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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

murmelte einige Worte, die vielleicht noch weniger schmeichelhaft für den Adoptivbruder sein mochten.

Der treue Peter Claß, der alte Kammerdiener des Grafen, trat ein, stellte den großen silbernen Armleuchter neben seinen Gebieter, meldete den Arzt und machte sich ordnend noch allerlei im Zimmer zu thun; die Brüder aber verließen das Gemach eben so unversöhnt, wie sie gekommen.

Aufmerksam prüfte der Arzt nun den von Hans Björne eingesandten Krankenbericht. „Wie gut,“ sagte er, während er seine Brille hervorzog, „daß gräfliche Gnaden gerade diesen gewandten und zuverlässigen Menschen dem jungen Herrn mitgegeben haben! er ist wirklich der Feder sehr mächtig,“ über welches Lob Peter hinter seinem Rücken eine derbe Grimasse machte; denn freilich war weder er noch seine Cameraden auf so hoher Bildungsstufe angelangt, wie Hans Björne, der sogar Französisch parlirte und deshalb dem Peter nur um so fataler war.

Mit angstvoller Spannung betrachtete der Graf die Mienen des Lesenden und lehnte sich mit einem aus tiefstem Herzen dringenden Wehelaut zurück, als der Arzt mit leiser, stockender Stimme sagte: „Entweder ist der Zustand des Grafen Curt eine heftige Krisis, deren Ursache mir jedoch nach dem früheren Bericht nicht motivirt scheint, – oder – gräfliche Gnaden – das Menschenleben ist ja ein so schwaches Ding – müssen sich auf einen neuen harten Schlag gefaßt machen.“ – Und so war es; nach wenig Tagen traf die Todesnachricht ein: es war der fünfte Sohn! Sie wurde ein letzter Nagel zu dem Sarge des tiefgebeugten Vaters, und nach Jahresfrist stieg er in die Gruft seiner Ahnen wie die seiner hoffnungsvollen Söhne hinab.

Auf Graf Detlev aber, der seine Volljährigkeit bereits angetreten hatte, vererbten sich mit dem Majorate auch alle Ehren- und Vorrechte, zu denen er durch seine Geburt schon berufen war.

Die Trauer des Vaters um Curt, den auch beide Brüder geliebt, die Entfernung des Magisters und Detlev’s redliches Streben, ein friedlicheres Einvernehmen mit dem Bruder herzustellen, hatte einigen Erfolg gehabt; so daß jenes dem Vater in seiner Sterbestunde gegebene feierliche Versprechen, keinen Groll mehr zwischen sich zu dulden, auch von Adolph’s Seite wirklich ernst gewesen war. Aber das Feuer war seit Jahren von böswilliger Hand geschürt worden; es glimmte unter der Asche fort, um beim ersten Windhauch wieder emporzulodern, und es konnte nicht fehlen, daß mit der neuen, überlegenen Stellung des älteren Bruders sich auch tausend Gelegenheiten fanden, wo das reizbare, mißtrauische Gemüth des jüngeren sich verletzt fühlte, auch ohne irgend eine Absichtlichkeit von Seiten Detlev’s, der im unbestrittenen Genuß der Gaben, womit er an seiner Wiege schon empfangen worden war, jene finstern Geister des Argwohns oder der Mißgunst nicht kannte, mit denen Adolph’s besseres Selbst stets im Kampfe lag.

Hans Björne war im Dienste des arglosen verstorbenen Grafen geblieben, der dem Pfleger seines geliebten Sohnes ganz besondern Dank zu schulden meinte, und vergebens hatte schon damals der junge Graf Detlev gestrebt, diesen schleichenden, gewandten, ihm entschieden antipathischen Menschen aus dem Schloß zu vertreiben. Graf Adolph hatte ihn dagegen mehr und mehr in seine Nähe gezogen und streifte mit Hans Björne, der ein geschickter Jäger war, tagelang in den weitläufigen Forsten der Grafschaft umher.

Einer der ersten Acte des neuen regierenden Grafen war nun, den Hans Björne seines Dienstes entlassen zu wollen, wogegen sich Graf Adolph heftig auflehnte und ihn augenblicklich in seinen eignen persönlichen Dienst übergehn ließ. – „Ich werde in Kurzem nach Kopenhagen gehen,“ sagte er, „und da ist mir Hans Björne unentbehrlich. Du aber wirst, hoffe ich, Deine Gewalt nicht auf meine persönlichen Angelegenheiten ausdehnen wollen, indem Du aus dem Schlosse, was ja auch das Haus meiner Väter ist, vertreibst, wen ich darin um mich zu sehen für gut finde.“

Graf Detlev gab unmuthig nach; aber seit jenem Tage ruhten die kaltblauen Augen des Dänen noch öfter verstohlen auf dem jungen Manne, indem ein Zug hämischer Bosheit um seine schmalen, blassen Lippen zuckte.

Ein selten schöner Herbst hatte die stattlichen Buchenwälder Holsteins noch in all ihrem bunten Schmucke prangen lassen, obgleich der October des Jahres 1697 bereits seinem Ende nahte.

