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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ehrgeiz verfolgte ein gleiches Ziel, und die Hoffnung, durch ihre Jugend und Schönheit die Herzogin überflügeln und sie in der Freundschaft des Grafen von Artois ersetzen zu können, hatten Franziska bewogen, einen Liebeshandel mit dem Chevalier von Lagnac anzuknüpfen, den sie aufzugeben fest entschlossen war, sobald sich ihr die Möglichkeit eröffnen würde, den Gebieter statt des Dieners an sich zu fesseln. Aus dem Punkte, dieses Ziel zu erreichen, nöthigte das Duell zwischen dem Grafen von Rottenbuel und dem Chevalier sie, wider ihr Erwarten stille zu stehen; denn was die beiden Männer zu demselben veranlaßt hatte, darüber war man eben nicht zweifelhaft, und die Herzogin beschloß, die Gelegenheit zu einer Demüthigung ihrer hochfahrenden Verwandten zu benutzen.

Der Marquis von Vieillemarin war von jeher ein biegsames Wachs in den Händen seiner vielvermögenden Cousine gewesen. Er hatte geliebt und geheirathet, geschwiegen und verziehen, wie die Herzogin es für gut befunden, und es bedurfte nur ihrer Anmahnung, daß es ihm nicht gezieme, den Galanterien der Marquise länger zuzusehen, um seinen Zorn gegen dieselbe zu entflammen und ihn die Rolle des beleidigten Gatten übernehmen zu lassen. Aber auch jetzt wieder war es die Herzogin, die dem Ausbruche seines Zornes Schranken setzte. Eine Verwandte ihres Hauses sollte nicht vom Hofe entfernt, nicht etwa in Ungnaden entlassen werden. Sie sollte nur wissen, welche Gefahr ihr drohte und wessen Willen ihr Schicksal lenkte; sie sollte wo möglich von einer Nebenbuhlerin wieder zu einer willfährigen Gehülfin herabgedrückt werden und einen neuen Beweis davon erhalten, daß die Herzogin das Ruder noch in festen Händen führe, daß die strenge Hand derselben noch über ihrem Haupte schwebe.

Gegen den Bruder des Königs, gegen den Grafen von Artois, vermochte die Herzogin nichts zu unternehmen, und der Günstling desselben, ihr eigner Neffe, lag auf den Tod verwundet. Sollte Franziska also die Macht der Herzogin empfinden, so mußte derjenige büßen, auf den die Marquise am sichersten vertraute, und den die Herzogin eben deshalb mit Uebelwollen ansah.

Es war kein Zweifel, Graf Joseph mußte geopfert, mußte verhaftet und womöglich gänzlich entfernt werden. Der König handelte dann nach seiner Ansicht über das Duell, der Graf von Artois empfing eine Genugthuung für die Verwundung seines Günstlings, der Marquis genoß eine Befriedigung gegenüber seiner Frau, diese selbst mußte, während sie in der Gunst der Königin verlor, ihre eigene Ohnmacht erkennen, und die Herzogin zweifelte nicht daran, daß die Marquise auch in den Augen des Grafen von Artois verloren sein werde, wenn sie demselben die Beweise für Franziska’s Liebeshandel mit dem Chevalier zu bieten im Stande sei, in deren Besitz sie sich befand.

Der Plan war gut überlegt und konnte nicht leicht fehlschlagen, nur einen Umstand hatte die Herzogin nicht erwogen, nur Eines hatte sie nicht in Betracht gezogen – die Scharfsicht und schnelle und kluge Berechnung, deren auch Franziska fähig war.

Wie schnell die Herzogin auch handelte, so hatte sie doch Rücksichten zu nehmen und ihre äußere Stellung würdig zu bewahren, wo für Franziska wenig zu verlieren und Alles zu gewinnen stand; und noch war der Verhaftbefehl gegen den Grafen von Rottenbuel nicht unterzeichnet, als der Graf von Artois schon das folgende Billet Franziska’s in seinen Händen hielt:

