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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Wozu haben wir denn,“ erwiderte er ruhig, „all die adeligen Damen, besonders die Gräfinnen N. N., wenn sie das nicht einmal thun wollen? Sie wollen ja doch stets eine aparte Rolle spielen. Und den Herren Officieren wird dieser Theatercoup ganz besonders gefallen.“

Eine Weile weidete er sich an unseren verblüfften Gesichtern und sagte dann lachend:

„Nun, ich sehe schon, heute fehlt Euch und mir die Weihe, aber in zwei Mal vierundzwanzig Stunden sollt Ihr von mir ein Stück fix und fertig erhalten, das Euch hoffentlich genügen wird; wenn nicht, so macht damit, was Ihr wollt. Verderbt mir aber heute meine gute Laune nicht, denn seht, hier habe ich den ersten Band meines Münchhausens, das erste gebundene Exemplar. Bisher hat mir keine meiner Arbeiten so viel Freude gemacht, wie dieser Münchhausen.“

Schon bei früheren Gelegenheiten hatte er uns einzelne Capitel desselben vorgelesen, an die sich nun unsere Schlußunterhaltung knüpfte. – Wir schieden in heiterer Stimmung spät in der Nacht, das Schicksal des Festspiels gänzlich seiner Willkür überlassend, Es war wirklich das Einzige, was uns zu thun übrig blieb.

Seinem Versprechen gemäß lieferte er zwei Tage nachher das fertige Stück, das den Titel „Ost und West“ führte und vielfach auf die Verbindung der Rheinprovinz mit den östlichen preußischen Provinzen anspielte. Die Aufführung, welche im großen Galleriesaale der Akademie stattfand, verursachte viele Schwierigkeiten und erforderte einen großen Aufwand von mühsam herzustellenden Requisiten. Die Wirkung war nicht gerade eine schlagende, doch fesselte es durch seine tieferen Bezüglichkeiten. Desto brillanter fiel die auf dieses Vorspiel folgende Aufführung von „Wallenstein’s Lager“ aus. Es dürfte nicht leicht ein abgerundeteres Zusammenspiel und eine feinere Charakteristik der einzelnen Personen selbst von Schauspielern einer Hofbühne zu erreichen sein. Die Lebendigkeit der Dialoge und Situationen, die ungeschminkte Echtheit des Costums, die Vermeidung aller Bühnenflunkerei und nichtssagender Gestikulationen: Alles das ließ errathen, daß die Spielenden Künstler waren, die tiefere Gründe für ihr Spiel hatten, als das Herkömmliche nachzuäffen. Jedenfalls aber blieb Immermann das bei Weitem größere Verdienst. Er hatte die Regie mit einer Sorgfalt und Umsicht geübt, wie man sich kaum vorzustellen vermag, wenn man nicht selbst zugegen gewesen. Jede Bewegung, jede Position, jeder Uebergangsmoment war genau erwogen und angegeben und so – bei allem Trubel, den diese Lagerscenen erfordern – eine vollständig klare malerische Sonderrung der Gruppen erreicht worden.

Nur ein kleiner Unfall drohte einen Augenblick, den Zorn Immermarm’s, der sich hinter den Coulissen befand und mit dem Buche in der Hand jede Sylbe controllirte, auf unsere Häupter niederfahren zu lassen. Einer der höllischen Jäger nämlich ließ ein paar Worte weg, welche das Stichwort für den Folgenden abgaben. Drohend erhob Immermann die Faust gegen die Spielenden und sagte mit gedämpfter Stimme:

„Die verfluchten Kerle saufen Punsch aus dem Feldkessel und werfen mir das ganze Stück um!“

Das Eine war allerdings wahr, das Andere aber geschah nicht, vielmehr blieb Alles bis zum Ende im besten Gleise.

Noch war der Vorhang nicht ganz gefallen, als der Kronprinz auf die Bühne trat und unserem Immermann die Hand reichte:

„Lieber Immermann, ich danke Ihnen herzlich; die Aufführung war ganz meisterhaft und Ihr „Ost und West“ hat mir sehr gefallen.“

Wie heiter diese Anerkennung Immermann gestimmt hatte, zeigte sich erst recht nach Beendigung des Festes, wo wir im anstoßenden kleinen Galleriesaale, der zum Garderobezimmer gedient hatte, uns bei der gefüllten Bowle von den Strapazen des Tages erholten und über einzelne drollige Zwischenfälle unsere Glossen machten.

