Seite:Die Gartenlaube (1858) 174.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Den Ring erhältst Du oben im Berggericht,“ redete ihn der Obersteiger an. „Dort hat ihn der König für Dich niederlegen lassen. Ebenso das Dir gestohlene Gold. Auf denn und eile, daß Du hinauf kommst!“

Der Wahnsinnige trat ohne Verzug den Rückweg an, und Alle folgten ihm mit ihren Lichtern auf dem mühseligen und gefahrvollen Wege. Sie erreichten glücklich den Ausgangsschacht, und der Kübel förderte sie allmählich an’s Tageslicht. Dort wurden sie vom Jubel der versammelten Menge empfangen, deren Blicke sich mit bestürzter Neugierde auf das Schachtgespenst richteten. Man hatte dem Armen einen Mantel übergeworfen, und so ging er schweigend zwischen seinen weinenden Töchtern und gefolgt von allen Anwesenden, gleichsam im Triumphzug – einem sehr wehmüthigen – nach der Stadt hinab und in’s Berggericht. Ein sich immer wieder neu gebärender Jubel erschallte auf diesem Wege; denn die Geschichte des unglücklichen Wahnsinnigen lief von Mund zu Munde.

Im Berggericht wurde er in ein Zimmer geführt, wo in jenem Kasten, welchen Eduard Kahlert mitgebracht, Goldbarren in Masse lagen und daneben auf dem Tische der verhängnißvolle Ring der Königin.

Der Wahnsinnige betastete mit seinen langen, dürren Fingern das Gold, gleichsam um sich von dessen Existenz zu überzeugen; dann ergriff er den Ring, betrachtete ihn genau, steckte ihn rasch an den rechten Zeigefinger und stand einige Augenblicke still und unbeweglich wie eine Bildsäule, während sich seine Züge auf eigenthümliche Weise verklärten. Plötzlich stieß er einen Schrei aus und stürzte zu Boden. Die Anwesenden eilten ihm zu Hülfe, fürchtend, er sei todt; aber er athmete, nur schwere Ohnmacht hielt sein Bewußtsein in Banden.




XI.
Die letzte Aufklärung.

Am Abende dieses Tags sagte Aurelie zu ihrem Gatten:

„Da ich nun das Geheimniß weiß, welches über dem Leben meines armen Vaters gelegen, und wir nach der heutigen Katastrophe Hoffnung schöpfen dürfen, daß das getrübte Licht seines Geistes wieder klar leuchten wird, so wirst Du nun doch auch mir den Schleier heben, welcher über dem Zusammenhange Eduard Kahlert’s und Deiner selbst mit den hiesigen Ereignissen liegt. Nun werd’ ich doch erfahren dürfen, wie Eduard zu dem hier gestohlenen Golde und dem Ringe der Königin gekommen ist?“

„Gewiß, mein liebes Weib!“ entgegnete Liebheld ernst. „Ich habe Eduard nun mein ihm verpfändetes Wort gelöst, und Du sollst diesen Abend noch, wenn Lina und Lieschen zu Bette gegangen sind, aus Eduard’s und meinem Munde erfahren, daß nicht allein über Deines Vaters Leben, sondern auch über dem des meinigen und des seinigen der Schleier eines Geheimnisses liegt, und daß der letztere viel schlimmerer Natur ist, als der erstere. Deshalb darf er nur Dir gehoben werden und durchaus keiner Seele weiter. Selbst Lieschen, die, wie Du erfahren wirst, auch dabei betheiligt ist, darf die nähern Umstände nicht erfahren. Gerade deshalb Hab’ ich seither so große Vorsicht angewandt, daß dieser Schleier auf einer bösen That, welche nach unsers Dichters wahrem Worte fortwährend Böses gebären mußte, liegen bleibe und ihre schreckliche Fortzeugungskraft ersticke.“

Aurelie kam in eine feierlich ernste Stimmung, die sich steigerte, als ihr Gatte ihr später die Hand bot, und sie in Eduard’s Zimmer führte, welches nur matt erleuchtet war. Alle drei nahmen auf dem Sopha Platz, und Eduard begann mit hörbar bewegter Stimme:

„Wir sind Ihnen volles Licht über die Verhältnisse unserer Väter schuldig, aber gestatten Sie meinem Schmerze, daß es ein Blitzstrahl sei, der nur für einen Augenblick die grausigen Gestalten beleuchte, um sie dann für immer in Nacht versinken zu lassen. Und so lassen Sie mich denn gleich das entsetzlich bezeichnende Wort aussprechen: Ihres Gatten Vater und der meinige waren beide Mörder, Raubmörder und jeder hatte einen Doppelmord auf der Seele. Sie haben schwer dafür gebüßt und ihre Blutschuld beide mit dem Leben bezahlt. Aber eine wunderbare Fügung der Vorsehung, die wir mit staunender Demuth verehren müssen, hat gewollt, daß sie die Mörder jenes Griechen Georg Theodoro wurden, welcher an Ihrem Vater schwere Verbrechen verübt hatte. Hören Sie denn: Mein Vater hatte in der kleinen Stadt an der Donau, aus welcher Lieschen gebürtig ist, einen jener ordinären Gasthöfe gepachtet, wie wir sie meist in solchen Städtchen und Dörfern finden. Aber er hatte entschiedenes Unglück. Er mochte beginnen, was er wollte, es ging rückwärts mit ihm. Er selbst hatte kein Vermögen, und meine Mutter, die er aus Liebe geheirathet, die ihm aber auch nichts mitgebracht, lag Jahre lang an einem unheilbaren Brustübel darnieder. Es waren ihm schon einige Kinder gestorben, andere kränkelten. Ich selber hatte zu jener Zeit als Knabe alle erdenklichen Kinderkrankheiten zu überstehen. Mein Vater hatte schon ein paar Termine den Pachtzins nicht bezahlen können, und es war wieder ein solcher vor der Thüre. Zahlte er diesmal nicht, so wurde er ermittirt, seine Caution ging verloren; er war ein Bettler, wußte nicht, wohin, nicht was beginnen, und Frau und Kinder lagen krank. Die Verzweiflung raubte ihm fast den Verstand. Er hatte keinen Freund, als einen Musikanten, der Sonntags zum Tanze im Gasthause aufspielte, gern etwas Gutes aß und noch Besseres trank, aber stets Ebbe in seiner Casse hatte. Auch dieser Mann hatte Frau und Kind, die mehr Hunger litten, als dem Menschen zuträglich ist. Uebrigens war er, wie die meisten Musikanten, ein lustiges, leichtsinniges Blut, und mit seiner Moralität war’s nicht weit her. Sie haben schon errathen, daß er der Vater Ihres Gatten war. Schon hatte er dem meinigen einige verbrecherische Vorschläge gemacht, um Geld zu gewinnen, und wenn der arme, verzweifelte Gastwirth auch vor solchen Dingen zurückgebebt war, so war er doch durch des Musikanten Überredungskunst allmählich mit solchen verwegenen Gedanken vertraut geworden.

„Um diese Zeit hielt sich ein ungarischer Handelsmann einige Wochen im Gasthofe meines Vaters auf, und machte von da verdächtige Streifzuge in die benachbarten, auch wohl entferntern größern Städte. Der Musikant Liebheld, den er zuweilen mitnahm und zur Ausführung von Aufträgen gebrauchte, entdeckte, daß alle diese Wege nur einen Zweck hatten, rohes Gold bei Goldschmieden, Goldschlägern, Vergoldern, Bankiers zu verkaufen. Genug, die beiden Freunde kamen dahinter, daß der Ungar einen hohen Werth von ungemünztem Gold und viel Geld besaß.“ – Der Sprecher hielt einige Minuten an, und trocknete sich den Schweiß von der Stirne. Es wurde ihm schwer, fortzufahren. Als er wieder begann, zitterte seine Stimme.

„Lassen Sie mich schnell über die That hingehen. Die beiden Männer haben den Fremden erschlagen, und seinen Schatz an sich genommen. Liebheld steckte die Leiche in einen Sack, und trug sie in der Nacht des Verbrechens nach der Donau, um den noch mit Steinen beschwerten Sack hineinzuwerfen. Die Thäter hatten nicht daran gedacht, daß es die Osternacht war. Als der Musikant die Leiche versenkt, taucht neben ihm ein Weib auf, welches ihn beim Namen nennt und ihm geradezu Schuld gibt, er habe einen Menschen in’s Wasser geworfen. Die Folge war, daß Liebheld, rasch entschlossen, die Frau beim Kopfe nimmt, und sie schnell, wie ein Gedanke, köpflings hinterher stürzte. Er hörte Fußtritte in der Nähe und entfloh. Auf das Weib, welches Osterwasser schöpfen wollte, hatte eine Freundin gewartet. Liebheld war nicht von dieser erkannt, kein Verdacht fiel auf ihn, keiner auf meinen Vater. Sie benahmen sich vorsichtig. Der ungarische Handelsmann war natürlich abgereist. Der gemordete Mann war, wie Sie bereits wissen, Georg Theodoro, der Dieb des Goldes, der Verderber Ihres unglücklichen Vaters, das Scheusal, welches der ihm vertrauten Frau desselben das Gift gegeben und sie beschwatzt hatte, ihn damit aus dem Wege zu räumen. Das gemordete Weib war die Frau des Postschaffners und die Großmutter unseres Lieschens.“

Aurelie schlug die Hände vor Verwunderung zusammen, und drückte sie dann vor’s Gesicht. Es vergingen wieder einige Minuten der tiefsten Bewegung der drei Menschen, ehe Eduard fortfuhr: „War meinem Vater früher Alles zu Unglück gegangen, so ging ihm jetzt Alles zu Glück. Zwar starben meine Mutter und meine Geschwister und ich blieb allein übrig, aber er machte nach Jahr und Tag eine glänzende Partie in unserer Heimathstadt, kaufte den „grünen Baum“, brachte ihn empor und wurde mit der Zeit ein sehr reicher Mann. Aber die Entdeckung stand immer drohend vor seiner Thüre. Liebheld nämlich, der ihm auch nach dem neuen Wohnorte gefolgt war, hatte sich dem Trunke ergeben, wurde immer leichtsinniger, schwatzhafter und gewissenloser. Seinen Theil des Blutgeldes hatte er durchgebracht und dabei seine Gesundheit gründlich ruinirt. Plötzlich schlug er um und wurde von Gewissensbissen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_174.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)