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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


Der Rath Braunstein, immerfort ein unsichtbarer Zeuge des Zwiegesprächs, konnte sich kaum enthalten, in einen Beifallsruf auszubrechen. Er trat so nahe wie möglich an die Thür, um kein Wort von einer Unterhaltung zu verlieren, die ihm einem Einblick in Herzen gestattete, welche er weniger kannte, als die Blauberger Bevölkerung. Sonst gleichgültig gegen das, was Mutter und Tochter zu discutiren hatten, waren ihre Gespräche bis dahin spurlos an seinen Ohren vorübergerauscht, trotzdem er bisweilen dicht neben Ihnen gesessen hatte.

„So muß ich Dich dazu zwingen, mein Kind!“ rief die Räthin mit erhobener Stimme.

„Zwingen – Mama,“ lachte Hermine, „Mich zu einer Heirath mit dem Lieutenant von Fahrenhorst zwingen?“

„Ich habe die Mittel in der Hand!“ drohete die Räthin, ernstlich böse.

„Halt’ ein, Mama! Ehe Du Dich in Deiner Heftigkeit zu tragischen Entschlüssen begeisterst, will ich Dir Geständnisse machen. Ich habe „Jemand“ kennen lernen, der es mir unmöglich macht, eines Andern Gattin zu werden.“

Die Räthin starrte sie erschrocken an.

„Hermine – Du hast Dich verlobt? – Du hast vielleicht dasselbe Schicksal zu erwarten, wie ich?“

Das junge Mädchen schlang in einem Augenblicke vollständiger Ueberwältigung beide Hände zusammen, hob sie mit Inbrundt empor und murmelte kaum hörbar:

„O – wenn ich das hoffen könnte – wenn ich das hoffen könnte – ich wollte gern elf Jahre um ihn dienen und mich seiner würdig machen –!“ Dann ließ sie schnell besonnen die Hände sinken, und rief heiter: „Tröste Dich, Mama – verlobt habe ich mich nicht, werde auch nie darauf hoffen können, dieses Herrn Beifall zu gewinnen, denn er verachtet mich als Mode- und Putznärrin, wie Fama mich ihm genannt hat!“

„Elf Jahre Braut!“ rief während der letzten Worte die Räthin unter einigen Zeichen innerlichen Schauders. – „Du weißt nicht, wie albern Du wünschest. Nein, Hermine, Du feierst nun in kurzer Zeit Deine Verlobung mit Bruno und im nächsten Jahre ist Deine Hochzeit. Das Erbtheil, welches mir von meinem Onkel zugefallen ist, reicht gerade hin, die nothwendige Einzahlungssumme zu schaffen. Daß Du Bruno nicht schwärmerisch liebst, ist mir eine Garantie Deines zukünftigen Glückes.“

„Ich für mein Theil halte Liebe zum Manne für ein Haupterforderniß zur Ehe,“ fiel Hermine sehr gleichmüthig ein.

„Grundfalsche Ansichten, mein Kind! Mein Leben beweist es, daß man durch die treueste Liebe am unglücklichsten wird.“

„Bist Du denn unglücklich, Mama?“ fragte Hermine, halb erschrocken, halb ungläubig.

Die Räthin schlug etwas verwirrt die Augen nieder.

„Ich habe resignirt!“ sagte sie dann mit Pathos „Aber ich will Dich glücklicher wissen. Bruno, mit seiner unaussprechlichen Sorgfalt für Frauen, wird Dich vor dem behüten, was mich elend macht!“ Ein kühles Lächeln Herminens verrieth, daß sie eine andere Meinung von dem weibisch weichen Sinn des Herrn Lieutenant Bruno von Fahrenhorst hatte.

„Glaube mir, mein Kind, und vertraue Du meiner Erfahrung,“ fuhr die Räthin fort, „nur ein Officier ist im Stande, eine Frau vollständig glücklich zu machen, nur ein Officier! Er allein hat den nöthigen Gemüthsfond! – Der Officier allein übt die feinen ritterlichen Artigkeiten gegen das Weib seines Herzens – der Officier allein ist von der Ehrerbietung gegen seine Herzensdame durchdrungen, die uns zu unserm Wohlsein nöthig ist – der Officier allein versteht es, dem Leben seiner Gattin Bedeutung zu verleihen, ihre Stellung zu sichern und seinem Stande gemäß sie in der Welt zu situiren – der Officier allein vergißt über den Pflichten seines Berufes nicht die Gattin, sondern präsentirt sie in dem Lüstre, das sie beanspruchen kann – der Officier allein behält die huldigende Artigkeit bei, die der Verlobte seiner Braut beweiset – der Officier allein hat „Zeit“, sich mit seiner Gattin in den Cirkeln seines Standes zu zeigen! Du wirst es mir erst nach Jahren danken, daß ich für Dein Lebensglück kämpfend auftrete!“

„Liebe Mama, ich danke es Dir schon heute,“ fiel Hermine mit der Stimme der Beschwichtigung ein, konnte aber einen gewissen schelmischen Ausdruck nicht ganz verbergen. „Aber trotz meines Dankes bin ich so undankbar, anderer Meinung zu sein, als Du. Von all’ den schönen Lobpreisungen des Officierstandes hebe ich nur den letzten Passus hervor: „der Officier hat Zeit für seine Frau und deren Vergnügungen“, und setze statt des Wortes „Zeit“ das Wort „Lust“.“

