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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

nach – dorf geritten bist, aber ich hielt es nicht für etwas Ernstes, weil – Karl, lieber Sohn, ich dachte dabei an – ich muß Dir das sagen, Karl, –“

Aber der alte Herr sagte weiter nichts. Es war, als falle ein Schmerz auf seine Seele.

„Du dachtest dabei an Mathilde? Lieber Vater, an sie habe auch ich oft gedacht, wenn ich hinüber ritt, um Cölestinen zu sehen.“

„Karl,“ hob der Alte väterlich an und legte seine Hand auf des Sohnes Schulter, „Karl, Mathilde war Dir nicht gleichgültig, ich glaube sogar, Du hättest ihr gern Dein ganzes Herz gegeben, – und ich, Karl, der ich Deine Neigung still beobachtete, ich habe Dich niemals darum getadelt. Noch jetzt würde ich nichts dagegen einwenden, wenn Du Mathilde heirathen wolltest. Prüfe Dich, frage Dein Herz.“

„Mein lieber Vater,“ entgegnete Karl und drückte des Alten Hand, „das Herz will ich nicht fragen. Der Geschäftsmann in unserer Zeit hat es mehr mit der Vernunft zu halten, als mit dem Herzen, selbst wenn es dem Herzen wehe thut.“

„Und dem Deinen thut es weh, Karl?“

„Sei ruhig, Vater, jetzt nicht mehr, aber es wurde mir nicht leicht, das stille Mädchen aufzugeben. Du wirst die Vernunftgründe, welche bei meiner Lossagung mich leiteten, nicht verwerfen.“

„Und die waren und sind?“

„Berechnungen, lieber Vater. Der Geschäftsmann muß sein Auge nicht nur auf das europäische, er muß es auch auf das überseeische Schachbret des jetzigen Verkehrs richten. Wie will er ohne bedeutende Capitalkraft mit Erfolg und Gewinn seine Steine ziehen? Ohne Capital kann er weder den jetzt geltenden Bedingungen und Nothwendigkeiten genügen, noch den Chancen und Gefahren für die Zukunft ausweichen.“

„Gut, gut, Karl, das verwerfe ich nicht, ich bin einverstanden mit dem, was die Vernunft Dir sagt. Und Dein Herz, Karl?“

„Das darf nicht mitreden.“

„Aber Dein Gewissen, Deine Ehre, Karl?“

„Die sind unverletzt, Vater. Nie habe ich Mathilden gesagt, daß ich sie liebe, nie von einer Heirath, nie von einer Zukunft gesprochen. Meine Neigung zu dem stillen Mädchen war eine stille, eine reine.“

„Und weiß Mathilde,“ hob nach einer Pause der alte Herr wieder an, als Karl vor die Laube trat und nach dem Pferde rief, „weiß Mathilde von Deiner Absicht auf Fräulein Cölestine?“

„Möglich, Vater, daß, sie es weiß oder doch ahnt. Ich habe in der letzten Zeit vermieden, sie zu sprechen, selbst, wenn es ging, sie zu sehen, ihr zu begegnen. Vater, Du siehst, daß ich offen bin, ich gestehe Dir: es ward mir das Alles nicht ganz leicht.“

„Und dennoch?“

Dennoch, Vater!“ antwortete lächelnd, aber bestimmt der Sohn. „Der Geschäftsmann muß sein, wie ein Feldherr, – er schlägt die Schlacht, er freut sich des Sieges.“

„Und der Sieg wird aushalten?“

„Sicher, so sicher und fest, wie mein Streben!“

„Und Dein Streben ist?“

„Auf dem Strome des Geschäftslebens statt des Kahnes, in welchem wir jetzt rudern, ein Schiff zu besitzen!“

„Reite mit Gott, Karl!“ rief der alte Herr, „gewinne ein Schiff!“

Einige Secunden noch stand der Alte, hielt fest des Sohnes Hand und sah ihm treu und zufrieden in die Augen. Dann küßte er ihn. Schweigend gingen sie zusammen auf den Hof. Das Pferd wurde vorgeführt, aber der junge Geschäftsmann bestieg es noch nicht. Eifrig ertheilte er auf dem Hofe einige Befehle und war eben im Begriff, sich noch in einen der Arbeitssäle zu begeben. Da zupfte der alte Herr ihn am Rockärmel, und in demselben Augenblicke rief der Alte:

„Suchst Du mich, Mathilde?“

Statt des Rockärmels ergriff er schnell des Sohnes Hand, er ließ ihn nicht fort, und redete weiter:

„Komm doch näher, Mathilde, nur einige Worte wegen des Blumenbeetes.“

„Sie meinen das links dort?“ fragte Mathilde, indem sie befangen näher trat.

