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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

daß Ihr einer Schwestersohn „Steine klopft in Amerika“, und der Andere „Locomotivführer“ geworden ist. Es sind schmucke Geschichten, weise Frau Schwester, aber man thut gut, gar nicht daran zu denken. Damit ich’s Ihnen nicht mündlich zu sagen brauche, will ich es schriftlich thun – ein paar Dutzend Federn werde ich wohl dabei zerstampfen vor Aerger – schadet nicht. Eberhard, mein und Ihrer Schwester, Gott hab’ sie selig, Aeltester, schreibt mir eines Tages, daß er nicht länger Krieger in Friedenszeiten bleiben möchte, und bittet mich, ihm zu erlauben, seinen Lieutenant an den Nagel hängen zu dürfen.
„Ich antwortete „quod non!“ Was half mein Vaterwort? Nichts! Er quittirte den Dienst, und ging bei einem Schlosser Harteberg in die Lehre. Klingt das nicht wie ein Märchen – ? Ist so etwas schon in der Welt vorgekommen?“

Die Medicinalräthin unterbrach sich im Vorlesen, und hielt mit einem guten Lächeln ihre Hand der jungen Frau hin, die sie lächelnd und erröthend annahm.

„Ein Vierteljahr darauf schreibt der Taugenichts abermals, und bittet mich um meinen Segen zu einer Verbindung mit Therese, des Schlossers Töchterlein. Ich antwortete kurz und grob: „Thu’, was Du nicht lassen kannst – in’s Haus bringst Du mir Schlossers Töchterlein nicht. Ich habe einst einen Sohn gehabt, der Eberhard hieß und Lieutenant war. Basta.“ Er schreibt und Thereschen schreibt, der alte Schlosser schreibt und die alte Schlosserin schreibt. Schreibt nur, sagte ich und antwortete nicht. Da kommt der Junge angefahren. Ich schließe die Thür zu – er muß unverrichteter Sache zurück, und denken Sie einmal, der Junge stellt sich vor meine verschlossene Thür und ruft: „Vater, laß mich nicht ungehört abreisen, öffne die Thüre, höre meine Entschuldigungen, höre, daß mein Glück davon abhängt – daß ich Therese liebe, wie nichts auf der Welt.“ – Na, weise Frau Schwester, Sie kennen doch solche schönen, hochtrabenden Romanwörter. Ich ließ ihn reden, und öffnete nicht eher, bis er mit dem Schwure: „meine Schwelle nicht eher wieder zu betreten, bis ich mein Unrecht eingesehen hätte,“ fortgegangen war. Er wird sein Schlossertöchterlein wohl geheirathet haben, wenigstens machte mir der hochnäsige Herr Schlosser, der komischer Weise eine adelige Frau geheirathet hatte, und sich deshalb gewiß am liebsten als Schlosser Harteberg, geborner von Kozinsky, unterzeichnen würde, eine schuldige Anzeige, und holte sich meine specielle Erlaubniß „wegen kirchlicher Erfordernisse“ ein.

„Das war vor vier Jahren, hochweise Frau Schwester. Was geschieht im vorigen Jahre? Mein Lothar, der Jurist, schreibt mir, er würde, so ich nichts dagegen hätte, einen Auftrag übernehmen, der ihn nach Amerika führte. Haben Sie je so etwas gehört, daß preußische Juristen Aufträge übernähmen, welche sie nach Amerika führen? Ich antwortete: „Daraus wird nichts, mein Junge!“ Erst kommt keine Antwort auf meinen Brief, dann erhalte ich eine, gestempelt „Hamburg.“ Mosje Lothar ist schon in See, als ich die saubere Epistel, worin er auch Redensarten von „Lebensglück“ beibringt, in Händen halte.

„Nun wissen Sie meine Vaterfreuden, Frau Schwester, und nun bitt’ ich mir aus, daß Sie mich nach nichts fragen. Am achtundzwanzigsten Mai rücke ich ein in Fürstenhall. Miethen Sie mir ein Zimmer, ein Schlafcabinet und ein Bedientenkämmerchen. Alt und elend bin ich, aber sonst noch immer bereit, mich selbst, die ganze Welt und Sie tapfer zu verspotten. Basta.“

„Was sagen Sie zu diesem Zufalle, liebe Nichte?“ fragte die Medicinalräthin in ihrer beliebten Breite, als sie den Brief zusammenfaltete. „Das ist ja fabelhaft – Sie kommen von Norden herunter, um Ihre leidenden Nerven hier zu stärken, und der Oberst kommt von Süden herauf, um wahrscheinlich eine Wassercur zu gebrauchen. – Und ich unglückselige Person bin nun zwischen Euch. – Ja, da möchte ich Ihnen doch rathen, sobald wie möglich abzureisen, liebe Therese.“

Die junge Dame hob schnell ihr feines, bleiches Gesicht zu ihr auf.

„Warum, Tantchen? Meinen Sie, daß des Schlossers Töchterlein sich vor dem Vater ihres Mannes fürchtet?“ fragte sie mit so liebenswürdigem Lächeln, daß man sahe, sie sprach ohne Empfindlichkeit.

„Kind – Sie kennen seine Spottsucht nicht – die kann einen Menschen zermalmen!“

„Nicht doch. Mich wenigstens nicht, mein Tantchen. Des Schlossers Töchterlein ist gestählt – und gestähltes Eisen läßt sich kaum biegen, geschweige zermalmen!“ scherzte sie.

