Seite:Die Gartenlaube (1858) 751.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


Ich weiß es, welcher von beiden Christabenden würdiger gefeiert worden ist. Den einen in Madrid kann nicht einmal die Erinnerung zu einem erträglichen Bilde umgestalten; den andern im Urwalde malt sie von Jahr zu Jahr mit immer lebendigeren Farben aus. Wenn ich jetzt seiner gedenke, kommt mir die alte liebe Weise immer wieder in den Sinn, und ich möchte fast seufzend ausrufen:

„Ach, wie liegt so weit, ach, wie liegt so weit,
 Was mein einst war!“

Brehm.




Die englische Zeitungs-Industrie.


Alle Erfindungen und Entdeckungen von der ersten an, Abel’s, der zum ersten Male Feuer anmachte, wofür er von seinem Bruder Kain todtgeschlagen ward, bis zur letzten und neuesten wurden und werden von der großen Menge, die niemals das Pulver erfunden hat, immer zunächst todtgeschlagen, wenn’s irgend möglich ist, wenn nicht mit Knütteln, so doch mit Zungen, Federn und der Weisheit des Bestehenden im Allgemeinen. Daß man Erfindern, Entdeckern, d. h. Erlösern der Menschheit, hernach Denkmale setzt, ihre Biographieen und Schicksale der Jugend zur Erweckung und Belehrung, Aufklärung und Erbauung zu lesen gibt, ändert die Thatsache nicht. Auch die nützlichsten, praktischsten Erfindungen wurden zunächst mindestens immer verhöhnt, verspottet und ausgelacht. Man denke an die ersten Eisenbahnen, das erste Dampfschiff. Der Erste, der die Möglichkeit desselben behauptete, wurde dafür bis zu seinem Tode in einem Irrenhause gehalten; der erste thatsächliche Erbauer eines Dampfschiffes in Schottland so lange verhöhnt, bis er sein fertiges Dampfschiff verfaulen ließ, von welchem ein Amerikaner sein Modell nahm, das er in New-York ausführen ließ. Von da kam erst die Erfindung in die alte Welt zurück.

Doch wir können dieses für die ganze Menschheit entehrende Thema nicht verfolgen und erwähnen nur noch zur Einleitung in unsern Artikel, daß es dem ersten Zeitungsherausgeber in England ebenfalls nicht viel besser ging. – Im Jahre 1622 unter Jakob I. kam Nathanael Butter auf den Gedanken, Neuigkeiten aus London nicht mehr schriftlich zu vervielfältigen, sondern regelmäßig zu drucken und zu verkaufen. So druckte er alle Wochen ein Mal ein Quartblatt voll Neuigkeiten und bot sie zum Verkaufe aus. Alle Welt lachte über den blödsinnigen Einfall und die butterige Hoffnung, daß die Leute alle Wochen so viel von dem Quartblatte kaufen würden, um die Kosten zu decken.

Jetzt druckt man in einer Stunde über hundert Mal mehr, als Butter im ganzen Jahre 1622, und macht nach Deckung ungeheuerer Kosten und Zahlung fabelhafter Honorare (z. B. 50 Pfund für einen einzigen Leitartikel, wie dies die Times schon gethan) noch Geld genug, um davon wie ein Fürst leben und eher sterben zu können, als andere Leute.

Auch Butter gewann schon mehr als Brod von seinem wöchentlichen Quartblatte.

In London wird jetzt allein jährlich so viel Zeitungspapier bedruckt, daß man die ganze Erde hineinwickeln könnte, wie ein Butterbrod.

Die Zeitungsschreiberei und Zeitungsindustrie bilden jetzt eine der ersten Künste und Gewerbe. Der Herausgeber und Redacteur wird jetzt nicht mehr gebildet, sondern geboren, wie der Dichter. Dies gilt wenigstens im vollsten Sinne von der englischen Presse, die freier ist, als irgend eine in der Welt, und Summa Summarum regierungsfreundlicher, als irgend eine in der Welt. Wenn die Preß-Polizeibehörden von Deutschland eine Ahnung von der Kunst hätten, wie die freieste und mächtigste Presse in der Welt den regierenden Classen dienstbar gemacht wird, sie würden nie wieder auf den Gedanken kommen, eine Nummer zu confisciren oder dergleichen zu thun, was sie jetzt als richtige Ueberwachung der Presse betrachten und prakticiren.

Kein gewissenhafterer Censor, als der englische „editor“ oder Redacteur. Er riecht mit einem einzigen Schnüffel aus jedem Artikel injuriöse Elemente heraus und wirft ihn weg, corrigirt ihn oder schickt ihn zu diesem Zweck an den Verfasser zurück. Stenographische Berichte, die dem Redner schmeicheln, statt der Welt sagen wollen, was er gesprochen, setzen eine eben so feine Nase voraus, eine noch feinere die Körbe voll täglicher Privatmittheilungen, die benutzt werden müssen, aber ohne den Leuten, die dadurch ihre Privatinteressen fördern wollen, in die Falle zu gehen. Das größte Censoramt und die Cardinaltugend des Editors bilden die trüffelhundfeinnasigen Spürtugenden, stets zu finden und zu wählen, was den Absatz der Zeitung am meisten fördert und der großen Menge am meisten gefallen mag.