„Eure Königliche Hoheit! An wen sollte eine Frau sich wenden, welche das hohe Glück hat, Sie zu kennen und Ihre ritterlichen Eigenschaften zu verehren, sich in ihrer Verwirrung um Hülfe und um Beistand wenden, als an Sie, der Sie der ganzen Jugend Frankreichs das hochherzige Beispiel jener großmüthigen Galanterie geben, welche so vorzugsweise das Eigenthum unseres Vaterlandes ist? – Die eifersüchtige Freundschaft des unglücklichen Chevalier von Lagnac, dessen leidenschaftliche Ergebenheit für Ihre Königliche Hoheit sich schon durch die Zeichen des huldvollen Antheils beunruhigt fühlte, mit dem Ihre Königliche Hoheit mich zu begnadigen geruhten, hat sich in einer Aeußerung Luft gemacht, welche das Uebelwollen zu mißdeuten im Stande gewesen wäre, hätte nicht ein Freund, ein Freund, den ich wie einen Bruder liebe, seit der Wille meiner Familie und das unumschränkte Machtgebot der Frau Herzogin mich hinderten, ihm einen zärtlicheren Namen zu geben, sich meiner angenommen. Sie wissen, Königliche Hoheit, was geschehen ist. Man glaubt sich Ihnen wohlgefällig zu machen in Ihrem Sinne zu handeln, wenn man den Grafen von Rottenbuel seiner Freiheit beraubt. Erklären Sie, mein gnädigster Herr, ich beschwöre Sie darum, daß Sie seine Bestrafung nicht begehren; oder besser noch, lassen Sie ihn wissen, daß Sie ihm die Verwundung des Chevaliers verzeihen, und befehlen Sie ihm, Königliche Hoheit, daß er den Urlaub, den er bereits gestern gefordert, zu seiner Sicherung durch die Flucht benutze. Freilich werde ich dann ganz einsam, ohne Stütze, ohne den Beistand eines Freundes mich dem Uebelwollen meiner Familie preisgegeben finden; aber ist mein Vertrauen zu kühn, ist meine Hoffnung auf die Gnade Ihrer Königlichen Hoheit trügerisch, wenn ich mir damit schmeichle, Sie würden es nicht verschmähen, einer Frau Ihre Theilnahme und Ihren Schutz angedeihen zu lassen, die kein heißeres Verlangen hat, als Ihnen zu beweisen, Monseigneur, wie sehr sie Ihnen ergeben und in Bewunderung zu eigen ist?“


Als Graf Joseph nach seiner Unterredung mit Franziska in seine Wohnung zurückkehrte, fand er in derselben ein Schreiben vor, welches von einem königlichen Läufer eben erst für den Grafen abgegeben worden war. Es trug nur einen Buchstaben, nur ein C. als Namensunterschrift, aber Graf Joseph kannte diesen Buchstaben mit dem kühnen Zuge, und seine Wange erbleichte, während er die Zeilen las:

„Man meldet mir soeben den Tod meines Kammerherrn, des armen Chevalier von Lagnac, und das Herz noch blutend von dem Kummer über diesen Verlust, will ich mich überwindend in dem großmüthigen Sinne des jungen Freundes handeln, den ich verloren habe. Ich gehöre nicht zu Ihren Gegnern, ich verlange nicht, Sie bestraft zu sehen. Verlassen Sie Frankreich, Herr Graf! – Ihre Anwesenheit würde Ihre Freunde verhindern, für Sie eintreten zu können, wie das liebenswürdige Herz Ihrer Freundin es für Sie wünscht. Reisen Sie, Herr Graf, und überlassen Sie uns die Sorge für Ihre Sicherheit.“

Ein bitteres Lachen, ein Lachen, das ihm wehe that, tönte von Graf Joseph’s Munde an das Ohr seines Neffen, der gekommen war, die Befehle seines Onkels zu vernehmen. Er fragte nicht, was der Brief enthalten habe, der Graf erwähnte desselben mit keinem Worte.

Der Wagen des Grafen stand vor seiner Thüre, und als in dem Concertsaal des Königsschlosses zu Versailles die mächtigen Klänge der Gluck’schen Iphigenia ertönten, als der galante Graf von Artois die schöne Marquise von Vieillemarin seines Schutzes und seiner guten Dienste auf das Feurigste versicherte, rollte der Wagen des Grafen von Rottenbuel zu dem Thore der Stadt hinaus in das Dunkel der schwülen Sommernacht, die kein Stern erhellte.


Es war seit Jahren zwischen dem Grafen und seiner Schwester, der Freifrau von Thuris, die Rede davon gewesen, daß der Graf die Schweiz besuchen, seine Heimath, seine Besitzungen, seine Familie kennen lernen sollte; aber eben der Grund, welcher die Freifrau die Entfernung ihres Bruders von dem Hofe so lebhaft hatte wünschen lassen, hatte diesen dort gefesselt; und nun, da ein Zusammentreffen von Ereignissen ihn nach der Schweiz zu gehen bewogen, war es so plötzlich geschehen, daß Niemand von des Grafen Familie davon Kunde erhalten konnte und Niemand von den Seinen ihn erwartete. Nicht einmal in seinem eigenen Hause wußte man, daß der Herr es zu besuchen denke, und er selber erinnerte sich dieses Hauses eben nur wie eines Gebildes aus irgend einem Traume.

Die Sonne war im Sinken, als ihm plötzlich bei dem Blick auf die Ruinen der Burg Liechtenstein das Bewußtsein kam, daß er diese Ruine schon gesehen, und an dem einen Anhaltepunkte stieg die ganze Gegend in seinem Gedächtniß als eine bekannte und ihm vertraute empor. Hier war er als Kind in dem großen Reisewagen seiner Eltern gefahren, aus dem er hinabgesehen auf die grünen, weißschäumenden Fluthen des Rheines. Das war der Sessaplana, das der Callanda, auf dessen scharfgezeichnetem Gipfel der Schnee erglänzte, obschon das Land zu seinen Füßen sich in die volle Pracht des Sommers gekleidet hatte; und dort, wo das Thal sich verengte, dort ragten sie empor aus der Höhe, der mächtige Dom und der breit hingelagerte Bischofsitz der alten rhätischen

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