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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 41. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Ein Kirchhofsgeheimniß.
Mitgetheilt vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Fortsetzung.)


Was ich von dem Wirth erfahren, hatte mir wenigstens eine bestimmte Richtung angezeigt, in welcher ich weiter nachforschen konnte. Und nachforschen mußte ich. Meine Begierde, das Räthsel zu lösen, das mir so seltsam, so nahe entgegengetreten war, war eine zu brennende gewesen, als daß ich nicht die möglichen Versuche zu seiner Lösung hätte machen sollen. Ich konnte diese nur im Amte selbst finden.

Die Aemter zu besuchen, mich mit den Beamten zu unterhalten, das war übrigens gerade der Hauptzweck meiner Reise; dadurch lernte ich am besten, am gründlichsten meine künftige Domaine kennen. Sodann konnte vielleicht der Amtmann mir Auskunft über Nettchen Thalmann, die Freundin meiner Mutter, geben.

Ich machte mich auf den Weg zum Amte.

Vor allen Dingen mußte ich mir bei hellem Tage genau den Schauplatz meines Nachtabenteuers ansehen. Ich ging denselben Weg zurück, den ich gestern Abend gekommen war; so konnte ich mich am besten wieder hinfinden.

Das Amt, das ehemalige Kloster, lag einige hundert Schritte vor dem Städtchen. Es bestand aus mehreren weitläufigen Gebäuden; den Mittelpunkt bildete das alte Klostergebäude selbst. Es war ein langes, dreistöckiges Gebäude mit unzähligen Fenstern und einem hohen, spitzen Schieferdache. Ihm gegenüber lag eine alte, verfallene Kirche, auf der ein dicker, noch wohl erhaltener Thurm stand. Rechts vom Kloster lagen einige Wirthschaftshäuser, hinter ihm ein ziemlich großer Garten. Die sämmtlichen Gebäude waren mit einer hohen, grauen Mauer umgeben. Sie umschloß nur nicht den Garten, der von einer lebendigen Taxushecke eingefaßt war, und nicht die Kirche, die nach außen ganz frei lag. Diese äußere, freie Seite der Kirche stieß unmittelbar auf den Kirchhof. Das Ende des Kirchhofes war durch die Taxushecke von dem Ende des Klostergartens getrennt.

Der Kirchhof war wüst und verfallen, wie ich ihn schon in der Nacht gesehen hatte. Er war schon seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht. Auf den alten, hohen Gräbern wuchsen Nesseln und anderes Unkraut, manche waren ganz eingefallen; Dornen und wildes Strauchwerk aller Art wucherte und rankte überall zwischen den Gräbern umher.

Ich suchte vergeblich irgend eine Stelle, an der ich mich in der Nacht befunden haben möchte. Ich war in zu großer Dunkelheit dagewesen und jede Stelle des Kirchhofs war beinahe wie die anderen; überall Gräber, Nesseln, Strauchwerk.

Mein eigentliches Abenteuer hatte ich in der Nähe einer Mauer gehabt. Es war nur jene Einfassungsmauer des Klosters da. Sie lief eine weite Strecke an dem Kirchhofe entlang bis zu der Taxushecke des Gartens. Ich verfolgte sie hin und her, sie lief immer gerade, ich konnte aber nirgends, weder an ihr selbst, noch in ihrer Nähe, auf dem Kirchhofe einen Platz finden, von dem ich nur mit Wahrscheinlichkeit hätte sagen können, gerade dort sei das Wehklagen gewesen, sei der Schatten an mir vorübergehuscht, sei der Schließer mit seinem Hunde mir erschienen.

Am auffallendsten war mir, daß die Mauer keinen einzigen Ein- oder Ausgang hatte. Woher waren der Schließer und sein Hund auf den Kirchhof gekommen, daß sie schon so bald nach meinem Rufen und so plötzlich, wie aus der Erde hervorgeschossen, hatten vor mir stehen können?

Sie konnten aus der Kirche gekommen sein, denn diese hatte zwei Thüren nach dem Kirchhofe hin, ein großes Portal und eine kleinere Seitenthür. Aber das Portal – ich besichtigte es genau – war überall mit Spinnengeweben umhangen, als ob es seit einem halben Jahrhundert nicht geöffnet worden sei, und das Seitenpförtchen, wahrscheinlich zu der alten Sacristei der Kirche führend, war, obwohl verschlossen, zum Ueberfluß noch mit Bretern vernagelt. Abgesehen davon, hatte ich in der Nacht nicht das geringste Geräusch des Oeffnens einer Thür vernommen.

Es blieb die Gartenhecke. Ich besichtigte auch diese genau, fand aber keine Thür darin. Die Zweige des Taxus waren überall dicht verschlungen. Aber die Stämme standen dennoch mitunter weit genug von einander, daß Jemand einen Weg durch die Hecke hätte finden können; daher konnte der Schließer gekommen sein. Unerklärlich blieb dann freilich, daß ich sein Näherkommen nicht früher vernommen hatte, als bis er schon dicht vor mir war. Der Weg von der Hecke war von Hunderten wilder und rankender Dornen und Brombeersträucher durchschnitten.

Es blieb Alles für mich räthselhaft, wie es gewesen war.

Und ein neues Räthsel kam hinzu.

Ich war an der Taxushecke des Gartens ein paar Mal auf- und abgegangen, sinnend, manchmal stehen bleibend. Ich schritt noch einmal an ihr entlang und diesmal kehrte ich nicht an ihrem Ende um, sondern ging weiter. Ich war rasch gegangen und stand auf einmal jenseits ihres letzten Stammes, als ich plötzlich ein sonderbares Bild vor mir sah.

Mit der Taxushecke ging dort auch der Kirchhof zu Ende. Die Hecke lief in einen kleinen, scharfen Winkel, und in demselben befand sich ein Pförtchen, aus dem Amts- oder Klostergarten auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 581. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_581.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)