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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

strebt, ist: den Cabineten Europa’s jenen Geist der Mäßigung und Achtung vor den Rechten und dem Besitze der unabhängigen Staaten einzuflößen, von dem er selbst beseelt ist. Oesterreich wünscht eine Ordnung der Dinge, die vermöge einer weisen Vertheilung der Macht die Bürgschaft des Friedens unter die Aegide einer Verbindung unabhängiger Staaten setzt.“

„Sprechen Sie deutlicher,“ unterbrach ihn Napoleon, „und kommen wir zum Ziele; aber vergessen Sie nicht, daß ich Soldat bin, der lieber den Handel abbricht, als sich unter das Joch beugt. Ich habe Ihnen Illyrien angeboten, damit Sie neutral bleiben; genügt Ihnen das? Meine Armee reicht vollkommen hin, die Russen und Preußen zur Raison zu bringen, was ich von Ihnen verlange, ist Ihre Neutralität.“

Der Kaiser, welcher eine zustimmende Antwort erwartete, richtete seine Blicke fragend auf Metternich, dieser aber schwieg. Da regte sich in Napoleon die vulcanische Natur des geborenen Corsen, seine Lippen zuckten von der inneren Bewegung, seine marmorkalten Züge verzerrten sich und seine Augen schossen ihre Blitze auf den ruhigen Diplomaten. Mit hastigen Schritten, die Hände, in denen er den bekannten dreieckigen Hut hielt, auf dem Rücken, stürmte er durch das Cabinet in das benachbarte Zimmer, wo die Karten und Pläne aufbewahrt wurden. Metternich blieb an seiner Seite und suchte den Aufgebrachten zu besänftigen, indem er ihn von der Nothwendigkeit überzeugen wollte, von französischer Seite für den Frieden der Welt die geforderten Opfer zu bringen.

„Wie?“ schrie Napoleon mit erhobener Stimme, „nicht blos Illyrien? auch die Rückkehr des Papstes nach Rom! und Polen und das Aufgeben von Spanien! und Holland, den Rheinbund und die Schweiz! Das nennt Ihr also den Geist der Mäßigung, der Euch beseelt? Mit einem Federzuge vermeint Ihr, die Wälle von Danzig, Küstrin, Glogau, Magdeburg, Wesel, Mainz, Antwerpen, Alessandria, Mantua, der stärksten Festungen in Europa, fallen zu machen, deren Schlüssel ich mir durch wiederholte Siege erobert habe? Und ich, gehorsam Euerer Politik, soll Europa, das ich noch zur Hälfte besetzt halte, räumen, meine Legionen mit gesenktem Gewehr hinter den Rhein, die Alpen, die Pyrenäen zurückführen, einen Vertrag unterschreiben, der nur eine riesenhafte Capitulation wäre, und mich wegen einer unsicheren Zukunft auf den Edelmuth derjenigen verlassen, deren Sieger ich heute bin? Zu einer Zeit, wo meine Fahnen noch an den Mündungen der Welchsel, an den Ufern der Donau wehen, wo meine Armee triumphirend an den Thoren von Berlin und Breslau steht, wo ich selbst an der Spitze von dreimalhunderttausend Mann mich hier befinde, schmeichelt sich Oesterreich, mich zu veranlassen, solche Bedingungen zu unterzeichnen? Ohne den Degen zu ziehen – eine solche Zumuthung ist Beschimpfung. Hat Sie mein Schwiegervater hierher geschickt? In welche Stellung will er mich gegenüber dem französischen Volke bringen?“

Plötzlich, wie von einem neuen Gedanken ergriffen, wandte er sich mit kaltem Hohn an den österreichischen Staatsmann mit der verletzenden Frage:

„Ei, Metternich, wie viel hat England Ihnen geboten, um gegen mich eine solche Rolle zu spielen?“

Den schwer Beleidigten verließ seine gewohnte Ruhe und Fassung nicht, nur eine schnell vorübergehende Blässe verrieth den Schmerz über die ihm widerfahrene Kränkung, die er nicht verdient zu haben glaubte. Im Eifer des Gesprächs hatte Napoleon, ob aus Zufall oder mit Absicht, mag unentschieden bleiben, den kleinen welthistorischen Hut auf den Boden fallen lassen. Beide bemerkten diesen Zwischenfall und der Kaiser schien zu erwarten, daß der Diplomat sich beeilen würde, diese Kopfbedeckung aufzuheben und ihm zu überreichen. Vielleicht wollte er an diese unbedeutende Dienstleistung seinen Dank anknüpfen und den Uebergang zu einer Versöhnung und zu einer milderen Sprache finden. Es war ein entscheidender Moment und das Schicksal der Welt ruhte jetzt auf diesem kleinen Hute, der so ruhig am Boden lag.

Stillschweigend und voll Erwartung ging der Kaiser auf der entgegengesetzten Seite, während er Metternich geschickt in die Nähe des Hutes zu bringen wußte. Dieser schritt aber, indem er that, als ob er ihn nicht bemerkte, mit noch größerer Geschicklichkeit darüber hin. Der Abgesandte Oesterreich’s bückte sich nicht.