Rudelweis raschelten die Rehe in dem rothen Laub, welches den Boden bedeckte, unbekümmert um die bereits eröffnete Jagdsaison, dieses Hauptvergnügen der damaligen und auch noch der heutigen Ritterschaft.

Noch tönte das Gurren der Waldtaube in dem Forst, und selbst die vielen Störche der Gegend schienen ihre Nester auf den riesigen Strohdächern der Bauernhäuser nur ungern zu verlassen, so warm schien noch die Sonne über Flur und Wald.

Aber so friedlich still und heiter, wie die Natur um ihn her, war es nicht in dem Herzen des Grafen Adolph Ranzau, der mit finstern Mienen in Begleitung des bevorzugten Hans Björne durch den Wald ritt. Er kam von Schloß Rasdorf, wo die Familie eines der zahlreichen Vettern der Ranzau’s wohnte. Die einzige Tochter des Hauses war der eigentliche Magnet, der den jungen Mann trotz seiner gespannten häuslichen Verhältnisse noch in Holstein zurückgehalten hatte. Der alte Baron von Buch aber sah in ihm nur den Bruder des Majoratsherrn, und die beiden Väter hatten einst gemeinsam diesen Lieblingsplan für Detlev und die liebliche Isa entworfen. Daß darin etwas geändert werden könne, fiel dem Baron bei der unbedingten Autorität der Eltern über die Kinder, die damals noch galt, gar nicht ein; um so weniger, als der Majoratserbe von der Natur eben so gütig bedacht worden war, als vom Geschick, und mit seinen dunkeln lebhaften Augen und den frischen Lippen, welche so gutmüthig und heiter lachen konnten, auch bei minder reichen Glücksgütern ein Mädchenherz zu gewinnen hätte hoffen dürfen.

Aber die blonde Isa hatte sich, wie das so Frauennatur ist, mehr zu dem wenn auch nur scheinbar Zurückgesetzten, Unterdrückten hingezogen gefühlt: den verschlossenen, selten unbefangen heitern Adolph liebte sie mit all der rührenden Zärtlichkeit des Weibes, die da an die Kraft ihrer eignen reinigenden und erhebenden Liebe glaubt, wenn sie die Schwächen oder Fehler des Geliebten sich nicht mehr verbergen kann. – Und wirklich war sie stets der gute Engel, der die finstern Mächte in des jüngern Bruders Brust beschwor. Graf Adolph aber übertrug auch dafür auf sie allein alle edlen und warmen Gefühle, die seiner irre geleiteten Natur ursprünglich eigen waren. Zu einer Erklärung ihrer Gefühle war es jedoch bis dahin noch nie zwischen Beiden gekommen; sie wußten, was sie einander waren, und das genügte ihnen.

Seit dem Tode der Baronin von Buch lebte zu Isa’s Gesellschaft eine junge Anverwandte bei ihr, die durch ihre Ahnenzahl allerdings der Baronesse gleichstand, bei Mangel an Vermögen jedoch nicht selten die Dornen der Abhängigkeit von ihren reichen Verwandten empfinden mußte; darum vermied sie fast ängstlich jede Gelegenheit, die sie zum Gegenstande einer besondern Auszeichnung machte, und vor Allem die Huldigung des Majoratsherrn. Ihr nämlich gehörte in’s Geheim das Herz des jungen Detlev, und seine blonde Base war die Vertraute Beider, die zum Schein annahm, was Clara allein galt. Denn hätte der Baron von Buch in dieser ein Hemmniß seiner Pläne in Betreff des Grafen Detlev erblickt, so wäre es um Clara’s Bleiben in seinem Hause geschehen gewesen und für Isa selbst eine Erklärung unvermeidlich geworden, die sie so lange als möglich noch vermeiden wollte.

Das Trauerjahr um den verstorbenen Vater nahte seinem Ende und damit der Zeitpunkt, den sich Graf Detlev für seine offne Werbung um Clara’s Hand gesetzt hatte, und womit zugleich seinem Bruder in Betreff Isa’s freie Hand gelassen wurde.

Detlev ahnte zwar mehr dessen Absichten, als daß er darum wußte, denn bei dem Mangel an brüderlichem Einvernehmen zwischen Beiden kam eine solche Herzensangelegenheit nie zur Sprache, und ebendeshalb vermied auch Adolph sorgfältig, mit seinem Bruder gleichzeitig in Rasdorf zu sein.

Graf Detlev war über Land, man wußte nicht wohin; Graf Adolph setzte sich zu Pferde und ritt nach Rasdorf, um vor seiner Abreise nach Kopenhagen, wo er eine Hofstelle bekleiden sollte, Abschied zu nehmen.

„Wo ist der Baron von Buch?“ frug er, im Hofe des Schlosses absteigend.

„Nach dem Vorwerk geritten,“ war die Antwort.

„Und die Baronesse Isa?“

„Mit Sr. gräflichen Gnaden Ihrem Herrn Bruder in’s Holz spaziert,“ sagte der alte Kammerdiener, wobei Hans Björne boshaft lächelte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_051.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)