Solche freie Presse hat trotz ihrer scheinbaren Allmacht und Allgegenwart ihre Schwäche, ihre Gegengifte in sich selber. Man confiscirt keine mißliebigen Nummern, man unterdrückt keine Zeitung, man bedroht sie nicht einmal, sondern bekämpft sie mit Preßfreiheit. Man gibt Zeitungen gegen Zeitungen und die Times, mit der Niemand concurriren kann, wird dadurch beherrscht, daß ihr die regierenden Classen so viel Privatmittheilungen machen, daß der Redacteur glaubt, aus ihnen die „öffentliche Meinung“ zu erkennen, d. h. die Macht, wodurch der größte Absatz erzielt wird.

Gerade die ungeheuere Masse von freien Zeitungen in England ist deren Gefahrlosigkeit (das begreift nur, wer etwas dahinter geguckt). Die Londoner Zeitungen wickeln schon allein die Erde in bedrucktes Papier. Außerdem hat jede große Stadt Englands ihre tägliche Zeitung; Manchester, Edinburg, Glasgow u. s. w. je drei bis vier.

Diese großen Penny-Zeitungen in der Provinz und London (eine von 40 Foliospalten auf Strohpapier auch nur 1 Penny) formiren eine neue Epoche in der Tagesliteratur. In Amerika hat man’s darin bereits noch weiter gebracht. In New-York gibt’s schoch lange große Zeitungen für einen halben Penny. Eine derselben ward unlängst für 50,000 Pfund verkauft. Sie wird mit einer Hoe’schen Dampfmaschine gedruckt, die in einer Stunde 18–20,000 Exemplare liefert. Ihre Anzeigen bringen jährlich über 20,000 Pfund ein.

Vor einiger Zeit hörte man, daß auch eine Manchester Penny-Zeitung (Manchester Examinor) mit einer Hoe’schen Maschine gedruckt werde. Diese Maschine von dem Amerikaner Hoe wurde bald ein Ereigniß. Ein Engländer kaufte sich das Patent für England und Frankreich für eine fabelhafte Summe und baute zuerst eine Maschine für die Times. Dann bestellte sich Ingram, Eigenthümer der „Illustrated London News“ eine, und die vierte ward für die doppelte Penny-Zeitung: „Morning and Evening Star“ (Morgen- und Abendstern), das Organ der Bright’schen oder radicalen Reformpartei (Manchester-Männer) glücklich ausgeführt, vor einigen Wochen in dem neuen Redactions-Palaste (Salisbury Square, City) aufgestellt und in Thätigkeit gesetzt.

Hier in diesem neuen Wunderpalaste einer Penny-Zeitung sah ich das Wunder von neuer Dampfpresse zum ersten Male arbeiten (mit Hülfe eines deutschen Sub–Redacteurs, die Anderen machten Schwierigkeiten). Zunächst welch’ eine Frucht der Penny-Zeitungsliteratur in diesem neuen, massiven Palaste, blos für Redaction und Druck des „Star“ gebaut! Unten die Maschinerie. Parterre Anzeigen und Verkauf. Eine Treppe hoch langer Corridor mit numerirten Zimmern an beiden Seiten, alle substantiell und bequem mit glänzenden Arbeitstischen, Fächern, Karten, Sopha’s, Teppichen u. s. w. ausgestattet für den Haupt-, für den Con- und Subredacteur, für den Redacteur des Auswärtigen, des Innern, die Polizei- und Gerichtsabtheilungen, Correctoren u. s. w., u. s. w. Oben drüber großer Saal für Setzer und Drucker mit allen möglichen Bequemlichkeiten, Sprachröhren, Winden und Flaschenzügen zwischen Unter- und Oberwelt. In ersterer pfeift und schnaubt und donnert alle Nachmittage und Nächte der gigantischste und niedlichste aller dampfbelebten Käfer.

So sieht sie aus, die Hoe’sche Horizontal-Dampfmaschinenpresse, wie ein ungeheuerer Käfer, vielleicht mehr wie eine riesige Kreuzspinne. In der Mitte der Rumpf, der sich horizontal drehende, auf einem Zwölftel seines Mantels die gesetzten Typen der ganzen Zeitung enthaltende Druckcylinder. Die übrigen elf Zwölftel des äußeren Mantels werden von beiden Seiten stets so mit weißen Bogen versehen, daß er während der ganzen Umdrehung seine Typen noch elf Mal abdruckt, also mit jeder einzelnes Umdrehung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_751.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)