Zornig biß Napoleon mit knirschenden Zähnen sich auf die bleichen Lippen; dann machte er eine verabschiedende Bewegung, welche Metternich benutzte, um sich zurückzuziehen.

Der Krieg war somit erklärt. Oesterreich’s Beitritt zu der Sache der Verbündeten gesichert.

Am zehnten August verkündigten die Glocken des Rathhauses zu Prag und der Hauptpfarrkirche im Thein langsam die mitternächtige Stunde, denen die Glocken des alten, herrlichen Doms zu St. Veit auf dem Hradschin mit zwölf feierlichen Schlägen antworteten; es war das letzte Stündlein, welches den Friedenshoffnungen jetzt hier geschlagen hatte. – Zu derselben Zeit in später Nacht erließen die Bevollmächtigten von Preußen und Rußland ihre Abschieds-Noten, welche am anderen Morgen Metternich mit einem Schreiber an die französischen Gesandten, den Herzog von Vicenza und den Minister Narbonne, abgehen ließ.

Es war der Absagebrief Oesterreichs an Napoleon, welchem die Kriegserklärung auf dem Fuße folgte, deren Verfasser der bekannte Schriftsteller Gentz, ein geborener Preuße, war.

Theodor jubelte, als er die Nachricht in Teplitz erhielt; er riß sich aus dén Armen seiner Eltern und der einzigen Schwester, die er überaus zärtlich liebte.

„Geh’ mit Gott,“ sagte der würdige Vater beim Abschiede. „Thue Deine Pflicht, schone nicht Dein Leben, wo es gilt, aber setze Dich auch nicht unnöthig der Gefahr aus. Der Himmel segne Dich und Dein Thun.“

Schmerzlicher war die Trennung von der zärtlichen Mutter, die ihren eben erst dem Tode entronnenen Sohn wieder in den Kampf ziehen sah; sie vermochte nicht, die Thränen zu unterdrücken; immer von Neuem umarmte sie den Sohn und hielt ihn fest, als könnte sie nicht von ihm lassen. Auch seine Schwester Emma warf sich schluchzend an seine Brust.

„Wenn Du stirbst, so werde ich Dich nicht lange überleben,“ sagte sie, von plötzlichen Todesahnungen erfaßt.

„Du bist eine kleine Thörin,“ schalt der Bruder, seine eigene Rührung gewaltsam unterdrückend. „Der Krieg kann nicht lange dauern und ich werde mit Gottes Hülfe als Sieger zu Euch zurückkehren und meine Emma wohl dann als die Braut eines wackern Mannes wiederfinden. Oder ich bringe Dir den Bräutigam mit. Mein Freund, der wackere Friesen, der Dich nur aus Deinen Briefen an mich kennt, liebt Dich schon, ohne Dich gesehen zu haben. Soll ich ihn von Dir grüßen?“

„Grüße ihn; als Dein Freund ist auch er mir durch Deine Schilderung werth geworden,“ entgegnete die Jungfrau mit sanftem Erröthen.

„O, wenn Du ihn erst kennen lernen wirst, er wird Dir schon gefallen! Er ist der schönste Mann, den ich gesehen habe, schön, wie ein Apoll, und tapfer, wie Achill. Ihr Beide sollt und müßt ein Paar werden.“

So scherzte Theodor in der Abschiedsstunde, den eigenen Schmerz verbergend und die Seinigen aufrichtend. Doch es bedurfte dessen kaum, denn seine Familie besaß den besten Schutz in ihrem tiefen religiösen Gefühl und in ihrer Liebe zu dem Vaterlande, dem sie mit freudigem Herzen jedes Opfer und selbst das höchste brachten. In jenen denkwürdigen Tagen waren die Gemüther Aller von dem gleichen Geiste der Hingebung und des Gottvertrauens erfüllt; der patriotische Sinn war in der ganzen Nation erwacht und bewirkte wahrhafte Wunder. Jünglinge wurden zu Helden und Mütter sahen mit Stolz auf ihre Söhne, die sich freudig in den Kampf stürzten; schwache Frauen dachten und handelten, wie die gepriesenen Weiber Sparta’s und Roms, mit antikem Sinne den Verlust der theuersten Kinder tragend. Alle kleinlichen und egoistischen Gedanken schwanden vor der einen großen Idee, welche alle Herzen höher schlagen ließ.

Es war eine große und schöne Zeit der Erhebung, Prüfung und Läuterung.

Noch einmal kniete Theodor vor seine Mutter hin und bat um ihren Segen.

„Gott mit Dir und unserem Vaterlande,“ flüsterte sie mit bebender Stimme.

Ihre Augen leuchteten in überirdischem Glanze, sie weinte nicht mehr, sondern blickte mit begeisterter Zuversicht zu dem Himmel empor, in dessen Schutz sie ihren Liebling empfahl.

Erschüttert richtete sich der Sohn empor und drückte noch einen innigen Kuß auf ihre bleichen Lippen, dann reichte er dem Vater und der Schwester seine Hände und stürzte durch die Thür nach dem Wagen, der ihn unten erwartete. Sein nächstes Reiseziel waren Breslau und Berlin, von wo er zu seinem Corps zu stoßen

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