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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

des Bauern, seine Haltung, sein leidendes, bekümmertes Aussehen erregten meine Neugierde, so daß ich trotz des schlechten Wetters das Zimmer verließ, um mich nach seinem Anliegen zu erkundigen.

Seine Geschichte war einfach genug, wurde aber von dem armen Menschen so rührend erzählt, daß ich nicht unterlassen konnte, mich seiner anzunehmen. –

„Sehen Sie, Herr Officier,“ sagte der Bauer, als ich sein Pferd in den Stall hatte führen lassen, „sehen Sie, der alte Braune ist krank. Du lieber Gott, ja, er ist recht krank. Na, nun habe ich den Braunen aber schon siebenzehn Jahre gehabt, zu Martini waren es gerade siebenzehn Jahre – ich habe ihn hier in Segeberg von Heinrich Ohlsen gekauft – aber den kennen Sie wohl nicht, Herr Lieutenant, denn er ist schon lange gestorben. Ostern werden es fünf Jahre, daß er starb. Na, nun habe ihn denn die siebenzehn Jahre gehabt, und er ist nie krank gewesen, es hat ihm nie ein Glied wehe gethan, und als ich gestern Abend in den Stall kam und er nicht wieherte, wie sonst – denn er wiehert immer, wenn ich komme, da denke ich: „Na, was fehlt dem Braunen, daß er nicht wiehert?“ Gut, ich hole ja die Laterne, und mein Hannes geht mit in den Stall, und da liegt der Braune und bläst und stöhnt, daß ich denke, er wird gleich sterben. Na, nun bin ich die ganze Nacht bei ihm geblieben und habe ihn gerieben und zugedeckt, und wie es Morgen geworden ist, da bin ich denn losgezogen mit dem alten Braunen. Du lieber Gott, ja! Neun Stunden haben wir gebraucht, um die zwei Meilen zu gehen, der Braune und ich, das Brod ist mir in der Tasche gefroren.“

„Was soll denn nun mit dem alten Braunen geschehen?“ fragte ich.

„Ja, sehen Sie, Herr Officier, wenn ich nur hier bleiben könnte und selbst aufpassen, dann wäre es schon recht; aber meine Frau liegt im Nervenfieber, und der Hannes, na, das wissen Sie ja, so ein Kind weiß dann auch nicht recht Bescheid, du lieber Gott, ja! Wenn der Curschmied denkt, daß er den Braunen für ein Fuder Torf curiren kann, und wenn der Wirth ihn hier behalten will im Stalle, na, dann will ich nur in Gottes Namen wieder nach Hause zu meiner kranken Frau und heute Nacht wiederkommen, wenn es Gottes allmächtiger Wille ist!“

„Wißt Ihr was?“ sagte ich, „der Curschmied soll den alten Braunen curiren, mein Bursche und ich wollen aufpassen, daß er seine Medicin regelmäßig einnimmt, und Ihr geht jetzt nach Hause und pflegt Eure Frau. In drei Tagen kommt Ihr wieder; der Braune wird dann ja wohl entweder gesund oder todt sein.“

„Ja, wenn es nur nicht zu viel kostet,“ erwiderte der Bauer; „die Kriegslasten sind so schwer, die Krankheit von meiner Frau hat mir auch schon viel gekostet; – aber mag es kommen, wie es will, der Braune soll sein Recht haben; er hat siebenzehn Jahre für mich gearbeitet und immer wieder frisch angezogen, wenn ich und der Hannes den Torf zusammen gefahren haben; der Braune soll curirt werden, das sagen Sie nur dem Curschmied, und wenn es auch zwei Fuder Torf kostet.“

Der alte Mann näherte sich dem stöhnenden Thiere, klopfte es auf den Hals, fuhr sich selbst über die Augen und wandte sich der Heimath zu.

Der inzwischen herbeigerufene Curschmied erklärte den Zustand des Braunen für ganz ungefährlich und verordnete einige einfache Mittel, die auch die gewünschte Wirkung hatten, so daß der alte Braune schon am folgenden Morgen etwas Weizenkleie mit Hafer vermischt aus der Krippe fraß, als ich ihm meine Visite machte.

Am dritten Tage kam der Bauer wieder. Ich begegnete ihm auf der Straße und wurde schon von weitem von ihm erkannt. „Herr Lieutenant!“ rief er, „wat maakt de ohle Bruune?“

„Der Braune ist munter und gesund,“ erwiderte ich, „kommt nur mit.“

„Ganz gesund?“ fragte der Bauer mit dem seligsten Lächeln.

„Ja, kerngesund! Ist ein hübscher, alter Gaul, der Braune.“

„Du lieber Gott, ja, ist ein rechtschaffenes Pferd, Herr Lieutenant, thut seine Arbeit und kennt die Gelegenheit beim Hause! Können’s mir glauben, er hat oft den Kopf durch’s“ Fenster gesteckt, wenn wir beim Essen waren, gerade als wenn er „gesegnete Mahlzeit“ sagen wollte. Du lieber Gott, ja! Sehen Sie, ich könnte ja leicht ein besseres und jüngeres Pferd bekommen, wenn ich das Geld dazu hätte, aber wollen Sie mir’s glauben, daß ich mich doch besinnen würde, ehe ich den alten Braunen vertauschte?“

Wir standen vor der Stallthür. Der alte Braune wieherte, als er den Tritt seines Herrn und Freundes erkannte; der Bauer verbiß sich die Thränen, als er die Stimme seines Lieblings hörte.

