruck, welchen Paris auf mich macht, und Nachricht von unserm persönlichen Ergehen, spreche ich Ihnen von dem Allgemeinen. Aber die Aufregung ist hier so groß, die Gefahr für Alle so drohend, daß man es verlernt, an sich selbst und an seine eigenen Angelegenheiten wie an etwas besonders Wichtiges zu denken.

Nach dem, was ich Ihnen bisher gesagt, werden Sie sich denken können, wie gnädig mein Mann von den Majestäten aufgenommen worden ist. Die Herrschaften haben so viel Untreue und Verrath zu dulden, daß die Treue und Anhänglichkeit ihnen schätzenswerther als vielleicht zuvor erscheinen, und der König hat dem Grafen gleich nach dessen Ankunft die Stelle eines Obristen verliehen, welche eben durch den plötzlichen Tod ihres Inhabers erledigt worden war.

Joseph sieht schön aus in seiner Uniform und noch schöner in der sichtlichen Zufriedenheit, die ihn erfüllt. Seine Züge sind wieder fest, sein Auge hell, sein Mund hat das stolze Lächeln wieder gefunden, und da ein Theil der Gnade, welche die Majestäten ihm beweisen, auch auf mich zurückfällt und man ihn versichert, daß ich – – nun, lachen Sie mich immer aus, liebe Conradine, daß ich schön sei, so scheint er sich auch wieder darauf zu besinnen, daß er mich selbst einst schön genannt hat, und das abgespannte, melancholische Lächeln, das nur in Rottenbuel so oft das Herz beschwerte, ist wie aus seinem Antlitze entschwunden. Er hat Vergnügen daran, mich zu schmücken, und ich selbst finde hier am Hofe den Schmuck ein heiteres Ding. Er hat Behagen daran, seine Freunde in seinem schönen Hause zu empfangen, und der Reichthum erscheint mir hier, wo man ihn so angenehm verwerthen kann, ein weit größerer Vorzug als in Rottenbuel oder in meinem lieben stillen Gunta. Kurz, ich bin sehr zufrieden mit Paris und mit meinem Eintritt in die mir neue Welt, wenn schon mir dabei das schöne Wort einfällt, das unser Ahn in Gunta über unser Portal hat meißeln lassen: „Herr, segne meinen Eingang und meinen Ausgang!“

Was nun, um Ihnen, theure Freundin, Alles zu beichten, die schöne Marquise anbetrifft, so habe ich sie schon zum öftern gesehen, und sehr schön ist sie wirklich; aber sie hat jetzt Anderes zu thun, als einen treuen Obristen der Schweizergarden in ihr Liebesnetz zu locken, da derselbe auch gar keine Neigung zeigt, sich wieder einfangen zu lassen. Sie hat jetzt, wie mir scheint, höhere Ziele und eine schwerere und lohnendere Aufgabe für sich gefunden.

Sie genießt das Vertrauen und die Gunst der Königin und ist, aus Ergebenheit für diese und für das Königthum, auf das Eifrigste bestrebt, den glänzenden und flatterhaften Grafen von Mirabeau zu fesseln. Es muß eine gar beneidenswerthe Aufgabe für die ehrgeizige Schöne sein, dem allgemeinen Besten und den eigenen Wünschen so gleichzeitig dienen zu können – und damit ich’s Ihnen gestehe, es ist mir nicht eben unlieb, daß mein Mann es sieht, wie sehr die Marquise sich selbst nur ein Mittel für ihre Zwecke ist.

Ehe noch Joseph mich ihr vorstellen konnte, kam sie an dem ersten Abende, an welchem ich bei Hofe präsentirt ward, mit lebhafter Freundlichkeit mir entgegen. „Ich bin Ihnen sicherlich keine Fremde,“ sagte sie, „und ich will hoffen, Frau Gräfin, daß der Graf Ihnen von mir im Sinne der vieljährigen Freundschaft gesprochen hat, die uns verbunden, ehe ein schmerzlicher Mißklang sie zu stören kam. Aber das liegt fern hinter uns, und mich dünkt, wir Alle, die wir das Blut des wahren Adels in uns fühlen, haben jetzt nur die eine Aufgabe, Freunde zu sein und uns als solche um das geliebte, so schwer gekränkte Königspaar zu schaaren. Ihre Hand darauf, meine theure Gräfin!“

Es kam mir vor, als habe sie sich diese Anrede im Voraus überlegt, und die Marquise erschien mir nicht eben wahrhaft oder edel, während sie dieselbe sprach; auch dem Grafen mißfiel sie, und als sie diesem mit den Worten: soyons amis, Cinna! lächelnd die Hand zum Kusse reichte, sah ich, daß er eine Art von Scham empfand, sie nicht würdiger vor mir dastehen zu sehen – und – nun, nennen Sie es immer eine Anwandlung beruhigter Eifersucht – ich wußte es der Marquise Dank, daß sie sich selbst entthronte. – Joseph war sehr kalt gegen sie, und trotz der Schminke, die sie trug, bemerkte ich, daß sie die Farbe wechselte. Sie verließ uns dann auch bald, und meines Mannes Blick und Händedruck verriethen mir, daß – ich wohl gethan, hierher zu gehen.

So viel von uns, theuere Schwägerin! Ulrich ist wohl und ist ein gar schöner, schöner Mann geworden, stark und kräftig, wie es Ihrem Sohne zukommt! Ich sage ihm täglich, daß er nach Hause gehen müsse, daß er Sie nicht allein lassen dürfe, und ich bringe Ihnen damit ein großes Opfer, denn Joseph ist durch seinen Dienst so vielfach hingenommen, und wenn ich einsam bin, kommt mir die Stadt mit ihren langen Straßen, mit ihren hohen Häusern unheimlich vor. Ich sehne mich nach einem Blick in’s Freie, und das Herz wird mir schwer, wenn ich in die Stille unseres Hofes und Gartens den Wiederhall eines jener Volksaufläufe zu mir dringen höre, von denen kaum ein Tag oder eine Nacht ganz frei ist. Ulrich’s Nähe ist mir dann ein großer Trost.

Er schafft mir sichere Kunde von dem, was draußen vorgeht, er sagt mir die Wahrheit, wo Andere mich nur zu beruhigen streben; und ich habe hier fast an jedem Tage die Gelegenheit, es an der Todesangst meines Herzens zu ermessen, wie mein Leben an dem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_111.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)