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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

studirte, contrahirt und man wollte auf Hieb losgehen. Wir hatten von den Göttinger Teutonen ein paar sehr schöne Korbschläger zum Geschenk erhalten und diese kamen am zweiten Pfingsttage zum ersten Male auf die Mensur. Sie wurde auf dem ebenen Platze genommen; wir Zuschauer lagen auf der grünen Halde und rauchten unsere Pfeife Tabak. Solch’ eine Paukerei im Freien sieht malerisch aus. Der Himmel war blau, die Schläger blitzten, der Unparteiische trat vor, die Secundanten stellten sich neben ihre Paukanten, die Zeugen standen abseit, wir Uebrigen bildeten das Publicum. „Auf die Mensur; bindet die Klingen; gebunden ist; los!“ Und dann klirrten die Schläger, bis die Secundanten einsprangen. „Nichts gesessen!“ So wurden einige Gänge gemacht, bis dann wirklich etwas saß oder vielmehr fiel, nämlich ein Ohr des Hallensers. Das war im Jahre 1830. Sieben Jahre nachher kam ich eines Abends nach einer stürmischen Fahrt von Helgoland in Hamburg an. Gegen Mitternacht befand ich mich in Unbescheiden’s Austern- und Delicatessenkeller. Nach einiger Zeit traten mehrere Männer ein; unter ihnen erkannte ich jenen zu Wöllnitz am Ohr beschädigten Hallenser wieder. Wir haben damals einige vergnügte Stunden verplaudert.

Freilich nehmen die Paukereien nicht alle Mal einen so harmlosen Ausgang. An einem abgehauenen Ohre oder einer zerklüfteten Nase oder einem Quartenschmiß durch’s Gesicht liegt am Ende nicht viel; Inhaber und Empfänger muß sich mit der lieben Eitelkeit abzufinden suchen, falls er nicht etwa nur eine kokette, gut geheilte Narbe hat, denn eine solche gilt bei Mädchen und Frauen als Empfehlungsbrief. Aber ein „Lungenfuchser“ war ein böses Ding und ich kenne aus der Zeit meines zweijährigen Aufenthaltes in Jena mehr als einen, der daran zu Grunde gegangen ist. Einen Mann habe ich auf dem Flecke erstechen sehen.

Es gab in Jena eine Teutonia, die zumeist aus solchen Mitgliedern bestand, welche früher zur Burschenschaft gehört hatten, wegen allerlei Irrungen ausgetreten waren und eine eigene Verbindung bildeten. Sie trugen schwarz, roth, gold und grün und hatten anfangs burschenschaftliche Ansichten und Bestrebungen festgehalten; es geht aber allen solchen abgezweigten Vereinen so, daß bald das landsmannschaftliche oder Corpswesen bei ihnen die Oberhand gewinnt. Das war auch 1826 mit den Constantisten der Fall, welche sich vom Burgkeller trennten und bald zu „Vandalen“ wurden. Unter jenen Teutonen waren sehr begabte und tüchtige Leute, namentlich ein durch seine Schweigsamkeit und seine gute Klinge ausgezeichneter Koburger; sodann ein Bremer oder Hannoveraner (ich weiß nicht, ob ich den alten Rups als Calaber au Apulus bezeichnen soll), der als Kenner der Geschichte und der schönen Literatur bedeutend geworden ist und dessen poetische Muse manches schöne und correcte Kind erzeugt. Ein Hallenser hatte dem kleinen Menschen, der auch im Sommer einen grauen Mantel mit langem Kragen und Pelz trug, eine Bärenmütze geschenkt, deren ellenlang herabhängender Sammetbeutel einst orangegelb gewesen sein soll; doch hat wohl in Jena kein Sterblicher gelebt, der beschwören könnte, welche Grundfarbe er eigentlich gehabt. „Rups“ hat die Mütze später am Weserstrande einem Auswanderer geschenkt und so wird jene unvergleichliche Hallisch-Jenensische Kopfzier wohl das Erstaunen der Indianer am Missouri oder Plattefluß erregt haben. Mein wackerer und poetischer Freund von der weiland Teutonia ist friedlich, jovial und grundgutmüthig, aber war auf das Pauken wie versessen. Als er etwa vierzig Mal auf der Mensur gewesen war, gerieth er an einen Burschenschafter, S. aus Weimar, der ihm den rechten Arm von unten bis oben zerstieß und denselben für das ganze Leben unbrauchbar machte. Aber Rups war nicht der Mann, der sich durch solch ein Pech hätte niederschlagen lassen; noch ehe der rechte Arm gänzlich geheilt war, fing er an, mit der linken Hand schreiben und stoßen zu lernen und er ist dann wohl noch zwanzig bis dreißig Mal links losgegangen, Bei manchen Landsmannschaftern war der rechte Arm mit Dreiecken von Stichwunden förmlich übersät, wie eine Forelle mit rothen Flecken. In der Mäderei habe ich gesehen, wie ein Paukant durch Hemd und Haut an die Thür gespießt wurde.