Noch einmal zwei Jahre später – es war am 24. August 1840 – saßen mehrere von uns plaudernd an derselben Stelle, als der jetzt leider auch schon längst verstorbene talentvolle Haach mit tiefbetrübter Miene eintrat.

„Habt Ihr schon vernommen,“ sagte er, „daß unser Löwe Immermann todkrank am Typhus darnieder liegt?“

„Immermann?“ fuhren wir bestürzt auf; „diese Riesennatur?“ – Und noch vor acht Tagen wollten ihn Mehrere gesund und rüstig gesehen haben.

„Es mag sein letzter Ausgang gewesen sein,“ entgegnete Haach. „Gestern zeigte man ihm die Gefahr seines Zustandes an und rieth ihm zu ordnen, was er noch zu ordnen wünsche. Da soll er sich im Bette emporgerichtet und mit aller Kraft seiner Stimme gesagt haben: „Es ist nicht wahr – ich bin so krank nicht – ich will durchaus noch nicht sterben – ruft mir noch einen Arzt!“ – Gleich nachher sei er aber kraftlos zusammengesunken, und seitdem soll auch die letzte Hoffnung geschwunden sein.“

Am folgenden Tage war Immermann nicht mehr. – Betäubt von dem entsetzlichen, plötzlichen Schlage brachen wir weniger in Worte der Trauer als in den übereinstimmenden Ausruf aus: „Ein schreckliches, grausames Verhängniß!“ – Denn kurz vorher waren seine schönsten Wünsche in Erfüllung gegangen; er hatte die allgemeinste Anerkennung gefunden, lebte seit einem Jahre in glücklicher Ehe, und am Tage seines Erkrankens hatte ihn seine junge Frau mit einem Töchterchen beschenkt.

L. Clasen.






Abschied.

Die Blätter grün, die Lüfte lauer,
Im Blüthenkleide prangt der Mai,
Das Fenster öffn’ ich und den Bauer,
Leb’ wohl, mein Vogel, du bist frei!

5
Laß traurig nicht das Köpfchen hangen,

Bald schaukelt dich der schwanke Ast,
Nicht hielt ich ruchlos dich gefangen.
Du warst im Winter nur mein Gast.

Du hast, ein Gruß der grünen Halde,

10
Ein Klang aus ferner Sommerzeit,

Ein lebend Heimweh nach dem Walde,
Getheilt des Dichters Einsamkeit.

Zwei müde Sänger, Haftgenossen,
An einer Kette lagen wir

15
Und harrten auf des Lenzes Sprossen

Und seiner Veilchen blaue Zier.

Jetzt ist er da, du hörst sein Klingen,
Er weht dich an mit frischem Duft,
Auf! rege fröhlich deine Schwingen

20
Und segle durch die weite Luft!


Was kümmert’s dich, daß ich mit nassen,
Umflorten Augen nach dir seh’ –
Du kannst mich ohne Schmerzen lassen,
Mir aber thut der Abschied weh!

25
Du kehrest heim zum Walde wieder,

Er schlägt um dich sein schattig Zelt,
Und jubelnd schmettern deine Lieder
Den Pfingstgruß durch die schöne Welt.

All ihre Wunder wirst du schauen,

30
Wirst baden dich im Sonnenschein,

Wirst dir ein heimisch Nestchen bauen –
Ich aber bleibe ganz allein.

O, könnt’ ich deinen Flug begleiten!
Daß ich gefesselt, ist mein Schmerz,

35
Ein banges Sehnen nach dem Weiten

Erfüllt im Frühling mir das Herz.

Die Thür’ ist auf, nicht säume länger,
Leb’ wohl! Dort sitzt er auf dem Strauch –
Jetzt juble laut, befreiter Sänger,

40
Denkst Du wohl des Gefangnen auch?


Du hörtest seufzen mich und klagen,
Vielleicht zuweilen unbewußt
Hallt nach in deinem frohen Schlages
Ein Laut der kranken Menschenbrust.

Albert Traeger.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_366.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)