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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

ich vorbeigekommen, auf dessen Kirchhofe ich ein seltsames, noch nicht entwickeltes Abenteuer bestanden hatte. Ich folgte der Straße. Sie führte mich den Lichtern entgegen und bald war ich an den ersten Häusern der Stadt Z. Es war ein offenes Landstädtchen. Ich klopfte an eins der Häuser und fragte nach dem besten Gasthofe der Stadt. Ein dienstfertiger Bursche führte mich bereitwillig dahin.

Meine Neugierde, Näheres über mein Abenteuer zu erfahren, war groß genug; ich mußte ihre Befriedigung auf morgen verschieben. In dem Wirthshause war nur noch ein schläfriges Dienstmädchen wach; von ihr hätte ich schwerlich befriedigende Auskunft erhalten können.

Am andern Morgen war mir doch zuerst der Auftrag meiner Mutter heilig, mich in Z. nach ihrer Jugendfreundin zu erkundigen. Allein welche Anhaltepunkte sollte ich dafür auffinden? Wer konnte mir Auskunft geben über eine Frau, die als Mädchen Nettchen Thalmann geheißen hatte, aus A. gebürtig, vor vielleicht dreißig Jahren an einen Mechanikus unbekannten Namens verheirathet und dann hierher gekommen war?

„Wohnt hier im Orte ein Mechanikus?“ fragte ich den Wirth.

„O, mein Herr, unsere Stadt hat sogar zwei, und beide sind sehr berühmt. Der Eine ist besonders stark in Bruchbändern und der Andere –“

„Ihre Namen, Herr Wirth?“

„Müller heißt der Eine und Schulze der Andere.“

„Verheirathet?“

„Der Eine noch nicht.“

„Aber der Andere?“

„Nicht mehr; er ist Wittwer.“

„Sie wissen wohl nicht, was für eine Geborene seine Frau war?“

„O ja. Sie ist erst im vorigen Jahre gestorben und hieß Therese Schrader.“

„Hat nicht früher noch ein Mechanikus hier gewohnt?“

„Es ist möglich, aber ich erinnere mich nicht. Ich selbst wohne erst seit zwölf Jahren hier.“

„Ist Ihnen der Name Nettchen Thalmann nicht bekannt?“

„Nein.“

Das war also nichts. Ich hatte meine Pflicht gegen meine Mutter erfüllt und konnte nun zur Befriedigung meiner eigenen Neugierde übergehen.

„Ist hier ein Kloster im Orte, Herr Wirth?“

„O ja, mein Herr, aber ein aufgehobenes.“

„Ah! War es ein Mönchs- oder Nonnenkloster?“

„Ein Nonnenkloster.“

„Und ist schon lange aufgehoben?“

„Ich habe gehört, schon vor hundert Jahren.“

Eine lebendige, lebendig eingemauerte Nonne hatte ich also unter der Erde an der Klostermauer nicht gehört.

„Teufel!“ rief ich.

„Fällt Ihnen das auf, mein Herr?“ fragte der Wirth.

„Nicht im Geringsten. – Welche Bestimmung hat das Kloster gegenwärtig?“

„Das Amt ist darin.“

„Das Amt?“ rief ich noch verwunderter.

„Gewiß, mein Herr,“ erwiderte belehrend der Gastwirth, „das Justiz- und Rentamt, denn die moderne französische Revolutionscultur ist noch nicht bis zu uns gedrungen und bei uns zu Lande sind Justiz und Verwaltung glücklicher Weise noch nicht getrennt.“

Ich bedurfte der Belehrung nicht; ich mußte nur Auskunft über mein Abenteuer haben und fragte deshalb weiter:

„Wohnen auch die Beamten des Amtes in dem Kloster?“

„Sie haben ihre Amtswohnungen darin.“

„Alle?“

„Mit Ausnahme einiger Schreiber.“

„Sind Ihnen die Beamten bekannt?“

„Gewiß.“

„Kennen Sie einen alten Mann unter ihnen, groß, stark, fast ein Riese und von finsterem Aussehen?“

„Ja, ja.“

„Er trägt ein langes, weites, graues Kamisol, eine Pelzmütze –“

„Richtig, richtig!“

„Führt einen riesengroßen Hund bei sich?“

„Der Hund sieht braun aus.“

„Sie kennen ihn also genau?“

„O ja, es ist der Schließer des Amtes, Martin Kraus.“

„Schließer?“

„Oder Gefangenwärter, wie man auch sagt.“

Welch’ ein Licht wollte mir da auf einmal aufgehen! Welch’ ein trübes, fürchterliches, entsetzliches Licht!