„Links liegt das Herz!“ neckte ein betagter, vorbeischreitender Arbeiter.

Der alte Herr lächelte, – der Sohn grüßte mit sicherem Anstand, – Mathilde schlug erröthend die großen, schwarzen Augen nieder.

„Entschuldige, Vater,“ sprach mit Festigkeit Karl, indem er den Arm aus seines Vaters Arm losmachte, „Du weißt, daß ich noch einige Augenblicke lang in den Mittelsaal muß.“

Er grüßte mit dem Hute abermals nach dem Mädchen hin, indem er ganz im gewöhnlichen Schritt nach einer Thüre des Mittelgebäudes ging.

Mathilde erhob die gesenkten Augen, sie blickte hin nach der Thüre, wo Karl verschwand, – blickte mit Augen, in denen unbewußt ihre träumende Seele lag.

Dem alten Herrn entging das nicht. Er kam darüber in eine gewisse Verlegenheit, in jene Stimmung, welche oft zwischen Pflicht und Mitleid, zwischen Vernunft und Herz sich erhebt, und statt mit dem Mädchen über das Blumenbeet zu sprechen, stellte er die ungeschickte, aber von dem Ton inniger Theilnahme durchdrungene Frage:

„Warum redet Ihr denn nicht miteinander? Karl spricht wohl jetzt selten mit Dir? – Warum denn, Mathilde?“

„Das weiß ich nicht,“ antwortete leise und erröthend das Mädchen.

„Er hat Dir also noch gar nichts gesagt?“ fuhr der alte Herr gutmüthig fort; „nun, warte nur, warte, liebes Kind, –“

Er wendete sich einige Schritte hinweg zu einem Werkführer, der ihm eine Mittheilung zu machen hatte. Herr und Werkführer gingen zusammen im Gespräch nach der Thüre des Mittelgebäudes. In demselben Augenblicke trat Karl heraus. Der alte Herr verließ nun den Werkführer, schloß sich an den Sohn an und sagte zu diesem:

„Karl, sprich doch einige Worte mit dem Mädchen. Das kannst Du, ohne dem Uebrigen zu schaden, und das arme Kind dauert mich.“

„Still, still, Vater,“ antwortete unwillig der Sohn, „wozu sollte das dienen, wohin führen? – mache mich nicht irre.“

Der Vater bat nochmals; – so kamen sie bis an’s Pferd, welches der junge Mann nun schnell bestieg. Gleichsam als wolle er den Wunsch des Vaters erfüllen, soweit dies möglich, grüßte er beim Wegreiten nicht ohne Freundlichkeit nach Beiden zurück.

Ein Gruß kann unter gewissen Umständen gar tief in die Seele fallen; er fiel in die Seele Mathildens.

Kaum hatte Roß und Reiter sich gewendet, da kehrte der alte Herr zu dem Mädchen zurück; das Mädchen aber sah dem Reiter nach, bis er am Ende der Wiese verschwand.

„Siehst ihn nicht mehr?“ fragte lächelnd der alte Herr.

Da zog Mathilde ihre Hand rasch und erschrocken von den Augen.

„Mich blendete die Sonne,“ sagte sie halblaut; „ich wollte warten, bis Sie kämen, ich sollte ja Ihre Befehle hören. Sie wollten mit mir sprechen über das Blumenbeet im Garten.“

Da wurde der alte Herr wieder abgerufen. Es mußte dringlich sein, denn der erste Bote hatte kaum ausgeredet, da kam schon ein zweiter.

„Allerdings, allerdings,“ sagte lächelnd der alte Herr im Weggehen, „links, – über das Blumenbeet links müssen wir reden, ich werde Dich rufen lassen, Kind. Geh’ jetzt in Gottes Namen, Kind.“

Und das schöne Kind ging, – ging sinnend von dannen. War es Wehmuth, war es Sehnen und Hoffen, war es Schmerz oder Freude oder Liebe: sie wußte nicht, was sie bewegte.




Es war eine gar regsame Zeit, die Zeit nach der Leipziger Ostermesse 1857. Die Arbeiten in den Fabriken reichten nicht mehr aus, der Lohn mußte erhöht und die Besteller mußten befriedigt werden. Ueberall Aufschwung, überall ein frisches Schaffen und Thun, überall ein lebendiges Drängen und Treiben.

Auch in unserm Etablissement. Schon ist es gegen Abend, aber in den Fabrikgebäuden herrscht eine Thätigkeit, als sei kaum der Morgen angebrochen.

Schon von außen her verkündet sich der Fleiß. Wie qualmen noch die hohen Schornsteine im frischen Feuer, wie arbeiten noch die Dampfmaschinen! Und drinnen in den Gebäuden, wie heult

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_187.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)