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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

im Engadin acht alte und junge Bären die schwere Hand ihrer unermüdlichen Verfolger empfinden, und der Jagdabenteuer giebt es unzählige, welche von den Bären-Nimroden erzählt werden. Selbst das Jahr 1861 war wieder ein bärenreiches, und wenn man den öffentlichen Blättern des Bündnerlandes Glauben beimessen darf, so sind im letztverflossenen Jahre 4 bis 5 Stück erlegt worden. Unter so bewandten Umständen hält sich Braun meist in seinen Schluchten auf und begnügt sich mit magern Ebereschenbeeren und selbst Feldmäusen. Wird aber der Drang nach besserer Kost einmal gar zu mächtig in ihm, dann macht er sich Nachts auf den Weg nach irgend einem Ziegenstalle, deckt, wenn’s geht, mit seinen gewaltigen Tatzen das Dach ab, oder rennt, ganz wie ein Mensch, mit seinem breiten Rücken die Thüre ein und holt sich eine Ziege zum Nachtschmause heraus. Einen solchen Moment stellt das diesem Aufsatze beigedruckte Bild, „Meister Braun auf dem Stalle“, dar, und die Geschichte ist zudem buchstäblich wahr. Ziegenhirten in einer der rauhesten Alpen des Rhätikon bemerkten einst, daß das Gras um die Hirtenhütte über Nacht glatt abgeweidet und zudem die Thüre zum Ziegenstalle zerkratzt worden war. Vergeblich durchsuchten sie jedoch die nächste Umgebung und den tiefer liegenden Zirbelkieferwald nach dem vermutheten ungebetenen Gaste. Gleichwohl beschlossen sie aufzupassen, und einer von ihnen holte zur größeren Vorsicht eine alte Muskete aus dem nächsten Thaldorfe herauf, die denn auch, wie Herr von Tschudi, der das Abenteuer berichtet, bemerkt, mit vieler Andacht geladen wurde. Den Tag über machten sie die Bemerkung, daß die Ziegen dem Landfrieden keineswegs recht trauten und sich nur mit Widerwillen von einer weiter unten weidenden Rinderheerde entfernen mochten. Zwei Nächte paßten übrigens die Sennen vergeblich. In der dritten Nacht aber wurden sie plötzlich durch ein Geräusch auf der Ziegenhütte geweckt, und entdeckten bald einen Bären, der sich zuerst vergeblich bemühte, die Thüre aufzudrücken, worüber das gehörnte Völklein drinnen im Stalle sehr unruhig zu werden anfing. Die beiden Sennen, welche als treulose Schildwachen auf ihrem Lauerposten geschlafen hatten, waren eben keine verwegenen Jäger, und es wurde ihnen beim Anblick des seltsamen Besuchers etwas unheimlich zu Muthe. Der eine schlich zur Alphütte, um auch die übrige Hauptmacht zum Treffen zu rufen, während sein Genosse in ziemlich trostloser Stimmung seine alte Muskete in Kriegsbereitschaft setzte. Inzwischen hatte der hartnäckige Petz richtig mit seinen gewaltigen Pranken die Thüre eingedrückt, bei welcher Gelegenheit die flinken Ziegen wie toll aus der Hütte stürzten und sich meckernd auf die benachbarten Felsen retteten. Petz aber hatte denn doch richtig eine der Flüchtigen gepackt und schickte sich eben an, die Euter seiner Beute zu verspeisen. Gerade in diesem Moment rückte aber jetzt die ganze Hauptmacht der Sennen, mit Prügeln, Melkstühlen und andern unliebsamen Werkzeugen versehen, vorsichtig zum Angriffe heran. Einer von ihnen, ein ehemaliger Gemsjäger, nahm dem verfassungslosen Wachtposten die Muskete aus den Händen und ging auf den schmausenden Bären los. Dem schien es nun freilich sehr unangenehm zu sein, in seiner Mahlzeit gestört zu werden, denn er richtete sich sogleich auf den Hinterbeinen empor und gab durch gewaltiges Brummen seine üble Laune zu erkennen. Der beherzte Senne ließ sich aber dadurch in seinem Vorgehen nicht beirren, knallte in nächster Nähe seines Gegners los, und der starke Streifschuß zerschmetterte dem armen Petz die rechte Rippenseite. Freilich probirte der Geschädigte noch, sich mit wüthenden Tatzenhieben für die ihm widerfahrene Unbill zu rächen, es half ihm aber diesmal weder sein Grimm noch seine Kraft, denn die übrigen Sennen kamen nun ebenfalls herbei und schlugen den Verwundeten vollends todt. Der Erschlagene gehörte zu den braunen Bären und wog 240 Pfund.

Nicht immer aber läuft die Geschichte so mißgeschicklich für Petz ab, wie dieses Mal, was schon die folgenden Thatsachen beweisen: Ein Bär erwürgte im September 1853 auf der Stutzalp im Engadin in wenigen Tagen nicht weniger denn funfzehn Schafe, von denen er sich einige mitten aus der brüllenden Rinderheerde wegholte; ein Umstand, der um so mehr auffällt, als die Heerden bei einem Angriffe des gefürchteten Räubers sich sonst als feste Phalanx in einen Kreis zusammenzustellen und, den gehörnten Kopf tief gesenkt und nach außen gekehrt, den Feind muthig zu erwarten pflegen. Auf der Buffaloraalp zerrissen die Bären Anno 1858 nicht weniger als 29 Stück aus einer einzigen Schafheerde, und im Sommer 1860 beanspruchte ein einziger Petz innerhalb vierzehn Tagen in Zernetz gar 17 Schafe zur Befriedigung seiner kleinen Bedürfnisse.

