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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

ihre Ursache fast nur in der falschen Behandlung der Kinder von Seiten der Mütter. Die Bewohnerinnen von Westmann-Oe, einer Insel an der Südküste Islands, geben ihre Kinder gleich nach der Geburt den Kinderweibern mit zur Pflege; 80 Procent dieser Kinder sterben vor dem 9. Tage ihres Lebens an Kinnbackenkrampf. Von 26 in der Ehe Gebornen kommt nur ein Kind todt zur Welt, während unter 17 außerehelichen Geburten schon eine Todtgeburt ist. Und von den unehelichen, in die Ziehe gegebenen Kindern sterben wenigstens zwei Drittel im Säuglingsalter. Ja manchen Ziehmüttern kommt nicht mit Unrecht der Name „Engelchens-Macherinnen“ zu, weil sie fast alle ihre Ziehkinder durch unzweckmäßige Kost in den Himmel spediren. Die meisten Sterblichkeitstafeln zeigen, daß von den Neugebornen fast 25 vom Hundert wieder hinwegsterben, und daß später bis gegen den dritten Monat hin nach der Geburt noch etwa der zehnte Theil der Gebornen untergeht. Auf Grund der Statistik des preußischen Staates ergibt sich, daß 35,5 Procente aller Kinder bereits vor Vollendung des 5. Lebensjahres wieder sterben. Dieses Mähen der Todessichel unter den Kindern geschieht aber nicht etwa nach einem bestimmten unabänderlichen Naturgesetze (nach dem Willen Gottes), sondern ist, wie oben gesagt wurde, nur die Folge einer unzweckmäßigen Behandlung der Kinder. Man braucht ja nur die Krankheiten zu betrachten, durch welche kleine Kinder hingerafft werden, und man wird finden, daß jene tödtlichen Krankheiten fast alle durch eine einsichtsvolle Mutter verhütet werden konnten (s. Gartenlaube 1854. Nr. 17.). In keinem Lebensalter ist es so leicht, Krankheiten zu verhüten, und in keinem so schwierig, sie zu curiren, als im ersten Kindesalter.

Wir stimmen ganz und gar mit Dr. Besser[1] überein, wenn er sagt: „Wir klagen als wichtigste und erste Ursache der großen Kindersterblichkeit die Unkenntniß der Mütter mit ihrem Berufe an. Wenn die Pessimisten unserer Tage in dem Leichtsinn, der Untreue, der Vergnügungssucht u. s. w. unserer Mütter den Hauptgrund des Uebels sehen, so entgegnen wir nur, daß eine Mutter, die ganz durchdrungen und erfüllt ist von dem Umfang ihrer Aufgabe, die so ganz mit dem Gebiet der Kindespflege vertraut ist, als wir dies von ihr fordern, eben nicht leichtsinnig werden kann. Mütter, die während ihrer Schwangerschaft sich durch andere Rücksichten bezüglich ihrer Lebensdiät leiten lassen können, als solche von dem Wohle ihres ungebornen Kindes geboten werden, Mütter, die, statt ihr Kind zu beobachten und zu Pflegen, Zerstreuungen nachgehen, Mütter, die, anstatt ihr Kind zu stillen, wenn sie es können, es lieber einer Amme anvertrauen, die sind, mögen sie welchem Stande und welcher Lebensstellung auch angehören, eben nicht jener wahrhaften Bildung theilhaftig geworden, in der das Wissen des Menschen auch sein Denken und Thun bestimmt. Und wir brauchen wohl kaum hinzuzusetzen, daß jene wahre Bildung, jene Cultur des Menschen, durch die er eines bewußten Handelns fähig wird, lediglich wieder davon abhängig ist, daß ihm ein reiches Material von Wissen überhaupt zu Gebote steht. Menschen, die nicht gewöhnt worden sind, gedankenlos durch die Welt zu laufen, sondern nach dem Grunde der Dinge zu fragen, die sich des Lebens, das sie umgibt, bewußt zu werden streben, bei denen Allen regiert das Wissen das Denken und Thun, und in diesem Sinne nennen wir das Nichtwissen der Mütter in ihrem Berufe die Hauptquelle der Kindersterblichkeit.“