„Verändert dies die Sache?“

„O ja! Nach meinem Dafürhalten ist „Zeit“ und „Lust“ wesentlich verschieden und charakterisirt den Mann. Glaube mir, Mama, wenn Du Dich überwinden wolltest, „Zeit“ und „Lust“ für die Interessen und Vergnügungen meines Vaters zu haben, Du würdest bei Gott keine unglückliche Frau genannt werden können.“

„Welche Ansichten, Hermine! – Was wagst Du zu sagen? Wer hat Dich gelehrt, mich zu tadeln? Willst Du mich böse machen?“ eiferte die Räthin, heftig werdend. „Ich erwarte, daß Du meine Wünsche in Betreff des Lieutenants von Fahrenhorst berücksichtigst, und nun kein Wort weiter über diesen Gegenstand bis zu dem Momente, wo Bruno sein volles Herz gegen Dich ausschütten wird.“

„Mir ist dieser Befehl ganz genehm, liebe Mama,“ erwiderte mit exemplarischer Gelassenheit, die sie jedenfalls von ihrem Vater gelernt hatte, die junge Dame, „aber ich werde in dem Momente seines feurigen Geständnisses dem Herrn Lieutenant mit derselben Offenherzigkeit erklären, daß ich ihn durchaus nicht zum Gatten wünsche, weil ich ihn niemals lieb gewinnen könne.“

„Unverständiges Kind!“ schalt die Räthin. „Aber wir werden sehen, ob Du diesen Vorsatz dem hübschen Freier gegenüber ausführst!“

„Ganz gewiß!“ betheuerte das junge Mädchen.

Die Damen schwiegen jetzt und der lauschende Rath schlicht in sein Zimmer zurück. Er hätte unmöglich mit kaltem Gesichte seiner Tochter entgegentreten können und die tiefe Bewegung seines Innern mochte er doch noch nicht ihrem Blicke preisgeben, da er nicht wußte, ob er sein Gefühl dadurch nicht profanirte. Zu den hervorstechenden Zügen seines Charakters gehörte die Sensibilität. Sich gleichgültigen Augen mit seinen Seelenregungen darzustellen, war ihm zuwider, und wenn er auch die Aeußerungen seiner Tochter günstig für sich auszubeuten berechtigt schien, so blieb doch seine Frau als kühle Beobachterin seiner Herzensrevolution neben ihr.

Aufgeregt betrat er sein Zimmer und ging in unverkennbarer Bewegung mehrmals hastig darin hin und her. Für’s Erste dachte er nur an seine Tochter und sein Herz machte ihm Vorwürfe über die Vernachlässigung, welche er sich rücksichtlich ihrer hatte zu Schulden kommen lassen. Es hatte nur des Hauches der Liebe bedurft, um in ihrer Seele das zu wecken, was ihn stolz auf sie machte, also mußte der echte weibliche Zartsinn nur leise schlummernd in ihr geruht haben und er hatte, in halber Gedankenlosigkeit das Leben verträumend, nie der Mühe sich unterzogen, ihre besseren Gefühle zu erwecken. Eben so klar, wie er fühlte, daß Hermine seiner innigsten Zuneigung werth war, eben so tief war seine Reue und sein Bedauern über die Vergangenheit, die nicht ungeschehen gemacht werden konnte. Aber es lag eine Zukunft vor ihm!

Schnell trat er zu seinem Schreibtische und ergriff das Meisterwerk seiner Morgenstunden, worin er sich gleichsam selbst begraben hatte. Wie ein Wiederauferstandener und in neuer Lebensthätigkeit Aufathmender hieit er das Schreiben an den Minister in seinen Händen. Es kam ihm plötzlich lächerlich vor, daß er sich „zu alt“ für eine Berufsthätigkeit genannt hatte, wie sie ihm von dem Minister dargeboten war. Prüfend durchflog er im Geiste den Kreis der Männer, die für dergleichen Stellungen gewählt zu werden pflegten. War er nicht frischen Geistes? Glühte in ihm nicht die Kraft eines intellectuellen Wesens? Lohnte es sich nicht der Mühe, seine Tochter mit sich hinauf auf eine Höhe des Weltlebens zu ziehen, wo sie, sonnig bestrahlt, glücklich zu werden vermochte? Daß er früherhin, egoistisch seinen Eingebungen nachgebend, dem Rufe nach der Residenz nicht gefolgt war, gereichte ihm weniger zum Vorwurfe, aber wenn er jetzt, nach der Wiederbelebung seines Gemüthes, der Selbstsucht fortgesetzt Folge leisten wollte, so mußte er sich selbst verachten.

Diese Selbstprüfung endete mit einem raschen Entschlusse. Ein Lächeln, das nahe an Humor streifte, flog über seine Mienen, seine Hand zuckte und der Brief, das Opus voll diplomatischer Feinheit, das eine kräftige Zurückweisung aller künftigen Beförderungen enthielt, lag in Stücken vor ihm. Dann setzte er sich nieder und schrieb.

(Fortsetzung folgt.)




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