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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Die Rolle hast Du mir aus der Seele geschrieben. Es ist mir, so oft ich sie ansehe, gerade so zu Muthe, als wären es meine eigenen Gedanken und Gefühle, die Du mir abgelauscht, als wäre ihr Geschick das meinige, als müßte ich einst, wie sie, mit Dir für das Vaterland sterben und als ein heiliges Opfer der guten Sache fallen.“

Während die Schauspielerin so sprach, leuchteten ihre Augen von einem überirdischen Glanze und sie schien dem Dichter selbst wie die Verkörperung jener idealen Heldenjungfrau in seinem Trauerspiele, die, ihres Vaters würdig, den Tod der Schande vorzieht und durch die Hand ihres geliebten Juranitsch wie eine edle Römerin zu sterben weiß.

Eben wollte Theodor ihr mit gleichem Enthusiasmus antworten, als die Glocke des Souffleurs den Beginn der Vorstellung verkündigte. Er hatte nur noch so viel Zeit, um einen innigen Kuß auf die Hand der Geliebten zu drücken, welche auf die andere Seite eilte, wo sie ihr Stichwort zu erwarten hatte. Das kurze Gespräch mit Toni hatte ihn wunderbar gekräftigt und alle seine Befürchtungen verscheucht. Das alte Vertrauen war zurückgekehrt, die Spannung verschwunden, und als der Vorhang langsam in die Höhe rauschte, vermochte er der Aufführung mit einer Ruhe zu folgen, als handelte es sich um das Werk eines andern und ihm völlig fremden Dichters.

Eine athemlose Stille herrschte in dem vollen Hause bei den ersten Scenen, allmähllch wurde das Publicum wärmer und folgte dem Verlaufe der Handlung mit wohlverdienter Theilnahme, die sich bereits im zweiten Aufzuge zu mehrfachen Ausbrüchen des lauten Enthusiasmus steigerte. Besonders sprach die Scene zwischen den Liebenden an, welche meisterhaft gespielt wurde. Juranitsch stürzte fort zum neuen Kampfe und ließ die geliebte Braut zurück. Toni sprach als „Helene“ den schönen Monolog mit einer Innigkeit und Zartheit, welche das Publicum zur Bewunderung hinriß; sie hauchte in wunderbar rührenden Tönen ihre Klagen aus:

Leb’ wohl, leb’ wohl! – Müßt’ er mich jetzt verlassen?
Mir wird das Herz so voll, wenn ich ihn sehe,
Die Luft ist mir so süß in seiner Nähe –
Die Glückliche, sie darf ihn stets umfassen.
Daß all’ die schönen Farben so verblassen!
Daß ich den einen Strahl nie wiedersehe!
Ach Gott! – mir war so wohl in seiner Nähe,
Und jetzt bin ich so einsam und verlassen! –
Wo ist er hin? – wo ist mein Stern geblieben? –
Von kühnem Geist nach stolzer Bahn getrieben,
Nein, wie sein Herz, unendlich, wie mein Lieben! –
Ich träume schwer; die Burgen seh’ ich rauchen!
Könnt’ ich mein Herz in seine Seele tauchen,
Der Ahnung Qual in Thränen auszuhauchen!

Als sie geendet hatte, ging anfänglich nur ein leises Gemurmel des Beifalls durch die Räume des Theaters. Die Zuschauer waren noch zu ergriffen, um sogleich durch ein rohes Händeklatschen den mächtigen Eindruck zu stören. Erst wie sie langsam die Bühne verließ, folgte ihr der laute Sturm der Bewunderung nach. – Theodor selbst war auf das Tiefste erschüttert, seine eigenen Verse erhielten in dem Munde der Künstlerin eine fast prophetische Bedeutung. Ein Schauer erfaßte ihn und seine Augen wurden naß. Als sie an ihm vorüberging, vermochte er kaum, ihr zu danken. Sie schien ihn zu verstehen und lächelte ihn freundlich an.

Der fernere Verlauf der Darstellung entsprach vollkommen der erregten Erwartung, von Scene zu Scene wuchs der Beifall des Publicums und als am Schlusse die Gattin Zriny’s mit der Fackel auf dem Pulverthurme stand, die Heldenschaar zum Tode gerüstet sich auf die Feinde stürzte, da fiel der Vorhang unter dem tobenden Jubel der begeisterten Zuschauer, welche wiederholt den Namen des gefeierten Verfassers riefen. Besonders waren die anwesenden Ungarn entzückt von der Verherrlichung ihres vaterländischen Leonidas, aber auch die guten Wiener wurden von dem Heldentode Zriny’s mächtig ergriffen und fühlten die nahe liegende Bedeutung des zeitgemäßen Stoffes, welcher auf die immer mehr hervortretenden Sympathien für die Befreiung Deutschlands von dem Joche des fremden Unterdrückers anzuspielen schien.

