Seite:Die Gartenlaube (1862) 026.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

hinaus. Warum soll sie nicht eine Irrenanstalt danisiren, warum nicht ein Taubstummeninstitut, wenn auch die Irren und die Taubstummen nichts vom Eiderdanismus begreifen? Sie danisirt ja die christliche Religion; sie danisirt ja die Schule, Alles in gloriam Eiderdanismi! Nur das deutsche Herz in Schleswig vermag sie nicht zu danisiren. Daran scheitern alle Mittel, daran scheitern die Brüche, die Präcetto’s, die Gefängnißstrafen, die Eigenthumsberaubungen, das Wegjagen aus dem Amte, daran scheitert selbst der Hunger! Die preußische ministerielle Denkschrift sagt über die Danisirung der Irrenanstalt: „Der dänischen Sprachpropaganda mag es gleich sein, ob sie, die eine göttliche Heilsanstalt, die Kirche, mißbraucht, auch eine Irrenanstalt zu ihren Zwecken benutzen muß. Für das rein menschliche Gefühl ist das Eine ebenso verletzend, wie das Andere.“

Acht Tage nach meinem Besuche in der Irrenanstalt in Schleswig brachte ich den Abend in Holstein im Hause eines Mannes zu, der von den Verhältnissen derselben genau unterrichtet war. Er bekleidete in der Verwaltung des Irrenhauses eine der ersten Stellen und war selbst seines Amtes entsetzt worden, da er, wie die preußische Denkschrift sagt, erklärt hatte, „daß er die Danisirung der Anstalt mit Rücksicht auf das Interesse der unglücklichen Kranken selbst vor seinem Gewissen nicht verantworten könne.“ Ich hatte mit ihm von dem Arzt vom Orden der barmherzigen Brüder im Irrenhause von San Servolo gesprochen, der in seinen Krankensälen weder Ketzer noch politische Feinde kannte, dessen Richtschnur einzig und allein das Gebot der Liebe und der Barmherzigkeit war, welches mit goldenen Buchstaben über der Pforte des Klosters geschrieben stand.

„Als Gegenstück zu dem schönes Bilde eines wahrhaft christlichen Krankenhauses, welches Sie so eben vor mir entrollt haben,“ sagte er, „will ich Ihnen nun die Danisirung des Irrenhauses in Schleswig beschreiben. Hören Sie, und erzählen Sie in Deutschland, was hier vorgeht.

Daß die Irrenanstalt lediglich durch die Mittel der beiden Herzogthümer gegründet und aus ihren Mitteln erbaut ist, daß sie also Eigenthum der Herzogthümer und nicht Dänemarks und auch stets als solches bezeichnet ist, daß ferner in der Bekanntmachung der dänischen Regierung von 1852 die Irrenanstalt neben der Universität in Kiel und der Ritterschaft ausdrücklich unter den, beiden Herzogthümern gemeinschaftlichen, Einrichtungen und Anstalten aufgeführt und die weitere Verwaltung in der frühern Weise garantirt wurde, daß die Verwaltungs- und Geschäftssprache von jeher deutsch war, dessen will ich, obschon von diesen Gesichtspunkten aus die Sache politisch und rechtlich zu beurtheilen ist, kaum erwähnen. Vor der Incorporations- und Danisirungswuth der in Kopenhagen regierenden eiderdänischen Partei existiren weder Recht, noch Eigenthum, noch politische Verträge. Das wissen Sie ja!

Daß auf die 600 Kranken, welche durchschnittlich in der Anstalt sind, höchstens 50 kommen, welche dänisch sprechen oder von den dänischen Inseln gebürtig sind, daß also auch nicht das geringste Bedürfniß vorhanden ist, die Anstalt zu danisiren, davon will ich auch nicht sprechen. In den sogenannten gemischten Districten, wo dänisch gepredigt, dänisch confirmirt, in dänischer Sprache das Abendmahl gereicht wird, wo man in den Schulen die Kinder in dänischer Sprache unterrichtet, welche die Kinder nicht verstehen, ist ja noch weit weniger ein Bedürfniß zur Einführung der dänischen Sprache da. Sie haben ja diese Districte selbst bereist und selbst gefunden, daß in einem sogenannten gemischten Districte höchstens vier oder fünf alte Leute leben, welche vor fünfzig Jahren auf der Flotte oder in der Armee dienten, welche das Dänische verstehen. Genug, bald nach jener Bekanntmachung, wodurch die nationale Selbständigkeit und die nationalen Rechte Schleswig-Holsteins garantirt wurden, wurde eine eigene Medicinalbehörde für Schleswig errichtet und an die Spitze derselben ein Medicinaldirector Schleißner gestellt, einer der fanatischsten und rücksichtslosesten Eiderdänen, der selbstverständlich sofort der Sprachpropaganda die eingehendste Aufmerksamkeit und Thätigkeit zuwandte, mit großer Rücksichtslosigkeit das Recht der Communen vernichtete, Armenärzte anzustellen, und sowohl diese Stellen wie diejenigen der Kreisphysici mit ihm und der danisirenden Tendenz huldigenden Subjecten besetzte.“[1]

