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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 49. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Todtenbesuch am Skagerhorn.
Nach wirklichen Begebenheiten mitgetheilt von Ernst Willkomm.




I.
Ein Seemannshaus.

Am breiten Quai der Trave in Lübeck liegt ein altes Haus mit hohem ausgezackten Giebel, das unter den vielen höchst interessanten Baulichkeiten dieser an uralten Häusern von seltsamer Form so reichen Stadt eine nähere Besichtigung wohl verdient. Schon daß es vielleicht die älteste bekannte Weinschenke enthält, welche die Stadt besitzen dürfte, kann zum Besuche desselben einladen, mehr jedenfalls verdient es einen solchen des werthvollen Zimmers wegen, das wahrscheinlich schon seit ein paar Jahrhunderten als Gastzimmer benutzt worden ist. Eichenes Getäfel, mit kunstreicher Holzschnitzerei verziert, bekleidet die Wände des großen Raumes bis zur sehr hohen Decke hinauf, und hier unter dem Plafond ziehen sich eine Anzahl trefflicher Gemälde um alle vier Seiten des Zimmers, welche die Leidensgeschichte Christi darstellen. Leider sind diese Gemälde kaum mehr zu erkennen. Der Rauch so vieler Jahrzehnte hat sie mit bräunlichem Anfluge überzogen, so daß sie nur wenig von der noch dunkleren, ins Schwarze spielenden Färbung des eichenen Täfelwerkes abstechen.

Vor mehreren Jahren trat ich ab und an in dies merkwürdige Zimmer, das durch sein originelles Schnitzwerk Jedermann anheimeln mußte. Ich betrachtete genau die schon erwähnten Gemälde und notirte mir die darunter in noch immer glänzender Goldschrift befindlichen naiven Verse, in denen die Erklärung jedes einzelnen Bildes enthalten war. Das raubte Zeit, und da man nur entweder bei sehr hellem Wetter oder bei Licht Bilder und Verse entziffern konnte, so mußte ich wiederholt mit der Beschauung dieser Alterthümer mich beschäftigen. Es konnte nicht fehlen, daß mich dies in Berührung brachte mit den Männern, die hier verkehrten und ihren Wein oder Grog tranken. Es waren fast nur Schiffscapitaine, von denen einige sich zur Ruhe gesetzt hatten, die meisten aber, in ihren besten Jahren stehend, noch ihrem Berufe oblagen. Sie waren Alle gesprächig, erzählten gern Scenen aus ihrem Leben und fanden dazu jederzeit Anlaß. Denn bald grüßte die Flagge eines langsam den Strom heraufgleitenden Schiffes durch die Scheiben der hohen, thorartigen Fenster, bald führte Windgebraus und wogendes Wasser die Gedanken der Männer hinaus auf’s Meer.

Seeleute von Bildung haben nicht blos Mancherlei zu erzählen, sie können auch erzählen, vorausgesetzt, daß man sie nicht durch störende Fragen oder ungehörige Bemerkungen im Flusse ihrer Rede unterbricht.

Eines Tages – es war tief im November – betrat ich das Haus bald nach Mittag. Ich fand das große Zimmer fast ganz von Menschen erfüllt und eine ungewöhnlich lebhafte Unterhaltung. Meine Bilderbesichtigung konnte ich, aus Mangel an Platz, nicht fortsetzen, da ich aber mehreren der Anwesenden schon bekannt war und mich mit diesen unterhalten hatte, so forderte man mich auf, einige Zeit zu verweilen. Ich that es gern, denn es hatten sich neue Ankömmlinge eingefunden, die eben von längeren Reisen zurückgekehrt waren. Ihre Schiffe lagen nur wenige Schritte weit vom Hause in der Trave. Schwarze Träger mit rothen Gesichtern waren beschäftigt, die Ladung zu löschen, die bei einigen aus Eisen, bei andern aus Kohlen bestand.

Unter diesen Ankömmlingen fielen mir besonders zwei auf, welche vorzugsweise das Wort führten und offenbar bei ihren Collegen in großer Achtung standen. Leider war gerade der lebhafteste Erzähler schwer zu verstehen. Seine Baßstimme klang rauh und wenn er sprach, kollerten die Worte polternd über seine Lippen, so daß man aufmerksam zuhören mußte, wollte man den Sinn seiner Rede richtig fassen. Der Andere trug ungleich besser vor, stammelte aber dann und wann, besonders wenn man ihn scharf ansah.

Es hatte den ganzen Vormittag schon gestürmt, die Trave ging hoch und überspülte an den niedrigen Uferstellen den Quai. Dies ungestüme Wetter frischte das Gedächtniß der beiden Capitaine auf, und nachdem schon mancherlei Erlebnisse in schwerem Sturmwetter mitgetheilt worden waren, ergriff der Stammelnde von Neuem das Wort, indem sein bisher fröhlich aussehendes Gesicht einen ernsten, fast düstern Ausdruck annahm.

Hansen – so hieß der polternd Sprechende – hatte eben eine seiner kurz gefaßten Erzählungen beendigt und damit den Uebrigen neuen Stoff zu lebhaften Gesprächen geliefert. Petersen, wie sich der Andere nannte, nahm lebhaft Theil daran, bis er die Bemerkungen seiner Gegner mit der Aufforderung beseitigte, man möge ihm längere Zeit Gehör schenken. Sei man dazu geneigt, so wolle er eine Geschichte erzählen, mit der sich nichts von Allem vergleichen lasse, was ihm und den übrigen Anwesenden während ihres Seefahrerlebens begegnet sei.

Sofort ward es still. Die meist schon bejahrten Männer rückten enger zusammen, der gealterte Wirth füllte unaufgefordert die dampfenden Gläser, und Petersen, der dicht beim Ofen in der dunkelsten Ecke des Zimmers saß, begann seine Erzählung, die ich in Folgendem wiederzugeben versuchen will.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_697.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)