Seite:Die Gartenlaube (1858) 448.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Er hatte einem der Herren Künstler im andern Saale gestanden, daß er in der That am Morgen vollständig verhindert gewesen sei, auf die Mairie zu kommen. Sein einziges Paar Schuhe, sagte er, habe der Schuhflicker, sein Landsmann, der Bräutigam nämlich, versprochen, früh zeitig ausgebessert zu bringen. Der Mensch, fuhr der Zeuge fort, ohne ein zweideutiges Lächeln hinter seinem breiten Gesichte ganz verbergen zu können, der arme Mensch aber habe wahrscheinlich in seiner verliebten Sehnsucht auch sein Pech vergessen, und als sie ihn nach der Mairie aufgesucht hätten, um ihn auszuzanken, habe sich der verliebte Bräutigam an die Schuhe erinnert, und eine halbe Stunde lang arbeiten müssen, um ihn in die Kirche mitnehmen zu können.

Dr. B–r.





Ein Austernfang bei Helgoland.
Von C. Reinhardt.

Es gibt kein deutsches Land- oder Seebad, wo sich die Badegäste so aneinander schließen und zusammenhalten, als in Helgoland. Der Grund davon liegt darin, daß die Fremden, auf einen kleinen Raum gebannt, nur wenige Vergnügungen finden und am Ende, von langer Weile geplagt, bei Anderen das Talent, die Zeit todtzuschlagen, vermuthen und suchen, was ihnen selbst nur mit großer Anstrengung und sehr langsam gelingt.

Eine solche Gesellschaft von Zeitmördern war es, in die ich an einem schönen Augustmorgen von der Spitze eines Dünenhügels mit sammt dem Grasbüschel, worauf ich gesessen, hineinfiel, weil sich Jemand den Spaß gemacht, meinen Sitz zu untergraben.

Eine Austernharke.

„Wenn Sie so mit der Thüre in’s Haus fallen,“ sagte Einer, „so kann der Grund Ihrer Eile nur darin liegen, daß Sie uns so schnell als möglich sagen wollen, was wir heute anfangen sollen.“

„Haben Sie schon einmal Austern gegessen?“ fragte ich, mich im Kreise umsehend.

„Wenn das ein neuer Zeitvertreib sein soll,“ antwortete verächtlich eine auf dem Bauche liegende Rothnase, „so können Sie uns eben so gut fragen, ob wir das ABC kennen!“

„Gut, also Sie haben gegessen. Aber haben Sie schon einmal Austern gefangen?“

Das hatte noch Keiner. Ein Doctor erinnerte sich zwar an zwei Weißfischchen, die er vor zwanzig Jahren einmal aus dem Wasser gezogen – aber an Austernfangen hatte er noch nie gedacht, so viel er sonst hinabgeschluckt. Er war der Meinung, daß dieselben von selbst an’s Land kämen, wie die Seehunde, und dann von den Fischern gepackt und verpackt würden, um Gott weiß wie weit von ihrer Heimath bei einem Frühstück mitzuwirken.

Mein Vorschlag, einen Kreuzzug nach der Helgoländer Austernbank zu unternehmen, um den Geburtsort unserer kleinen Freunde kennen zu lernen, fand allgemeinen Beifall, und nachdem ich noch bemerkt, daß zu den vermuthlich zu fangenden und zu verspeisenden Austern auch Wein, Citronen, Semmeln und Pfeffer gehöre, welchen letzteren ich zu liefern versprach, wogegen ich die Anderen ersuchte, das Uebrige zu besorgen, stiegen wir zum Strande herab und ließen uns nach der Insel übersetzen.

Da die Austernfischerei eigentlich erst im September beginnt, so wird im Sommer nur wenig – theils zur Cur, theils zum Vergnügen für Badegäste – gefischt, und wir mußten uns zu diesem Zwecke eine Slup miethen, welche uns, nachdem alles Betreffende abgemacht war, am Landungsstege erwartete.

Ein herrlicher, leichter Wind bog nur hier und da einer Welle den Kopf um, so daß er in weißen Schaum zerfloß, und das Fahrzeug schoß ziemlich gleichmäßig und ohne große Schwankungen auf die Südspitze der Düne zu, beschrieb dort einen Bogen um die Brandungen und lief, Düne und Insel im Rücken, in die See hinaus.

