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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Seit einigen Minuten,“ erklärte der Werkführer.

Betroffen drückte Karl den Hut in die Augen – er that langsam einige Schritte in den Sandgang zurück – dann wendete er wieder um – der Vater gab ihm das Billet. Dasselbe war an den alten Herrn gerichtet und lautete:

„Es dürfte sicher für Alle das Beste sein, wenn ich aus Ihrem Hause ginge. Darum will ich gehen. Nehmen Sie meinen Dank für die große Güte, mit welcher Sie mich allezeit behandelten, und vergeben Sie mir auch meine Fehler.
Mathilde.“ 

„Fehler, Fehler, Du gutes, gutes Kind, was hast Du denn für Fehler?“ sagte der alte Herr, in Thränen schluchzend, und winkte und rief, daß der abgegangene Werkführer zurückkommen solle.

Karl aber gab Gegenbefehl, und bat:

„Mache kein Aufsehen, Vater! Du weinst.“

„Thränen sind kein Schwindel, Karl, – so will ich selbst fort, – ich hole sie noch ein, – ich bringe sie zurück.“

„Laß sie, mein Vater,“ mahnte bewegt der Sohn, und hielt seinen Vater fest, „laß sie ziehen – sie handelt groß und schön – o, ich habe mir’s gedacht, daß sie das kann.“

„Groß und schön!“ wiederholte der Alte, „würde das Cölestine auch können? – Groß und schön – Karl, laß mich, ich hole sie noch ein! Groß und schön – und einige kleine Maschinen, Karl, das wäre besser, als großartige Einrichtung mit schön gebautem Haus! Ich will Deine Mathilde wiederholen!“

„Sie ist nicht mein – sie kann nicht mein werden!“ versetzte der Sohn; „ich will Dir von Cölestine erzählen, die ist mein!“

„Und würde sie auch so handeln, Karl? Groß und schön – wie unsere, wie meine Mathilde? Laß mich los, Karl, ich bringe sie zurück!“

Der Sohn aber ließ nicht los, Arm in Arm ging er mit dem Vater tiefer in den Garten hinein, ohne auf die Frage zu antworten. Da ließ auch der Alte nicht los von der Frage, und wieder und immer wieder hob er an:

„Würde sie auch so handeln?“

„Wie kann ich das wissen!“ versetzte endlich Karl, „die beiden Charaktere sind verschieden. Aber Eins weiß ich, ich komme mit ihr an’s Ziel! Vater, wie wird dann unser Haus im Glanze stehen! Wie wird an unsere Firma, in einem weit höheren Grade, als jetzt, sich Gewinn, Ehre, Ruhm – mit einem Worte: das Geschäftsglück knüpfen!“

„Geschäftsglück, Sohn!“ sprach der alte Herr, „machst in Papieren und in Noten kühn, und Deine Zettel, Deine Lumpen blüh’n!“

„Das brauchen wir eben nicht, wenn ich Cölestinens Capital habe!“ tadelte Karl, „Vater, wende doch Ziffer und Zahl an, wie ganz anders wird sich Alles formiren!“

Und er redete nun und schilderte; er erzählte von Cölestinen und deren häuslichen Tugenden, sprach von den jungen Fabrikbesitzern, die ja auch um Cölestinens Hand sich beworben, und dieselbe doch nicht gewonnen hatten, – er pries sein Glück, er malte den Glanz der Zukunft. – Es war, als wolle er nicht nur den Hauptzweck dieser Ansprache – die Beruhigung des alten Herrn – erreichen, es war auch, als brauche er dieses Schildern und Malen für sich selbst, für sein Herz, welches ja doch aus der errungenen Ebbe gehoben und wenigstens von einzelnen Fluthwellen bewegt wurde, seit er wieder heim war in die Fabrik.

Hauptzweck und Nebenzweck seiner Rede wurde erreicht. Nicht nur der alte Herr, auch Karl fühlte sich nach einer Stunde weit ruhiger, als vorher. Der letztere konnte auf seine wiedergewonnene Ruhe mit ziemlicher Sicherheit bauen, – für seinen Vater aber mochte er nicht bürgen, hier war ein Rückfall möglich. Um den Vater zu überwachen, beschloß daher der Sohn, heute nicht nach der Stadt zu reiten.

