Seite:Die Gartenlaube (1858) 406.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

eine aus Holz, Strauch und Stroh zusammengestellte Hütte für unsern Oberst in die Höhe, welche er mit allen ihm speciell untergebenen Officieren bezog. Ein alter schnurrbärtiger Lieutenant bereitete ein ordentliches warmes Mittagessen, zu dem Jeder eine kleine Gabe beisteuern mußte. Der Eine gab Fleisch, ein Anderer Graupen, ein Dritter Brod u. s. f., ich löste mich mit Pfeffer und Salz aus und der Oberst gab einige Flaschen Morsalewein. Zwar würde einem Gastronomen unser auf den Kohlen geröstetes Fleisch und die durch die Sorgfalt des Windes reichlich mit Asche gewürzte Suppe nicht recht gemundet haben, und auch wir würden jetzt diese Speisen nicht mit solchem Appetite genießen, als damals, wo der Marsch und die frische Luft unsern Hunger bedeutend geweckt und die heitere, lebhafte Unterhaltung den Genuß gehoben hatte. Das Diner wurde unter Scherzen beendet, man zündete die Pfeifen an und suchte sich ein möglichst angenehmes Lager zu verschaffen. Leider war dem Frost Thauwetter gefolgt, und wenn wir auch durch Stroh und sonstige Soldatenmittel uns zu helfen suchten, das Lager blieb doch immer ein ziemlich unsauberes. Ueber solche Kleinigkeiten ist jedoch der Kaukasussoldat erhaben. Hatten wir uns doch gesättigt, blieb uns doch Tabak genug und die heitere Gesellschaft guter Cameraden!

Auf diese Art verstrich uns rasch die Zeit, so daß wir uns ordentlich wunderten, als ein großer Kessel nebst allen zum Thee nöthigen Gegenständen erschien, der uns das Hereinbrechen der Nacht verkündete. Ein wenig in den Thee gegossener Rum vermehrte nur unsere Heiterkeit und bald erschallten lustige Soldatenlieder aus den rauhen Officierskehlen. So wechselten Lieder, Anekdoten und Witze bis gegen Mitternacht mit einander ab, erst dann legten wir uns zum Schlafen nieder.

Da der folgende Tag ein Ruhetag war, so behielt ich Zeit, mir die Festung zu besehen, welche 1840 einen äußerst hartnäckigen Sturm der Tscherkessen abgehalten hatte, wobei mehr als 700 Feinde in den Gräben geblieben waren. Augenzeugen berichteten mir ausführlich den Hergang und aufmerksam lauschte ich ihren Worten, nicht ahnend, daß ich im nächsten Jahre (den 26. Juli 1853) selbst eine Festung gegen dieselben Feinde vertheidigen helfen würde. Um die Mittagszeit erschienen 4–5000 tschernomorische Kosaken aus Jekaterinodar mit mehreren Kanonen und erst jetzt war unsere Expeditionsarmee vollzählig, d. h. 11,000 Mann stark mit 21 Kanonen.

Zu unserem großen Aerger sahen wir am folgenden Tage eine ziemlich dicke Schneeschicht auf der Erde liegen. Wir wußten, daß diese nicht lange liegen bleiben, sondern bald schmelzen und die Gebirgsbäche und Flüßchen bedeutend vergrößern würde, und da wir diese immer zu Fuß durchschreiten mußten, so war die Aussicht auf einen unangenehmen Marsch nur zu gewiß. Glücklicherweise war das Flüßchen bei Abyn, die Abynka, noch ziemlich seicht, wir überschritten sie und zogen in südöstlicher Richtung weiter dem Gebirge zu. Am Fuße desselben lagen mehrere Dörfer, deren Einwohner vor Kurzem großen Schaden in den Niederlassungen der tschernomorischen Kosaken angerichtet hatten. Die Razzia begann und bald schlugen die Flammen über den Dächern zusammen. Was an Vorräthen gefunden wurde, nahmen wir mit oder verdarben es, überhaupt wurde so viel verwüstet, als nur möglich war. Der Tag verging trotzdem ziemlich ruhig und, wie gewöhnlich, schlagen wir in einem Dorfe unser Nachtlager auf.

Wir mochten wohl einige Stunden geschlafen haben, als plötzlich eine heftige Salve uns weckte. Die Kugeln schlugen mitten in das Lager ein, die Trompeten und Trommeln lärmten, als sollten sie Todte erwecken, und dazwischen mischte sich das gellende Geschrei der Tscherkessen. Wie eine vom Sturm gejagte Wolke kam eine Reiterschaar auf schnaubenden Rossen gegen uns angestürmt. Hoch über dem Kopfe schwangen sie den blitzenden Säbel, unaufhaltsam jagten sie vorwärts und es schien, als würden uns im nächsten Augenblicke die Hufe ihrer Rosse zertreten. Da donnern ihnen einige gutgezielte Kartätschenladungen entgegen und bringen sie zu einem kurzen Aufenthalte. Dieser Augenblick war entscheidend, denn rasch geordnet standen unterdessen auch schon unsere Schaaren, fest aneinander gedrängt, bereit, die Salve zu geben, sobald das Commando ausgesprochen würde. Dieses erfolgt und Salve auf Salve sendet das tödtende Blei in den verwirrten Haufen. Sogleich wird die Unordnung des Feindes benutzt. Zwei Bataillone dringen mit gefälltem Bajonnet vor, die übrige Infanterie folgt feuernd zu beiden Seiten. Aber noch weichen die Tapfern nicht, ja sie setzen von Neuem an, um sich auf unsere Infanterie zu stürzen, und schon glaubt man, daß es zu einem verzweifelten Handgemenge kommen werde, da kracht es von der Seite, da stürzen Rosse und Reiter im wilden Chaos durcheinander. Eine Kanone der reitenden Artillerie brachte die großartige Wirkung hervor; sie war in Carrière angesprengt gekommen, hatte rasch abgeprotzt und sogleich ein heftiges Kartätschenfeuer eröffnet. Jetzt war auch die Ausdauer der Tscherkessen zu Ende. Hoch auf die Hinterbeine rissen die Reiter ihre Pferde, warfen sie herum und fort ging es wieder in tollem Jagen. Wie die Teufel waren ihnen die Kosaken mit ihren kleinen Pferden auf den Fersen, aber die Dunkelheit war ihr Schutz und nur wenige Gefangene wurden zurückgebracht.