Wird der Bär wegen solchen polizeiwidrigen Thuns verfolgt, so trabt er meist ganz langsam und gemächlich fort und wird, ohne selbst angegriffen zu sein, wohl nie dem Menschen gegenüber die Offensive ergreifen. Brennt man ihm aber eins auf die Wolle und trifft nicht gut, dann ist, wie bereits angedeutet, nicht mehr gut mit ihm zu verkehren, und eine Verwundung entflammt, statt ihn zum Rückzüge zu bewegen, seinen Zorn zur rasendsten Wuth. Den schlagendsten Beweis zu dieser Angabe bildet folgendes Abenteuer des Jägers Rindi, aus Disentis im Bündnerlande. Im December 1838 die breite Spur eines Bären verfolgend, verlor er gegen Abend dieselbe an einer schroffen, unheimlichen Felsenwand, die nur auf einem schmalen, gefährlichen Pfade zu erklettern war und in der Höhe oben über schwindelndem Abgrunde hinführte. Muthig erkletterte der todverachtende Mann diesen Pfad, bis er oben in der Felswand ein Loch entdeckte, in welchem er des Bären Behausung vermuthete. Hier mußte einer von Beiden auf dem Platze bleiben, denn ein Ausweichen war weder für den Jäger noch für den Bären möglich. Vorsichtig schlich Rindi heran und gewahrte, in die Höhle hineinspähend, zwei Augen, die ihn aus dem Dunkel des engen Loches wie glühende Kohlen anfunkelten; die Pranke des Bären hing sogar so weit heraus, daß er sie hätte mit der Hand anfassen können. Zweimal versagte dem kühnen Jäger der sonst so sichere Stutzen. Endlich krachte der Schuß; aber des Bären wüthendes Gebrüll rief gleich mit dem Knall das Echo der Gebirge wach und schien die Felsen erbeben zu machen. Rindi retirirte so weit möglich von der Höhle zurück, um den Stutzen wieder zu laden. In der Höhle war es still geworden, und als der Jäger näher trat, konnte er selbst weder Tatze noch Augen der Bestie mehr gewahren. Nach einer Weile glaubte er ein leises Kratzen und Scharren zu vernehmen, und von einem Gefühl plötzlichen Schreckens gepackt, verließ er eilig die Schlucht.

Am nächsten Morgen nahm er drei andere Jäger mit sich, um das Raubthier, das derweil doch verendet haben konnte, aufzusuchen. Diesmal wurde der Angriff jedoch von oben herab unternommen; die Jäger kletterten an einer langen, hart am Felsen stehenden Tanne zu der Bärenhöhle hinunter, voran ein August Biskuolm, den Stutzen auf den Rücken geschnallt. Kaum aber war der Mann auf dem Felsenpfad angelangt, so stürzte der über den wiederholten Besuch erbitterte Bär mit zwei gewaltigen Sätzen auf ihn los, umklammerte ihn mit den Armen und schmiß ihn kunstgerecht, wie ein Schwinger, auf den Boden. Biskuolm rollte sammt seinem Gegner, laut um Hülfe rufend, einen Abhang hinunter, konnte sich jedoch endlich aus der gefährlichen Umarmung losmachen und den Stutzen von der Schulter reißen. Der erboste Braun war aber eben so flink wieder auf den Beinen, so daß der Mann kaum eben noch Zeit fand, ihm den Kolben seines Gewehres vorzuhalten, als er zum erneuten Angriffe heranstürzte. Rindi kam glücklicherweise auf den Hülferuf seines Freundes ebenfalls die Tanne herabgeklettert und jagte der Bestie noch rechtzeitig seine Kugel zwischen die Rippen. Der Bär zog sich auf dieses freilich ein paar Schritte zurück, machte jedoch eben wieder Anstalt aufs Neue sich auf die Jäger zu werfen, welches Vorhaben nun aber Biskuolm mit einem dritten, tödtlichen Schusse vereitelte. Als man den Bären untersuchte, entdeckte man, daß schon der Tags vorher empfangene Schuß ihm das Gebiß zerschmettert hatte. Das war ohne Zweifel dem kämpfenden Biskuolm sehr zu statten gekommen. Der Umstand, daß er während des Ringens mit dem wüthenden Raubthiere sammt dem letztern bis dicht an den Rand des Abgrunds gerollt und nur wie durch ein Wunder dem zerschmetternden Sturze entgangen war, genügte, um ihn noch nach langen Jahren bei der Erinnerung an den gefährlichen Kampf mit Schauder zu erfüllen.

Launiger als das Vorhergehende klingt die Geschichte von dem Bergamasker Schäfer, der auf seinem Saumthiere über den Buffalora-Paß dahertrabte und dabei auf zwei junge Bären stieß. Die beiden Thierchen stießen erschrocken ein kleines Geschrei aus, worauf die Bärenmutter, ihre liebe Nachkommenschaft bedroht glaubend, wüthend herbeirannte und das Pferd anfiel, das jedoch seinerseits die tolle Angreiferin mit kräftigen Hufschlägen zu bedienen anfing, während der Hirt von seinem Rücken sprang. Bei den wiederholten Angriffen fällt der zottige Mantel des Schafhirten vom Pferd und der Bärin über das Gesicht. Darüber doppelt ergrimmt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_070.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)