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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

faseln von einer Göttin, von einer Hebe, von der hetrurischen Form der Theekanne. – Der blanke, blecherne Topf, den Lisette in der Hand hielt, war ein gewöhnliches Klempnerstück, – Lisette selbst keine Göttin, keine Hebe, – aber dennoch stand sie da in jugendlicher, voller Frauenschöne. – An Jahren zählte sie kaum halb so viel, als ihr Mann. Dieser hatte als Wittwer sie genommen. Der Wohlstand, welcher ihn damals – es war nun vier Jahre her – umgab, rückte merklich zusammen durch erlittenes Brandunglück. Das Häuschen war wohl wieder aufgebaut, aber belastet mit Hypotheken, und hatte Meister Friedel in alter Zeit drei, ja zuweilen vier Stühle beschäftigt, so arbeitete er jetzt weit geringer, – er selbst auf dem einen, der Geselle auf dem anderen Stuhle.

Während des Gespräches, welches Meister Friedel in diesem Augenblicke mit seiner Frau führte, arbeitete der Gesell auch wirklich. Das Klippklapp der „Tritte“, der taktmäßige Schlag der „Lade“, der rasselnde Flug des „Schützen“ ging von Hand und Fuß des Burschen aus, welcher hinter dem einen Stuhle saß. Der andere Wirkstuhl, der Stuhl des Meisters, stand nicht nur still, er stand auch leer, und eine Werfte war an ihm nicht „aufgebäumt.“

An diesen leeren Stuhl – kein günstiges Zeichen in einer Tuchmacherwerkstätte, welche nur zwei Stühle aufweist – lehnte sich jetzt der Meister und sagte:

„Lisette, wenn ich auch noch nie zur Messe ging, wenn ich auch draußen keine Kundschaft habe, ich muß es doch thun, muß fort, muß nach Braunschweig. Zeither hat sich’s wohl immer gemacht mit dem Verkauf im Hause und da war es besser, daß wir Kleinen nicht zur Messe gingen, – wir erhielten Spesen und Ungemach und Zeit. – Aber wie es jetzt steht, nein, nein! Bieten mir die Aufkäufer nicht einen Spottpreis? Gestern wieder weniger, als vorgestern. Freilich, freilich,“ seufzte er laut, „täglich wird nun die Wolle billiger, die übernatürlich hinaufgetrieben war, und das drückt täglich tiefer und tiefer die Tuche herab. Lieber Gott, wie wollen wir bestehen, da die Wolle, die jetzt in unsern Tuchen steckt, theuere, viel zu theuere Wolle war?“

„Und wird man in Braunschweig uns mehr zahlen, als uns im Hause der Aufkäufer zahlt?“ fragte sinnend die Meisterin.

„Ich hoffe es, Lisette. Wenigstens glückte es einigen meiner Mitmeister auf der Leipziger Neujahrsmesse, die doch im Ganzen so schlecht war. Im Hause hatte man ihnen vier Groschen weniger für die Elle geboten, als sie dann auf der Messe erhielten. Freilich ist es mit Glückssache. Aber man muß es wagen, – ’s trägt bei achtzehn Stück, die ich nun daliegen habe, gar zu viel aus. Lieber Gott, verloren wird diesmal noch immer, auch wenn wir leidlich verkaufen.“

„Gut, so werde ich reisen, ich will nach Braunschweig,“ erklärte die Meisterin. „Du bleibst daheim, Du pflegst Dich, Du wirst gesund, Dich laß ich nicht reisen in dieser Winterzeit.“

„Gute Frau, die Du bist! Du hinaus, Du, wie würde mich’s dauern! – aber wenn ich nicht könnte, zu verrichten wär’s wohl auch von Dir –“

Da hörte das Klippklapp auf hinter dem Stuhle. Es erklangen die Worte:

„Zu verrichten wär’s auch wohl von mir!“

Und hervor trat der Gesell, Bernhard, genannt der „Glogauer“, weil er aus Glogau war.

„Meister, Sie werden doch die Frau Meisterin nicht reisen lassen? Schicken Sie mich nach Braunschweig,“ sprach der junge, kräftige Bursche, und es war schwer zu entscheiden, ob in diesen Worten mehr Bitte oder Befehl oder Mitleid lag. Er spielte mit seinem vollen, tief schwarzen Barte und sah nur den Meister an. Der Meister sah nach dem Fenster hin und am Fenster vorbei ging eine wohlhabende Bürgerstochter. Dieselbe ging wöchentlich einige Male da vorbei und blickte hinein nach dem einen Webstuhle in der Tuchmacherstube.

„Gucken Sie, Glogauer, gucken Sie, da geht Auguste wieder! Haben Sie denn durchaus nicht Lust? Greifen Sie zu, dann werden Sie kein armer Tuchmacher, werden kein Kleiner, kein Placker sein, wie ich es bin,“ mahnte der Meister.