Arm in Arm verließen Beide den Garten, durchgingen nochmals die Arbeitssäle – die lärmvolleren und die stilleren – auch die Packstube. Dann ward Feierabend – Feierabend, wie er oben auf den Bäumen lag, wo die Vögel schliefen, und wie er unten sich ausbreitete auf Wiese und Garten, – friedliche Stille überall. –


Einige Wochen sind vergangen. Wie arbeiten Maurer und Zimmerleute! Ein stattliches Fabrikgebäude erhebt sich neben den schon stattlich stehenden; ein neuer, hoher Schornstein gesellt sich zu den schon dampfenden. Der Bau hat nicht nur begonnen, er ist schon weit vorgeschritten, und Maurer und Zimmerleute scheinen zu wetteifern mit den Fabrikarbeitern drinnen in den alten soliden Sälen, und Axt- und Hammerschlag verbindet sich mit dem Surren und Schnurren der Maschinen in einer Weise, welche nicht jedem Ohre so wohlklingen mag, wie es dem Ohre Karls klingt, der bald draußen bei dem Bau, bald drinnen in den lärmvollen Sälen sich befindet.

Der alte Herr geht im Garten auf und nieder. Bedenklich bleibt er oft stehen, – er liest Briefe, welche er mit letzter Post aus Amerika erhielt. – Er ruft nach dem Werkführer in der Packkammer, – nach demselben, der ihm vor einigen Wochen das Billet von Mathilden überbrachte.

Sprechen wir einige Worte erst von ihr. Sie wohnt bei einer Verwandten. Das Haus steht auf der Höhe, ganz am Ende des Dorfes. Die Stube, die Mathilde dort inne hat, ist blank und sauber, wie sie selbst es ist. Ihre Sachen ließ sie längst abholen aus der Fabrik; sie näht und strickt für die Leute, lebt still und eingezogen. Gegen Abend unternimmt sie zuweilen einen Gang nach dem Walde hin, welcher die Höhe begrenzt, auch wohl hinein in den Wald – so weit, bis man hinabsehen kann in das Thal, in welchem die hohen Schornsteine rauchen. Sie blickt hinab in das Thal, betrachtet Gebäude, Garten, Wiese, – still kehrt sie heim.

Weder den jungen noch den alten Herrn hat sie wieder gesehen, seit sie aus der Fabrik schied. Aber von dem alten Herrn hatte sie vor nicht zu langer Zeit ein Briefchen bekommen, in welchem blos die Worte standen:

„Ich denke recht oft an Dich, Du fehlst in der Packstube und im Garten, – Mathilde, ich glaube, auch Karl denkt an Dich, aber er gesteht es nicht – weder sich selbst, noch mir. Antworte nicht, sondern komme selbst und arbeite wieder bei uns.“

Dieses Briefchen hatte der alte Herr heimlich geschrieben, – deshalb, weil er dem jungen Herrn versprechen mußte, Mathilden nicht zu besuchen, sie nicht wiederzuholen, nicht mit ihr zu reden. – Das Alles wußte Mathilde nicht, aber sie kannte ja den alten Herrn, und dachte sich so halb und halb, wie es gewesen sein mochte.

(Schluß folgt.)




Bei Ernst Keil in Leipzig erschien:

Gedichte
von
Albert Traeger.

eleg. cart. 22½ Ngr., prachtvoll geb. 1 Thlr.

Albert Traeger, den Lesern der Gartenlaube durch seine Beiträge, namentlich durch die eben so sinnigen, wie tief gefühlten Lieder:

„Wenn Du noch eine Heimath hast – Das Mutterherz – Wie stirbt es schön sich in der Kindheit Tagen – Wenn Dich die Welt an’s Kreuz geschlagen“ u. s. w.  u. s. w.

hinlänglich bekannt, bietet in seinen gesammelten Gedichten noch viele schöne Gaben, die sich durch Tiefe des Gemüths und eine edle vollendete Form auszeichnen.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_216.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)