Für diese Nacht war es mit dem Schlafen vorbei und wir waren deshalb recht froh, daß wir mit frühem Morgen aufbrachen. War es die Nacht über heiß zugegangen, so sollte es diesen Tag noch besser gehen. Jedes Dorf mußte von uns gestürmt werden, denn jetzt stellten sich nicht nur die Bewohner desselben, sondern auch noch die aus den bereits zerstörten Dörfern Geflohenen in großer Anzahl uns entgegen. Der alte Haß war durch unsere Verwüstungen zu hellen Flammen angefacht worden. Wir trafen überall auf den hartnäckigsten Widerstand und konnten uns nur mit äußerster Anstrengung unsern Weg bahnen. Daß solche Kämpfe Opfer kosten, ist wohl natürlich. Zwei von den Officieren unseres Regiments wurden gleich bei dem ersten Dorfe verwundet, wovon einer bald darauf seinen Geist aufgab. An einem anderen Dorfe sah ich zwei Artillerieofficiere fallen, einer mit einem Schuß durch den Kopf, der andere mit der tödtlichen Wunde in der Brust. Ich habe vergessen, wie viel uns dieser Tag an Todten und Verwundeten kostete.

Schon war der Abend angebrochen und noch hatten wir kein Nachtquartier. Wir konnten zwar recht gut auf freiem Felde übernachten, aber unsere Pferde brauchten Heu und das fand sich nur in den Dörfern. Dieses wußten die Feinde aber so gut, wie wir, und deshalb steckten sie jedes Dorf, das sie verlassen mußten, an und nahmen alle Fourage mit oder zerstörten dieselbe. Da gelang es endlich den Kosaken, ungesehen vom Feinde, durch ein Gehölz sich einem Dorfe zu nahen. Wir Scharfschützen folgten rasch im schnellsten Dauerlauf wohl eine Werst lang und alles Uebrige beeilte sich, so schnell als möglich nachzukommen. Das Dorf wurde gestürmt und die überraschten Gegner herausgeworfen, bevor sie Zeit behielten, es in Brand zu stecken. Leider war auch hierbei unser Verlust nicht unbedeutend gewesen, so daß wir traurig und verstimmt uns diesen Abend beim Oberst zusammenfanden. So Mancher fehlte heute, der gestern noch frisch und heiter an unserer Seite gesessen hatte. Auch unser Abyn’scher Koch, der sonst immer Heitere, war verwundet, und obgleich er selbst keinen Schmerzenslaut ausstieß, so zeigte das Zucken seiner Gesichtsmuskeln doch genugsam an, was für Qualen er zu dulden hatte. Eine Kugel war ihm durch beide Beine gegangen, doch erklärte der Arzt die Verwundung für keine sehr gefährliche.

Hatte der geschmolzene Schnee schon am Tage die Wege fast grundlos gemacht, so vollendete der über Nacht beginnende und ununterbrochen fortdauernde Regen das angefangene Werk. Durch und durch naß traten wir am andern Morgen unsern Weitermarsch an. Die grauen Wolken, mit welchen der Himmel bedeckt war, gaben keine Hoffnung, den Regen schwinden zu sehen; aber wie alles Schlimme auch seine gute Seite hat, so kam es auch uns nicht ungelegen, daß der Feind der Witterung wegen unsern Marsch nur wenig belästigen konnte. Die Tscherkessen führen an ihren Feuerwaffen noch durchweg die alten Feuerschlösser, bei denen der Regen leicht das Pulver naß werden läßt, und so kam es, daß nur selten ein Schuß von ihrer Seite fiel, während unsere Percussionsgewehre sie in respectvoller Entfernung hielten. Unser Weg ging heute wieder zur Abynka zurück, denn wir hatten unsern Auftrag, eine Strecke weit in das Land zu marschiren und die räuberischen Tscherkessen für ihre Verwüstungen in Tschernomorien zu züchtigen, vollständig erfüllt. Wie verändert fanden wir am Nachmittag diesen kleinen Fluß, der bei unserm ersten Ueberschreiten so unbedeutend, so seicht gewesen war! Tobend und schäumend stürzten jetzt mächtige Wassermassen dem Kuban zu. Mit jeder Minute wuchs der Strom und fast überfluthete er seine freilich nicht allzu hohen Ufer. Anfangs ging das Durchschreiten noch so ziemlich. Bis an die Brust reichte das Wasser den Infanteristen und sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_406.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)