Alle diese Umstände vereinigten sich, dem Verfasser eine bisher in den Räumen des Burgtheatsrs noch nie erhörte Auszeichnung zu verschaffen. Es war fast das erste Beispiel, daß ein Dichter, der nicht zugleich Schauspieler gewesen wäre, von dem Publicum in dieser Weise geehrt wurde. Körner nahm auch deshalb Anstand, dem immer stürmischer werdenden Rufe sogleich Folge zu leisten, aber das aufgeregte Haus gab nicht eher nach, bis er, von dem Schauspieler Grüner fast mit Gewalt fortgezogen, auf der Bühne erschien.

Es war ein in seinem Leben unvergeßlicher Augenblick.

Die Herren begrüßten ihn mit wiederholtem Zuruf, die Frauen, und darunter die schönsten und vornehmsten Damen der Wiener Aristokratie, lehnten sich weit vor über die Brüstung ihrer Logen, um den Gefeierten zu sehen.

Theodor bedurfte einiger Augenblicke, um sich zu sammeln und seinen Dank in schmuckloser Rede auszudrücken.

„Ich fühle es deutlich in mir,“ sagte er mit bebender Stimme, „daß ich diesen schönen Zuruf nicht meiner schülerhaften Muse, nein! nur dem schönen Eifer des edlen Künstlervereins und dem begeisternden Andenken an die große That einer großen Nation zu danken habe.“

Als der Vorhang zum letzten Mal am heutigen Abend gefallen, der Jubel verbraust und die Glückwünsche der ihn umringenden Schauspieler verstummt waren, suchten seine Blicke die holde Braut, welche mit vor Seligkeit strahlenden Augen ihm die Hand reichte.

„O!“ flüsterte sie, sich innig anschmiegend, „ich bin so glücklich mit Dir, daß ich mich fast vor unserem Glücke fürchte.“

„Wie kommst Du zu solchen Gedanken?“

„Mir ist es immer, als drohte unserer Liebe ein schweres Mißgeschick.“

„Was auch kommen mag, unsere Liebe wird jede Prüfung bestehen. Ich bin Dein auf ewig.“

„Ewig!“ wiederholte Toni mit nachdrucksvoller Bedeutung.




II.

Einige Tage war von nichts Anderem in Wien die Rede, als von dem Erfolge des jungen Dichters und von seinem Trauerspiele. Alle Welt wollte das Stück sehen und den Verfasser kennen lernen. Sämmtliche Plätze für die nächsten Vorstellungen waren schon im Voraus vergeben, die Billete wurden weit über den gewöhnlichen Preis bezahlt. Theoder fehlte es nicht an Einladungen und Beweisen der ehrenvollsten Theilnahme von Seiten der ersten Wiener Häuser. Selbst die Salons der Aristokratie standen ihm offen und mancher schöne und sonst so stolze Mund hatte für ihn ein freundliches Lächeln und ein aufmunterndes, selbst zuvorkommendes Wort.

Es gehörte schon ein hoher Grad von Charakterfestigkeit dazu, um nicht der gewöhnlichen Eitelkeit zu verfallen und sich von dem allgemein gestreuten Weihrauch nicht betäuben zu lassen. Zum Glück besaß Körner nicht jene Selbstüberschätzung, woran so manches schöne Talent schon zu Grunde gegangen ist. Außerdem hatte er an dem trefflichen Vater und an den Freunden desselben, besonders an Humboldt, die besten und zugleich schärfsten Beurtheiler seiner Leistungen, die ihn weder durch Schmeicheleien einwiegten, noch durch übermäßige Strenge entmuthigten.

Das Glück war ihm in dieser wie in jeder anderen Beziehung auffallend günstig. Mit zweiundzwanzig Jahren hatte er bereits einen hervorragenden Namen in der deutschen Literatur und noch dazu auf dem überaus schwankenden Boden des Drama’s eine fast gesicherte Stellung sich errungen. Seine Eltern legten ihm ferner keine Hindernisse in den Weg bei der Wahl seines Berufes und ihre Wohlhabenheit und Freigebigkeit schützten ihn vor der gemeinen Sorge des Lebens. Der bekannte und hochgeachtete Name seines Vaters erleichterte ihm den Eintritt in die Gesellschaft, öffnete ihm die besten Kreise, welche sonst selbst dem Verdienste schwer zugänglich sind, verschaffte ihm Freunde, die ihn nach allen Seiten förderten, und ebnete alle seine Pfade. Zu dem Allen kam noch die Liebe einer schönen, geistreichen und tugendhaften Künstlerin, die er in kurzer Zeit als sein holdes Weib heimzuführen gedachte. Und als wollte das Geschick nicht müde werden, seinen Liebling mit reichen Gaben zu überschütten, so fügte es zu dem Uebrigen noch neue und gewichtige Gunstbezeigungen hinzu.

Kaum waren einige Tage nach der ersten Aufführung des Zriny verstrichen, so beeilte sich der kaiserliche Theaterintendant, Fürst Lobkowitz, den Dichter für immer in Wien zu fesseln, indem er ihm jetzt von freien Stücken die Stelle eines Hof-Theaterdichters mit einem für die damaligen Verhältnisse ganz ansehnlichen Gehalte antrug. Körner nahm dies Anerbieten an, um so bald als

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