Ich hatte meinen Cameraden von dem braven, alten Bauer erzählt und war vom Commandeur des dritten Jägercorps, dem Major von Eickstädt, beauftragt worden, meinen Freund zum Mittagsessen einzuladen. Am obern Ende des Tisches, neben dem Major wurde ihm Platz gemacht; die Officiere tranken seine und seiner Familie Gesundheit; ich stieß ganz heimlich mit ihm an und wisperte ihm zu: „De ohle Bruune schall leewen.“

Lange hatte der Bauer gegen seine Verlegenheit angekämpft; endlich erhob er sich und sagte: „Ja, Kinners, danken kann ik nich; wüllt Se mi ober besöken und förleev nehmen mit Melk und Bookweten Grüt, denn so schüllt Se von Harten willkummen sin.“ (Danken kann ich nicht, Kinder; wollt Ihr mich aber besuchen und fürlieb nehmen mit Milch und Buchweizengrütze, so sollt Ihr von Herzen willkommen sein.)

Monate waren vergangen; wir standen im Herzogthum Schleswig auf der Idstedter Heide und erwarteten mit pochendem Herzen den Angriff des Feindes. Uns fehlten alle Bedingungen des Sieges, indem unser General dem weit überlegenen Feinde den Vortheil der Stellung eingeräumt,[1] den Bataillonen fremde, zum Theil unerfahrene und unfähige Offiziere gegeben hatte. Preußen hatte seine Commandeurs aus der schleswig-holsteinischen Armee abberufen; mit Thränen waren sie von den Soldaten geschieden, die sie zwei Jahre lang zu manchem Siege geführt hatten; die innere Organisation fehlte unserer Armee; wir waren nichts als eine Schaar von bewaffneten Männern, die bereit standen, für deutsche Ehre und deutsches Recht zu kämpfen. Zehn Tage lang hatten wir müßig auf der Haide geruht; nichts war geschehen, um unsere Stellung zu befestigen, nirgends war für die Batterien ein Aufwurf gemacht, nirgends eine Schanze errichtet. Nur ein einziger Befehl des General-Commando’s ging uns zu, aus dem wir entnehmen konnten, daß es sich ernstlich mit dem Wohle der Armee befasse: es wurde uns am 23. Juli 1850 befohlen – „die Haare kurz zu schneiden“!

Am 23. meldeten unsere Patrouillen den Anmarsch des Feindes, und am 24. Morgens begann der Kampf von fünfundzwanzigtausend Deutschen gegen fünfunddreißigtausend Dänen. Der Feind besetzte ohne Schwertstreich Punkte, die wir leicht uneinnehmbar hätten machen können, und jetzt, wo er sich festgesetzt hatte in Sümpfen und Wäldern, mußten wir ihn mit dem Bajonnete hinauswerfen. Ich stand während der Schlacht bei der zweiten Compagnie des dritten Jägercorps; meine Compagnie hielt vereint mit der dritten Compagnie des ersten Jägercorps die Ziegelei bei Engbrügg besetzt. Unsere Abtheilung kam am 24. wenig in’s Gefecht. Dafür hatten wir am folgenden Tage einen um so heißeren Kampf zu bestehen.

Wir lagen mit der Büchse im Arme auf dem Hofe der Ziegelei; eine Feldwache, unter dem Commando des tapfern, jugendlichen Lieutenant Bergin, eines Schweden, sollte uns gegen einen Ueberfall schützen; Patrouillen gingen unaufhörlich vor unserer Vorpostenkette auf und ab. Mit dem ersten Grauen des Morgens weckten uns die lang gezogenen Töne der dänischen Signalhörner; im Nu waren wir auf den Füßen, doch bevor wir uns rangiren konnten, überschüttete uns der Feind mit einer Saat von Kugeln. Drei dänische Bataillone – das dritte und fünfte Verstärkungsbataillon und das dritte Linien-Infanterie-Bataillon – waren zum Angriff auf unsere Stellung vorgegangen. Unsere kleine Feldwache war fast bis auf den letzten Mann zu Boden gestreckt; Lieutenant Bergin hatte einen Schuß in den rechten Arm bekommen; „das ist für Deutschland!“ rief der heldenmüthige Jüngling, – „vorwärts, Cameraden!“ Er stürzt mit seinen Jägern dem Feinde entgegen, wird mit ihm handgemein und stirbt mit fast allen seinen tapfern Burschen den Heldentod.

Der Widerstand der Feldwache hatte die Dänen nicht aufhalten können. Sie warfen sich mit lautem Hurrah auf die Ziegelei und gaben auf die zwei Compagnien Jäger Bataillonsfeuer.

Wir wichen dem überlegenen Feinde und suchten hinter den Hecken

  1. General von Willisen schrieb dem dänischen General vor der Schlacht bei Idstedt: „Ich habe Ihnen den Vortheil der Stellung eingeräumt, um Sie von meinen friedlichen Absichten zu überzeugen.“ (!!!)
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