Manche Duelle wurden im Rauthal abgemacht; ich habe aber dasselbe nur zwei Mal betreten. Burschenschafter und Teutonen neckten sich zuweilen, namentlich jene, die noch zusammen in einer Verbindung gewesen waren. Der Gothaer B., neben dem Mecklenburger Buschmann der beste Stößer, war eines Tages, im August 1826, nach Lichtenhain gegangen. Er wollte zu Michaelis sein theologisches Examen machen. Der Teutone G–g aus Oldenburg fing an, ihn zu hänseln; er nannte ihn „einen Mann von Kunitz mit ’nem dicken Koppe,“ suchte ihn auch sonst zu reizen, und das Ende war ein Duell auf Pariser, bei welchem der Teutone L. jenem G. secundirte. B., der mich einstieß, hatte mir gesagt: „ich will ihm nichts thun;“ auch sah man, daß er seinen Gegner schonte. Zum Unglück kam aber auf der Mensur etwas vor, das ich mit Schweigen übergehen will; B. wurde gereizt, drängte den Secundanten zur Seite und rannte eine Querquart durch Brust und Hals G.’s. Das Blut strömte, der Getroffene sank zu Boden und war binnen wenigen Minuten eine Leiche. B. war außer sich; wir brachten ihn sammt seinem treuen weißen Pudel fort und ich habe ihn auch später während der Ferien in meiner Heimath beherbergt und weitergeschafft. Er war ein guter und friedfertiger Mensch. Vier Jahre später sah ich in demselben Rauthale, wie ein Göttinger einem Burschenschafter aus Erfurt den Dickmuskel des Oberarmes mit einem krummen Säbel gleichsam herausschälte, als hätte ein Fleischer ihn handwerksgerecht abgelöst.

Doch genug und übergenug von diesen Paukereien, von denen unsere akademische Jugend leider nicht lassen will und welchen sie durch ihre Sophistereien keine vernünftige Seite abgewinnen wird. Wenn man mit Studenten von Paukereien redet, hört zwar nicht die Gemüthlichkeit auf, wohl aber die Logik; das wollen sie freilich nicht zugeben.

Abgesehen von solchen blutigen Zwischenfällen hatte das Studentenleben in Jena eine sehr heitere Seite, und es war außerdem in der That ganz geeignet, den wechselseitigen Unterricht zu fördern. Das geschah vor Allem in den Kränzchen, in welchen ältere Burschenschafter mit den Neulingen allwöchentlich zusammen kamen. Es gab Fuchs-, Renoncen- und Verbindungskränzchen und in allen ging es sehr ernst und angeregt zu. Der Vorsitzende brachte irgend einen Gegenstand von allgemeinem Belang auf das Tapet, über welchen dann eine Erörterung stattfand. Es wurde darauf gesehen, daß die acht bis zehn Mitglieder eines Kränzchens aus ganz verschiedenen Theilen Deutschlands gebürtig waren, damit der Gedankenaustausch recht mannichfach sei. Das war dann auch durchgängig der Fall und wir Alle denken jetzt noch mit Genuß an jene schönen Stunden zurück, in welchen über Angelegenheiten des vaterländischen Lebens und die Herrlichkeit von Kaiser und Reich und von deutscher Größe warme Worte gesprochen wurden. Diese Kränzchen waren Bildungsanstalten der besten Art und nichts weniger als „demagogisch“. War es etwa eine Sünde, daß die Karlsbader Beschlüsse bei einer gesunden Jugend keine Gunst erfuhren und daß sie zornig darüber war, zu sehen, wie die Befreiungskriege für das große Gesammtvaterland, das Allen so theuer war, keine anderen Früchte gebracht hatte, als Reaction und Demagogenverfolgung? Diese Ansicht war aber, wie die Folge gezeigt hat, nicht auf die Burschenschafter und die Studenten überhaupt beschränkt, sondern durchschwängerte längst die ganze Nation. In der Jenensischen Burschenschaft dachte Niemand an „Anzettelung von Umtrieben“, wie man damals sich auszudrücken pflegte, auch in der sogenannten engern Verbindung nicht.

Diese letztere war eigentlich geheim oder sollte es doch sein. Die Burschenschaft war streng verboten, sie lag aber in den Gemüthern und war nicht auszurotten, deshalb bestand sie fort, nicht öffentlich constituirt, sondern halb und halb geduldet. Aus den mehr als Dreihunderten, welche in Jena unsere Farben trugen, hatten sich etliche dreißig der Tüchtigsten enger aneinander geschlossen und die alte Verfassung angenommen; sie bildeten einen festen Kern, an welchen die Uebrigen gleichsam als Krystalle anschossen. Diese munkelten wohl davon, daß eine engere Verbindung bestehe, und vermutheten auch ganz richtig die einzelnen Mitglieder, aber Gewisses wußten sie nicht. Im Grunde gab es gar nichts, das zu verheimlichen gewesen wäre, allein in jenen Zeiten konnten die Verfolgungen leicht in jedem Augenblicke wieder beginnen und man wollte auch der humanen weimarischen Regierung Verlegenheit ersparen. Sie drückte ein Auge zu, weil sie recht gut wußte, wie es sich mit dem angeblichen Demagogenthum verhielt. Für uns hatte aber der Nimbus des Geheimnißvollen einen großen Reiz und ich erinnere mich sehr gut, wie angeregt ich wurde, als der Anhaltiner L. mir auf einem Morgengange im Paradiese Eröffnungen machte, die dann weiter führten. Die engere Verbindung wählte sich die, welche sie zur Mitgliedschaft geeignet hielt, selbst aus, denn wie und bei wem hätte Jemand sich zum Eintritt melden können?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_494.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)