Aber nicht nur wegen der großen Sterblichkeit unter den Kindern sind vorzugsweise die Mutter anzuklagen, auch an den vielen Krankheiten nicht blos während des Kindesalters, sondern auch während des ganzen Lebens tragen sie einen Haupttheil der Schuld. Ganz besonders sind es die falsche Ernährung und die groben Verstöße gegen die Hauptorgane des Kindes, welche eine Menge von Uebeln erzeugen, die mit ihren Folgen weit hinaus über das Kindesalter, ja bis zum Tode im späten Leben reichen. Die sogenannten scrophulösen Leiden, die Blutarmuth und Lungenschwindsucht, die englische Krankheit mit ihrer Verkrüppelung des Körpers, die unheilbaren und beschwerlichen Affectionen der Athmungs- und Blutkreislaufs-Organe, sowie viele Leiden der Sinnesorgane und des Gehirns (des Verstandes-, Gemüths- und Willensorgans) rühren fast alle aus der Kindheit her und hatten bei naturgemäßer Pflege verhütet werden können. – Jammern und wehklagen, wachen und sorgen können die Mütter am Krankenbette ihrer Kinder, aber sich zu unterrichten, wie ein Kind von Krankheit verschont bleibt, dazu haben sie keine Zeit und keinen Trieb. Ja manche betrachten es lieber gleich als eine Schickung Gottes, wenn ihre Kinder, und zwar bei der unnatürlichsten Behandlung, krank werden. Als ob Gott dem Menschen den Verstand nicht dazu gegeben hätte, um gut und glücklich, wohl und gesund leben zu können, und als ob der nicht ein Sünder wäre, der die von Gott gegebenen Naturgesetze nicht zu seinem und Anderer Heile verwendet. – Wenn die Kinder, zumal die Töchter erwachsen sind, wie gern brüsten sich da die Mütter mit ihnen, aber wie selten können sie dies; kahle Köpfe, rothe Augen, schwarze Zähne, hohe Schulter, buckeliger Rücken, krumme Beine u. s. w., alles Producte der falschen Erziehung, dämpfen nicht blos den Stolz der Mutter, sondern trüben gar oft auch die Zukunft des Kindes. – Es ist wahrlich traurig und ärgerlich, wenn man fort und fort sehen und hören muß, wie sich sogar sogenannte gebildete Leute gegen die Aufklärung über den menschlichen Körper und eine naturgemäße Pflege desselben stemmen, obschon der Mensch nur durch diese besser, kluger, gesünder, älter und schöner werden kann, als er jetzt ist.

Nicht genug, daß die Mütter an dem zeitigen Sterben und häufigen Kranksein der Kinder und Erwachsenen die meiste Schuld tragen, auch auf die geistige und moralische Entwickelung des Menschen üben sie in der Regel einen nachtheiligen Einfluß und zwar insofern aus, als sie gerade die ersten Lebensjahre des Kindes, wo der richtige Grund und Boden für das spätere geistige Wachsen und Gedeihen gelegt werden muß, nicht blos unbenutzt vorübergehen lassen, sondern hier sogar schon die Keime zum Bösen legen und den Anstoß zu geistiger Verkrüppelung geben. Mißrathene Kinder, überhaupt böse Menschen sind nur als Unglückliche anzusehen, die ihr Unglück in der Regel blos der falschen Erziehung von Seiten der Eltern und meistens der Mütter zuzuschreiben haben. – So lange die unglückselige Idee bei den meisten Müttern, daß, „wenn nur erst beim Kinde der Verstand kommt,“ dieses sich schon noch bessern werde, fortbesteht, bleibt auch die moralische und geistige Erziehung im Argen, und keine Schule wird das wieder am Kinde gut machen können, was das elterliche Haus verdorben hat. Nur dann wird es besser, wenn die Mütter einsehen gelernt haben, daß der Mensch vom Tage seiner Geburt an einer richtigen körperlichen und geistigen Behandlung bedarf, um ein richtiger Mensch zu werden, und daß die Frauen eine solche Behandlung zu leiten lernen müssen, wenn sie richtige Mütter und Erzieherinnen sein wollen. Doch das wird wohl noch lange dauern! Versuchen wir’s im Folgenden die Frauen etwas aus ihrer Apathie aufzurütteln!

Bock.




Vom Luxus.
Etwas Volkswirthschaftliches.

„Das ist Luxus“, ruft sowohl der Reiche wie der Arme, ruft Hoch und Niedrig, und welch’ verschiedenen Begriff verbindet nicht nur jeder Einzelne mit diesem Wort, sondern jeder Stand, jedes Volk, jedes Zeitalter. – Was das eine für entbehrlich hält, das erhebt schon das folgende zum nothwendigen Bedürfniß, sobald der Gebrauch, der Genuß desselben längere Zeit sich bis auf die weitesten Kreise der Bevölkerung erstreckt hat.

Mit dem Fortschreiten der Cultur erwacht überall und zu jeder Zeit auch der Luxus, mit ihm die Streitfrage, ob er verderblich oder nützlich sei. Diese Frage ist also so alt, wie die Cultur selbst, und so finden wir sie denn bereits bei den alten Griechen, bei denen das „Für“ und „Wider“ förmliche Secten hatte: die kyrenaische und kynische, die Epikuräer und Stoiker, jene in froher Lebensauffassung sich den Genüssen und Freuden des Daseins zuneigend, diese mit Strenge gegen sich selbst der Enthaltsamkeit und Mäßigkeit folgend.

  1. Den deutschen Müttern und Vätern ein Buch über das Werden und Wachsen ihrer Kinder als Schlüssel zu deren gesünderer Erziehung. Von Dr. Leopold Besser. Frankfurt a. M. Meidinger.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_313.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)