Die Insel blieb weiter und weiter zurück, die Düne sah aus, als wolle sie in’s Meer versinken, und wir segelten immer noch darauf los. Einige unserer Gesellschaft machten trotz des ziemlich ruhigen Ganges der Slup bedenkliche Gesichter, während Andere mit Späherblicken rundum suchten, um „die Bank“ zu entdecken, was bei dem Manne am Steuer ein freundliches Schmunzeln hervorrief. – Als wir ungefähr eine Stunde in dieser Weise gesegelt waren, wobei der Mann am Steuer nach dem Kompaß und ein anderer fortwährend nach der Insel geschaut, sprach der rückwärts Schauende einige helgoländische Worte, worauf der Steuermann das Fahrzeug sofort nordwärts drehte und, nach der Insel blickend, uns erklärte, daß wir jetzt auf der „Bank“ seien und die Austernfischerei angehen werde.

Da mir bekannt war, daß die Seeleute nach Landmarken eine Stelle in der See finden, so sah ich mir die Stellung der Gegenstände auf Düne und Insel genau an und bemerkte, daß der Kirchthurm der Insel gerade über der Nordbake der Düne stand, während der Dünenstrand selbst vom Wasser verdeckt war und nur die Hügel hervorschauten, auf welche Weise die Schiffer Lage und Entfernung der Austernbank sehr gut finden. Diese Leute haben indes; eine solche Gewandtheit, sich auf der See zu orientiren, daß ich glaube, sie würden die Stelle auch in finsterer Nacht treffen.

Unsere Schiffer brachten nun ihre Fangwerkzeuge in Thätigkeit. Dieselben bestehen in einem Sack von eisernen Ringen, etwa wie die eisernen Geldbeutel gearbeitet, welche früher einmal Mode waren, nur ungleich größer. Dieser Sack ist an einem breiten, scharfen Bügel befestigt, der nach hinten zu gebogen in zwei Stangen ausläuft, welche in einem Ringe endigen, durch den das Tau gebunden ist. Dieses Instrument, die „Kurre“ genannt, wird über Bord geworfen und an einem Taue hinten nachgeschleppt, indem das Schiff segelt. Das´ scharfe Eisen reißt dabei die Austern von der Bank los und diese fallen in den Sack.

Wir hatten mit den Fischern zugleich unsere Vorbereitungen getroffen; Citronen wurden zerschnitten, eine Essigflasche erhielt von einem alten Praktikus einen Papierstöpsel, der den Essig nur tropfenweise durchließ, meine Pfefferbüchse stand fertig und Freund Dabbertin aus Hamburg saß da mit aufgestreiften Hemdärmeln. ein kurzes dickes Messer in der Hand und einen Eimer mit Seewasser zwischen den Beinen, in welcher Stellung er mordgierig nach dem Taue sah, die baldige Ankunft der ersten Beute erwartend. Natürlich folgten unsere Blicke den seinen, was einige im Voraus gefüllte Weingläser benutzten, um umzufallen und ihren rothen Inhalt über unsere Beinkleider zu schütten, wofür sie indeß ohne Gnade über Bord geworfen wurden, da, wie der Doctor bemerkte, Diogenes auf der See stets aus der Flasche getrunken hätte. – Jetzt zogen die Fischer das Tau an, bis der Sack aus der See auftauchte, und hoben denselben mit einem Ruck in das Fahrzeug.

Unsere Beute bestand in einigen vierzig Stück Austern, von denen die meisten in einem großen Klumpen mauerfest beisammen saßen, so daß wir sie mit einem Hammer auseinander schlagen mußten, worauf sie dem „Austernschlachter“ übergeben wurden, der die erste feierlich und langsam öffnete, mit einem eleganten Kreisschnitt vom Bart rasirte und, nachdem er sie mit zugedrückten Augen verschluckt hatte, mit dem Worte „ausgezeichnet“ seine Meinung klar und deutlich an den Tag legte. In Folge dessen erlaubten wir uns die schüchterne

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_448.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)