„Ist das derselbe Schleißner, der den unglücklichen Karberg ruinirte?“

„Derselbe.“

„Derselbe, der auf ganz ähnliche Weise den Apothekern in Husum und Quere ihre Apotheken nahm?“

„Immer derselbe. In der richtigen Consequenz eines solchen Verfahrens kam es auch zu der Danisirung der Irrenanstalt. Weil das Personal dieser Anstalt aus geborenen Holsteinern und Schleswigern bestand, wie es freilich die Natur der Sache mit sich brachte, und weil von diesem Personal die Benutzung der Anstalt zu den Zwecken der dänischen Sprachpropaganda nicht zu erwarten stand, so mußte eine der beliebten „Consequenzen des Sprachrescripts“ in Bewegung gesetzt werden. Weil sich unter 569 Kranken damals gerade 31, also etwas weniger als der achtzehnte Theil, aus dem willkürlich geschaffenen gemischten Districte befanden, betrachtete man das den Herzogthümern Schleswig und Holstein gemeinsame, in einem rein deutschen Districte gelegene Institut als, den Regeln für die gemischten Districte unterworfen und führte in demselben „die Gleichberechtigung der Sprachen“ in dem bekannten Sinne durch.

Die deutsche Direction wurde nun durch eine dänische ersetzt. An die Spitze derselben trat der durch seinen Eifer für die dänische Sprachpropaganda berühmt gewordene Renegat, Amtmann Holstein, der zu dem Propst Thieß auf die Vorhaltung, daß er doch die Rechte seiner Muttersprache bedenken sollte, erwiderte: „Gerade herausgesagt, ich schäme mich meiner Nationalität!“[2] und an die Stelle des seit Jahren in der Anstalt wirkenden Physikus Klinck ein Unterarzt aus der dänischen Armee, ein fanatischer Däne, Namens Hauschultz. Beide räumten nun in der Anstalt auf. Die Stellen des dritten und vierten Arztes wurden ohne Weiteres als vacant angezeigt. Die Stelle des dritten Arztes hatte Dr. Sager aus Schleswig inne, welcher bereits sieben Jahre zur besonderen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten an der Anstalt gewirkt hatte. Dem Dr. Sager wurden Seitens der Direction die Fragen vorgelegt, ob er während des Aufstandes gegen Se. Majestät die Waffen getragen, ob er Adressen an die schleswigsche Ständeversammlung unterschrieben, ob er als Arzt in der Insurgenten-Armee gedient habe? Dann wurde ihm, weil er als Arzt in der Insurgenten-Armee gedient habe, am 17. Mai 1859 angezeigt, daß er am 31. Mai gehen könne, daß er seiner Stelle verlustig sei.“

Das war doch selbst für mich, der ich täglich derartige Dinge hörte, etwas zu stark. „Was?“ rief ich, „in dieser Weise hat der ehemalige Unterarzt der dänischen Armee einen der gelehrtesten und verdienstvollsten Irrenärzte im ganzen Lande behandelt? So jagt man ja keine Dienstboten fort …“

„Es ist wörtlich so, wie ich Ihnen erzähle. Wenn Sie wieder nach Schleswig kommen, fragen Sie Dr. Sager selbst, ob es nicht so war.[3] Aber hören Sie weiter. „Der Mensch hat ja deutsche Gefühle!“ rief der ehemalige Unterarzt der dänischen Armee, der seiner medicinischen Kenntniß und Befähigung nach höchstens eine Stelle als Heilgehülfe beim Dr. Sager einnehmen könnte, als ihm im Interesse der Anstalt die dringendsten Vorstellungen gemacht wurden, den verdienstvollen Arzt nicht zu entlassen. An seine Stelle trat ein Candidat der Medicin aus Kopenhagen, Namens Sternberg. Der Reservearzt Dr. Kroll wurde, obschon er der dänischen Sprache vollkommen mächtig war, ohne Weiteres fortgejagt. Er hatte in Kiel studirt und war ein geborner Schleswiger, darin lag ja Vorwurf genug. Auch an seine Stelle trat ein geborner Däne. Sie können sich denken, was das jetzt für eine Wirthschaft in wissenschaftlich-medicinischer Beziehung an der Irrenanstalt sein muß. Man wird doch wahrhaftig nicht so über Nacht aus einem ganz gewöhnlichen Candidaten der Medicin oder aus einem Unterarzt der Armee ein guter Irrenarzt. Noch mehr! Auch der an der Anstalt seit einer Reihe von Jahren fungirende deutsche Prediger wurde fortgejagt – denn anders kann man eine Entlassung, wie die des Dr. Sager, doch nicht nennen – und durch den dänischen Garnisonsprediger in Schleswig ersetzt. Der weggejagte deutsche Prediger verstand und sprach das Dänische vollkommen. Aber darauf kam es ja nicht an. Der neue dänische Prediger ist eines der fanatischsten Werkzeuge der dänischen Sprachpropaganda in dem unglücklichen Lande.“[4]

  1. So charakterisirt den Medicinaldirector Schleißner wörtlich die Preußische Denkschrift.
  2. So wörtlich die preußische Denkschrift.
  3. Herr Dr. Sager bestätigte mir bei meiner Anwesenheit in Schleswig wörtlich dasselbe. G. R.     
  4. So wörtlich die Preußische ministerielle Denkschrift.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_026.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)