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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

innere Einrichtung findet sich bei dem finnischen Urvolk, dem Prototyp aller Slaven, den Slovaken. Der Name Hummeln ist sehr wahrscheinlich ein verstümmeltes und gewaltsam deutsch gemachtes slavisches Wort, ein Eigenname dieses vereinzelten Volkszweiges, welcher, vom Hauptstamme losgerissen und in diesen bergumschlossenen Erdwinkel geschleudert, gleich den mit ihm derselben Abkunft sich erfreuenden Altenburgern, Egerern, Halloren und thüringischen Slaven, die Muttersprache verlernte, von Deutschland aber nur die Sprache annahm, dagegen mit slavischer Zähheit an Sitte und Gebrauch an der Nationalkleidung, die mit der der altenburger Bauern die charakteristischen Grundzüge gemein hat, festhielt, ebenso am slavischen Volksnamen, aus welchem mit der Zeit aber eine summende deutsche „Hummel“ wurde. Einem gelehrten Slaven dürfte es nicht schwer fallen, den ähnlich klingenden wahren Namen zu entdecken.

Die Erklärung des deutschen Hummelnamens, wie ihn nachher die Volkssage versucht hat, ist zu lahm und gezwungen, als daß sie irgend Beachtung verdiente, doch wollen wir die beiden Versionen mittheilen.

Das im benachbarten Ahornthale gelegene, der fränkischen Schweiz schon angehörige Dorf Volsbach baute eine neue Kirche, Zu welcher die Mistelgauer als dienstwillige Nachbarn den Tag lang fleißig Steine zuführen halfen. Da sagten die dankbaren Volsbacher: „Die Mistelgauer fliegen früh aus und führen zu, wie die Hummeln,“ und ließen ihren freundlichen Helfern zu Ehren ein Hummelnest zum Wahrzeichen an ihrer neuen Kirche in Stein aushauen. Diese Ehre schlug nachher den Mistelgauern zum Spott aus.

Ein Mistelgauer ließ sich vorschwatzen, man könne in Nürnberg in der Apotheke auch schönes Wetter kaufen. Als es nun zur Erntezeit regnete, ging er dorthin und begehrte den ihm nötigen Artikel. Der Apotheker verkaufte ihm ein verschlossenes Schächtelchen mit dem Bemerken, er solle es mitten in seinem Dorfe öffnen. Die Neugierde des Wetterkäufers lüftete den Deckel aber schon unterwegs. Eine Hummel flog heraus und davon. Der Bauer rief ihr nach: „Schönes Wetter, flieg nach Mistelgau!“

Die letztere Sage wiederholt sich in Deutschland an verschiedenen Orten, ohne daß sie den Bauern den Namen der Hummeln eingebracht hätte.

An einem sonnigen Frühlingsmorgen trat mein Führer mit den Worten in meine Hütte: „Heute ist eine große Hochzeit nach altem Schnitte mit großem Messer in Gefres. Da müssen wir hin; denn bei Hochzeit und Kirmeß schwärmen und summen die Hummeln am stärksten.“ Wir stiegen nach dem hoch und schön gelegenen Dorfe hinauf, und kamen gerade zum Anfang der tumultuarischen Feier. Unterwegs erzählte mir mein Begleiter:

„Wie die alte Volkstracht der Hummeln in neuerer Zeit allmählich verschwindet, und der allgemeinen französisch-europäischen Kleidung Platz macht, so sind auch die großen öffentlichen Hochzeiten nach altem Schnitt jetzt eine Seltenheit. Die Cultur, die unwiderstehliche, leckt auch diese Bären zurecht; jede neue Generation bequemt sich mehr der allgemeinen Lebenssitte, und eh’ das Jahrhundert vorüber ist, wird das alte Hummelthum eine schöne Sage geworden sein. Wie man jetzt an den festlich geschmückten Burschen keine bloßen Hälse und keinen scharlachrothen, reich gestickten Brustfleck mehr sieht, so ist der statiöse Hochzeitsbitter eine selten geworden volksthümliche Charaktermaske. Die Hummelbauern früherer Jahrhunderte sind strenge Sittenrichter gewesen, und übten keine Gnade gegen ein Liebespärchen aus, das den Paradiesapfel vom Baume der Erkenntniß vor der Weihe des Sacraments gepflückt hatte, ja selbst diejenigen, welche solcher Naschhaftigkeit auch nur verdächtig waren, hatten eine höchst unangenehme, rigoröse Kirchenkritik zu erdulden. Sobald nämlich ein anrüchiges Liebespaar Sonntags mittels kirchlichen Aufgebots vom Pfarrer auf der Kanzel als Brautpaar proclamirt wurde, pflegte die zahlreich versammelte Gemeinde mit Händen und Füßen und dem Stimmorgan einen rusticalen Lärm zu erheben, und der Pastor loci sah sich veranlaßt, dieses bukolische Sittengericht im Kirchenbuche durch den Zusatz „post tumultuariam proclamationem“ (nach stürmischem Aufgebot) zu verewigen. Wie mancher schwarzäugigen jungen Verlobten, die heimlich der uralten Evaschwachheit erlegen war, mochte bei diesem Kirchengange himmelangst und bange sein, löbliche Gemeinde möchte ihr etwa den gefährlichen Schlangensieg im Gesicht ansehen. Dergleichen ist jetzt nicht mehr zu fürchten. Die Gemeinden sind toleranter geworden. Wirklich überwiesene Liebesverbrecher mußten sich sogar der grausamen Strafe der Kirchenbuße unterwerfen. Der Pfarrer rief sie nach beendigter Predigt namentlich auf, und befahl ihren zur Büßung ihrer Sünde vor den Altar zu treten. Sobald das Kirchengebet begann, mußten sie auf der untersten Stufe des Altars niederknieen und in dieser Stellung verharren, bis der Prediger die Kanzel verlassen hatte. Für die Gemeinde ein prächtiges Spectakelstück, für die Betheiligten ein abscheulicher Gewaltact, der schwache Gemüther rasch zu wirklichen Verbrechern zeitigte, wurde diese Pfäfferei, die in unsern Tagen wieder in Vorschlag gebracht worden ist, endlich in eine Geldstrafe verwandelt, weil der blöde Fanatismus sich endlich überzeugt hatte, daß die Verzweiflung, sich dieser furchtbaren Schande zu entziehen, zu wahrhaften Verbrechen, zu Tödtung des unentwickelten Menschenkeims und zum Mord Neugeborner geführt hatte. Auch die Geldstrafe wurde als unnütz, zweckwidrig und ungerecht erkannt; der milde Geist der Humanität siegte auch in der Kirche. Und heute soll „der Teufel der Sinnenlust“ wieder mit Kirchenstrafen gebannt werden! Und doch sprach Er, den ihr predigt, dessen Jünger ihr euch nennt, als ihm die Ehebrecherin vorgeführt wurde, mild und menschlich: „Welcher unter euch rein ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“

„Hochzeit und Kirmeß“ in Mistelgau folgt später.




Eine Reise im Apenninengebirge des – – Mondes.
Ein Beitrag zur Verbreitung naturgemäßer Ansichten von H. Wendel.
Fortsetzung der ersten Abtheilung.
(Gestalt des „Erdsystems.“ – Einfluß theils des Mondes auf die Erde, theils der Erde auf den Mond. – Welches ist also der Standpunkt, von dem aus die eigenthümliche Natur des Mondes uns verständlich wird? – Größe der Mondfläche.)


Was die Gestalt des Erdsystems betrifft, so ist diese zwar auffallend, um so mehr, da man sich gewöhnt hat, alle Himmelskörper sich als Kugeln zu denken; allein schon die Erde selbst weicht bedeutend von dieser Regelmäßigkeit ab, obgleich nicht so stark, wie die Gestalt des Erdsystems; denn diese ist offenbar eine einseitige. Der eine Pol ist ungemein gewaltig abgeplattet, der andere sehr erhaben, in die Ferne gezogen. Die Masse, die von der Kraft des ersten Poles concentrirt wurde, reicht sogar so weit nach dem andern Pole hin, daß man sagen kann, sie nehme nicht blos die Stelle des einen Poles ein, sondern zugleich auch die Gegenden der Tropenländer, wenn man nämlich den „Schwerpunkt des Erdsystems“ dem specifischen Schwerpunkte der Erde selbst vergleicht. Es ist dies unleugbar eine merkwürdige Gestalt; allein auch hierzu findet man anderwärts im Welträume ähnliche Beispiele. Und auffallend genug ist es, daß sich diese Form an einem Theile des Erdsystems selbst wiederholt. Der Mond selbst hat nämlich eine solche Gestalt, wenn auch nicht bis zu einer solchen extremen Ausbildung. Bedenkt man übrigens, wie klein er gegen das „Erdsystem“ ist, so findet man die Verhältnisse ihrer Gestaltungen zu einander durchaus nicht zu ungleich.

„Wie so?“ wird mancher Leser sagen, „man sieht doch bei Vollmond, daß der Mond regelmäßig rund ist; wie so, hat er also nicht regelmäßige Gestalt?“

Nein, antworte ich, muß aber bitten, sich bis zum dritten Theile meiner Mondschilderungen zu gedulden, da ich dort Genaueres über die Mondgestalt mittheilen werde. – Außerdem gibt es noch viel abweichendere Gestaltungen im Weltraume. Man erinnere sich nur an die Kometen mit ihren langen Schweifen!

Gehören aber Mond und Erde zu einem Weltkörper, so müssen auch vielfache Beziehungen zwischen beiden stattfinden. Denn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_263.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)