„Freilich wohl, aber es läßt sich brechen, Kind, und ich habe Ihrem Eberhard heilig versprochen, als Mutter über Sie zu wachen. Sie müssen ihm gleich schreiben, was sich ereignet hat, und dann wird er wohl einsehen, daß Sie mit dem Oberst nicht in einem so kleinen Orte zusammenleben können, ohne von ihm zu leiden!“

Die junge Frau hatte während dieser Worte sinnend vor sich hingeblickt. Ein Gedanke schien feuerfangend ihr ganzes Innere zu durchglühen.

„Tantchen,“ begann sie plötzlich, ihr blaues Auge begeistert aufschlagend, „Tantchen, ich bleibe und melde meinem Manne nichts. Mir scheint Gottes Finger in diesem seltsamen Begegnen zu walten; wer weiß, ob es mir nicht gelingt, dieser unseligen Familienzwistigkeit, wovon mir ein gutes Theil zur Last fällt, ein Ende zu machen.“

„Therese, was fällt Ihnen ein?“ rief die alte Dame entsetzt. „Was wollen Sie thun? Sie kennen den Mann nicht, gegen den sie kämpfen wollen. Um’s Himmelswillen, stützen Sie auf diesen Zufall nicht einen Glauben an die Vorsehung – mein Schwager, der Oberst Hußlar, hält nichts von „Gottes Finger“.“

„Ich werde trotzdem bei meinem Vorsatze bleiben,“ meinte die junge Dame mit großer Entschiedenheit. „Pläne entwerfe ich nicht. Hat der Zufall einmal den Ariadnefaden in die Hand genommen, so wird er mich auch richtig zu den Entschlüssen führen, die noth thun. Wo werden Sie den Oberst logiren?“

„Ich – ihn logiren?“ wiederholte die alte Dame mit steigendem Entsetzen. „Was denken Sie? Hier im Hause etwa? Nimmermehr! So weit als möglich fern von meinem Hause. Unten am See sind noch zwei schöne Quartiere – da kann er wohnen. Wenn er wirklich „elend“ ist, wie er schreibt, so wird er mich wenigstens nicht alle Tage incommodiren, da es beinahe eine halbe Stunde entfernt liegt.“

Die junge Frau war theilweise einverstanden mit dieser Anordnung, obwohl ein heißes Mitleiden ihre Brust durchschlich, als sie daran dachte, daß er vielleicht weiblicher Pflege bedürftig war, und dadurch fremden Händen anheim fiel.

Die unerwartete Ankunft des Obersten regte die Medicinalräthin doch mehr auf, als sie eingestehen mochte, und Frau Therese bemerkte mit leisem Lächeln, daß sie nicht so gleichgültig gegen den vornehmen Schwager gesinnt war, wie sie sich den Anschein zu geben sich bemüht hatte. Trotz des weiten Weges machte sie sich selbst auf, um das Quartier unten am See zu besichtigen, und Therese sah, daß ihr die Frau des Portiers mit einem vollgepackten Tragkorbe voll Bequemlichkeiten und seiner Wäsche folgte.

Die junge Frau blieb allein mit ihren Gedanken und sie benutzte diese Zeit, um die ganze Vergangenheit nochmals an ihrem Geiste vorüberziehen zu lassen. Bis dahin hatte sie, zwar nicht gleichgültig, aber doch sehr ruhig alle Ereignisse ertragen, welche zwischen ihrem Gatten und ihrem Schwiegervater eine Kluft aufgerissen. Sie fand von ihrem Gesichtspunkte aus eine unverzeihliche Herrschsucht in des Obersten Widerspruch gegen den Wechsel der Carrière, welche sein Sohn Eberhard für nöthig und dienlich hielt. Den übrigen Streitigkeiten war sie fern geblieben. Erst als sie in Fürstenhall, wohin Eberhard sie mit Zustimmung des Arztes gebracht hatte, durch die Medicinalräthin zu offenherzigen und detaillirten Erzählungen veranlaßt worden war, fiel das Zerwürfniß der Familie schwerer auf ihre Seele und nach der Vorlesung des Briefes jetzt, da fühlte sie ein so echtes, weibliches Erbarmen mit dem verlassenen alten Manne, daß sie ihn knieend um Vergebung hätte anflehen mögen.

In ihrer Brust regte sich das Bewußtsein von der Macht ihrer Liebenswürdigkeit. Sollte es wirklich einem Manne möglich sein, sich bei persönlicher Bekanntschaft noch gegen sie zu verhärten? Sie glaubte es nicht, und sie ging den bevorstehenden kleinen Kampfscenen muthig entgegen. Sie hatte bis dahin nie erfahren, was schweres Leid sei, und als einzige Tochter sehr wohlhabender Eltern, verhätschelt von der Liebe eines sehr liebevollen Bruders, und vergöttert von der Zärtlichkeit eines leidenschaftlichen Gatten, die Lasten des Lebens sehr gering anschlagen lernen.

Ihr Vater war wirklich Schlosser gewesen, hatte sich jedoch im Strudel des Zeitgeistes, auf den Flügeln der Erfindungen emportragen lassen und stand jetzt als Besitzer einer bedeutenden Maschinenfabrik da. Sein Sohn gab dieser Unternehmung die richtige Ausdehnung und der ehemalige Lieutenant Hußlar, von der Liebe

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