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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 33. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Oberst Hußlar.
Ein Lebensbild von Ernst Fritze.
(Schluß.)


Der Oberst benutzte die erste Pause, die Therese ihrer zitternden, fast athemlosen Stimme erlaubte, um mit widerspruchsvollem Tone die letzte Bemerkung zurückzuwerfen:

„Was? Gottes Finger? Unser Zusammentreffen? Gnädige Frau, Sie halten mich wohl für einen Komödienvater, aber Gottlob, da irren Sie sich. In meinen Ansichten kann weder Zeit noch Entbehrung etwas ändern und was die Verminderung meiner Vaterfreuden betrifft, so haben Sie mir jetzt eben wenig Lust gemacht, diese durch Ihre persönliche Einwirkung zu vergrößern. Befehlen Sie noch irgend etwas, meine Gnädige, so stehe ich zu Diensten, sonst aber möchte ich Sie bitten, sich wieder hinter die Coulissen, wohinter Sie das Stichwort Ihrer Rolle abgepaßt haben, zu verziehen, denn wir Beide können nicht in einem Zimmer leben.“

Das Mienenspiel der würdigen Medicinalräthin hatte hinlänglich verrathen, daß sie nichts Anderes erwartet hatte, als diese untröstliche Erwiderung, und Frau Therese, von der Sprödigkeit, woran ihr Sühnungsversuch abprallte, auf’s Aeußerste erschreckt, stand leichenblaß da, bis es ihr gewiß wurde, daß für jetzt und für immer die Brücke abgebrochen war, worauf eine wiederherzustellende Verbindung versucht werden konnte. Sie wagte kein Wort. Sie wußte auch keins. Schmerzlich betroffen, ohnedies leidend, schlug sie mit unsäglich leidendem Ausdrucke die Augen einen blitzschnellen Moment zu dem harten Manne auf und verschwand im Nebenzimmer.

Eine peinliche Stille folgte ihrem Abgange. Der Oberst ließ sich nicht wieder nieder, sondern machte Anstalt, sich zu entfernen. Die Medicinalräthin, eigentlich etwas erzürnt auf Therese, weil sie dennoch, gegen ihren Rath, einen Auftritt herbeigeführt hatte, stellte ihm ein Hinderniß entgegen. Sie klingelte ihrem Mädchen, befahl ihr, dem Oberst Paletot und Mütze zu reichen, fragte, ob der Bediente des Obersten da sei, der ihn zu seiner Wohnung führen könnte, und gab sich keine Mühe, ihre ungnädige Laune irgendwie zu verbergen.

Die alte Dame wußte ihn zu behandeln. Ihr Benehmen hatte den Erfolg, daß er mit sarkastischer Gutmüthigkeit beim Abschiede sagte:

„Gehaben Sie sich wohl, Frau Schwester. Wenn des Schlossers Töchterlein abgereist ist, komme ich wieder, eher aber nicht. Sie hätten wissen können, Dame Weisheit, daß bei meiner Strategie solche Empfindungs- und Ueberraschungsexplosionen verpuffen ohne den mindesten Nachhall. Nun gehen Sie und trösten Sie Ihren weinenden Schützling, denn ohne Thränen geht’s nicht ab – nicht wahr?“

Er lachte und verabschiedete sich.




III.

Acht volle Tage verflossen, ohne daß es dem Obersten einfiel, sich nach dem Wohlbefinden seiner „Frau Schwester“ zu erkundigen. Er fühlte sich behaglich und wohl in seiner sehr netten Wohnung, welche eine Aussicht auf den See und die ihn begrenzenden Berge hatte, und begann unter der Leitung des Wasserheilanstaltarztes seine vorgeschriebene Cur.

Während der Zeit war Frau Therese abgereist. Ihr Aufenthalt, von Anfang bis Ende Mai festgesetzt, kürzte sich des Rencontre’s wegen um einige Tage, da zwischen ihr und der Medicinalräthin nach demselben eine kleine Verstimmung eingetreten war, die ihrem Beisammenleben den sonstigen Reiz raubte. Die junge Frau, von den Vorwürfen der alten Dame belehrt, war tief betrübt über ihren Fehlgriff, den sie sich aus Unkenntniß und Selbstüberschätzung hatte zu Schulden kommen lassen, und es fehlte ihr fast der Muth, ihrem Gatten, der ihr bis zur Hälfte des Weges entgegengereist war, den mißlungenen Versöhnungsversuch zu beichten. Nur ihr eigenthümliches, auf unbeschränktem Vertrauen beruhendes Verhältniß vermochte sie endlich dazu und da war es ihr ein Trost, daß Eberhard nicht allein ihre Handlungsweise vollkommen billigte, sondern den Tadel der alten Tante mit seinen Tröstungen gänzlich entkräftigte. Der junge Mann war empört über die Härte seines Vaters der lieblichen, sanften Frau gegenüber und in seinem Innern regten sich rachsüchtige Gefühle. Was hatte ihm Therese gethan? Wie konnte er sie aus seiner Nähe verweisen, ohne den Versuch zu machen, sie nur oberflächlich zu prüfen? Er überantwortete mit einer stillen Verwünschung denjenigen einer rächenden Nemesis, der ihm zwar das Leben gegeben, aber es ihm auch vergällt hatte.

Und der Himmel erhörte die Bitte des schwer gekränkten Sohnes.

Der Oberst hatte vorsichtig durch seinen Bedienten Erkundigungen einziehen lassen und kam richtig am Tage nach der Abreise Theresens im Hause der Medicinalräthin an. Sie empfing ihn, als wäre nichts vorgefallen.

Unter den leichten und amüsanten Plaudereien, wie der Oberst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_465.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)