Der Schließer, der Gefangenwärter des Amtes hatte mich gestern Abend, vielmehr heute Nacht, in der Mitternachtsstunde gehört, als ich die seltsam und schrecklich klingenden Klagetöne vernommen und dem Klagenden meine Hülfe angeboten hatte! Er hatte also auch jene Klagetöne gehört. Er war vielleicht zu dem Klagenden eingetreten, als die Töne plötzlich verstummten. Er hatte die Thür geöffnet, deren Knarren ich vernommen hatte. Er, der Schließer! Ein Gefangener, ein Gefangener des Gerichts hatte also gestöhnt, geklagt, gejammert.

Aber da unten in der Erde? Unter der Klostermauer? An dem alten, verwüsteten Kirchhofe? Vielleicht unter diesem, unter den Gräbern? Wie konnte ein Gerichtsgefangener dahin kommen? Und warum hatte der Mann mich, der ich in der Nähe der Klagetöne gewesen war, mit solchem obrigkeitlichen Mißtrauen behandelt und, als ich ihn nach ihnen gefragt, mit solcher obrigkeitlicher Grobheit abgefertigt? Kam ich da nicht aus einem Geheimniß in ein anderes, geheimnißvolleres, aber auch schreckenvolleres?

„Hat das Amt viele Gefangene?“ fragte ich den Wirth weiter.

„Es fallen immer Verbrechen vor, wenn auch nicht schwere. Ein paar Dutzend Menschen mögen da sitzen.“

„Wo sind die Gefängnisse?“

„In einem Klosterhause, das zum Stockhause eingerichtet ist.“

„Liegt das Stockhaus nach dem alten Kirchhofe hin?“

„Nein, gerade auf der andern Seite, nach der Stadt zu.“

„Herr Wirth, erzählt man sich nicht Spuk- und Gespenstergeschichten von dem alten Kloster?“

„Von welchem alten Kloster erzählte man sich die nicht!“

„Von welcher Art zum Beispiel hier?“

„Mein Herr,“ erwiderte mir der Wirth mit großer Selbstgenugthuung, „den Glauben an Märchen und Gespenstergeschichten überlasse ich den ungebildeten Classen.“

„Aber man kann sich doch davon erzählen, Herr Wirth!“

„Auch damit gebe ich mich nicht ab.“

Auch mit meinen Fragen über mein Abenteuer war ich nun zu Ende; sie waren aber gleichfalls ohne Resultat, doch nicht ganz ohne allen Erfolg.

(Fortsetzung folgt.)




Indianische Räuber.

Seit die Weißen in Amerika die rothen Bewohner des Landes von dem Boden ihrer Väter zu verdrängen begannen, haben zahllose blutige Kämpfe zwischen den beiden Racen stattgefunden. Die Indianer übten überall und bei jeder Gelegenheit durch Rauben und Morden und Sengen die gräßlichste Wiedervergeltung an ihren weißen Gegnern, die ihnen auch nicht eine Wohlthat gebracht hatten, wohl aber neue Laster, neue Krankheiten und das Gift des verlockenden „Feuerwassers.“ Haarsträubende Scenen dieses vier Jahrhunderte alten Kampfes sind in Reisebeschreibungen, Romanen und andern Schriften zu Tausenden geschildert worden, bis man endlich, des Einerlei des Gräßlichen müde, schon seit vielen Jahren fast aufgehört hat, von neuen blutigen Thaten solcher Art zu erzählen. Das große Publicum, dem die Lage der Dinge in Amerika nicht so genau bekannt sein kann, glaubt nun, es gäbe gar keine Feindseligkeiten mehr zwischen Indianern und Weißen. Die Rothhäute sind freilich aus vielen Gegenden des Landes lange und gänzlich verdrängt, aber im „fernen Westen“, an den Grenzen der Ansiedlungen der Weißen, in Minnesota, in Iowa, in Californien, in Texas,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_568.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2018)