„Ich habe nichts mit dem Mädchen,“ entgegnete der Gesell und fuhr mit der Hand rasch von dem Barte herab und steckte sie in die Tasche der reinlichen Arbeitsjacke. Schnell drehte er sich um und schritt dem Wirkstuhle zu.

„Glogauer, wenn Sie nach Braunschweig wollen, ich hätte nichts dagegen,“ rief der Meister ihm nach.

„Wir danken schön, Bernhard, wir danken für Ihren guten Willen,“ entschied freundlich die Meisterin, „nach Braunschweig gehe ich selbst. Die Leute hier würden sich ja wundern, – Bernhard, Sie sind wohl ein braver Gesell, aber doch unser Gesell, Sie können nicht für uns zur Messe gehen.“

Der Gesell griff hoch in den „Garnbaum“ seines Stuhles. Das konnte nöthig oder nicht nöthig sein, – aber das Angesicht wurde dabei von der Werfte doch bedeckt. – Gegen den Ausspruch der Meisterin sagte er kein Wort.

Aber die junge Meisterin trat einen Schritt näher zum Gestühl.

„Bernhard,“ sprach sie, „Sie haben uns ohnedies immer beigestanden in unserm Hauswesen, – und wenn Sie das thun wollen auch während meiner Abwesenheit, so würden wir’s dankbar annehmen.“

„Das thut er, daß thut er, Lisette,“ fiel der Meister ein, „da trage nicht Sorge! Nicht wahr, lieber Glogauer?“

„Gewiß, gewiß!“ antwortete dieser und schnellte nun den „Schützen“ durch die Werfte und schlug mit der „Lade“ so eifrig, als wolle er die Zurückweisung verschmerzen oder doch das Gespräch durch das rasche Arbeiten unterbrechen.

Letzteres gelang ihm auch. Die Meistersleute gingen an den Wolltisch. Die Frau half dem Manne beim Sortiren, und der Mann theilte seiner Frau nun Nöthiges mit in Bezug auf die Braunschweiger Messe. Oefters wurde er dabei wieder bedenklich, – er wollte sie in der Winterzeit nicht hinauslassen, – trug auch noch andere Sorgen, wollte es sich noch länger überlegen und wiederholte bittend:

„Gute Lisette, bleibe Du lieber da.“

So oft aber der Meister eine solche Aeußerung that, ging hinter dem Stuhle das Klippklapp langsamer, hörte auch ganz auf, – der Gesell hatte da immer einen Faden zu knüpfen, oder er machte sich zu schaffen am „Garnbaume“ oder an den „Tritten“, – und da ward es still einige Secunden lang und noch länger.

Auch jetzt war es still, – der Meister rieth wieder zum Dableiben.

Da klopfte es an die Thür.

„Das wird Wurm sein, der Wolljude aus Breslau,“ sagte still und wie erschrocken der Gesell vor sich hin.

„Herein!“ rief der Meister.

Nicht ein Breslauer Wolljude, der Arzt trat ein.

Einige Fragen, – einige Mittheilungen, – und der Gesell konnte nun fortarbeiten, brauchte nicht mehr zu pausiren, nicht mehr Fäden zu knüpfen oder am Garnbaume zu drehen. Die Sache war entschieden, – der Arzt ließ den Meister nicht reisen, der Meister aber ließ der Meisterin den Willen, weil der Arzt diesen Willen sehr vernünftig fand.

„Also wirst Du zur Messe gehen,“ sagte der Meister, als der Arzt sich entfernt hatte. „Nun die Tuche, die Tuche, die achtzehn Stück, Lisette! Laß uns rechnen.“

Aus dem Wolltische nahm er Kreide, – aus dem Wandschranke holte sie ein Buch herbei.

„Gut so, gut, liebe Lisette,“ fuhr er fort, „nun erstens die Wolle.“

Die Meisterin sagte an, – und der Meister schrieb mit der Kreide und seufzte.

„Zweitens: die Farbe,“ sprach er dann weiter, „drittens: die Spinnerei, – viertens: die Walke und Appretur, – fünftens: Gesellenlohn – –“

Und die Meisterin sagte an, – und der Meister schrieb, – schrieb mit zitternder Hand.

Das Exempel stand kreideweiß auf dem Wolltische, – kreideweiß spiegelte sich’s ab auf dem Angesichte des Meisters.

Auch die Meisterin erschrak, als sie das Facit der Ziffern und Zahlen übersah, welche sie angesagt hatte aus dem Buche. Sie hielt die Hand vor die Augen und sagte:

„Lieber Mann, wir wollen den Muth nicht verlieren.“

Nun war es still, – ganz still auch hinter dem Wirkstuhle. Die Werfte und der Einschlag ruhten, – es schien, als wolle der Augenblick an der Schicksalswerfte dieser drei Menschen arbeiten.

Hervor trat der Gesell, – er schritt an den Wolltisch, – er löschte das Wort: „Gesellenlohn“ weg, – rasch auch die Zahl der Thaler, welche hinter dem Worte stand. – Er sah nur den Meister

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