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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Naturanschauung, biblische Geschichte und Ereignisse aus dem einfachen Leben der Kinder. Er ist deshalb einfach und praktisch und den Kindern leicht verständlich. Hören wir hier Herrn Gläsche selbst reden: „Wo, wie hier, die Erzieher und Pfleger mit den Zöglingen gleichsam eine große Familie bilden, wo jedes Leid, das den Einzelnen trifft, und jede Freude von Allen getheilt wird; wo Alle in Gemeinschaft essen und trinken, lernen und spielen, aufstehen, schlafen gehen und beten; da kann es an geeigneten Anknüpfungspunkten nicht fehlen. Ein Religionsunterricht aber, der sich – sei er auch noch so einfach – auf die Erscheinungen des alltäglichen Lebens gründet, der gleichsam aus dem Leben herauswächst, muß auch wiederum in den Kindern lebendig werden und sicherlich mehr in das Leben eingreifen, als ein zu abstract gehaltener oder mit Begriffserklärungen sich herumwerfender. – Je größer die Schwäche des Denkvermögens bei dem Blödsinnigen ist, desto mehr muß man durch den Religionsunterricht auf das Gemüth desselben zu wirken suchen, damit dieses ersetze, was ihm dort gebricht.“

Die Hochachtung, die man vor einem solchen Erzieher, wie Herr Oberlehrer Gläsche ist, empfindet, wird noch mehr gesteigert, wenn man erwägt, daß er sich sein Erziehungssystem selbst, ohne fremde Hülfe geschaffen, da zur Zeit, als er sein Werk begann, weder praktische Erfahrungen noch literarische Hülfsmittel ihm zur Seite standen. Sein im Jahre 1854 erschienener erster Bericht[1] war das erste literarische Erzeugniß, das in einem ausführlichen Plane den pädagogischen Theil der Erziehung Schwach- und Blödsinniger darlegt. Es ist ein Werk, das fern von aller Charlatanerie Zeugniß gibt sowohl von der Bescheidenheit des Verfassers, als von seiner Humanität und Tüchtigkeit. Das hat auch die Kritik Sachverständiger, mit unbedeutenden Ausnahmen, allgemein anerkannt. Wie ich gehört habe, wird in nächster Zeit ein neuer Bericht Herrn Gläsche’s erscheinen, auf den ich im Voraus die verehrten Leser der Gartenlaube aufmerksam mache. Er wird neues Zeugniß über die Wohlthätigkeit dieser Anstalt geben, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens bereits eine ziemliche Anzahl geistig verkrüppelter Kinder zu brauchbaren Menschen herangebildet hat. Der Segen Gottes ruht auf dieser Anstalt. Möge sie fort und fort zum Heile der ärmsten aller Kinder wachsen und gedeihen.


Mein Besuch war beendet; eben wollte ich Hubertusburg verlassen, da bewegte sich ein prunkloser Leichenzug über den Schloßhof. Man trug einen Hospitaliten, einen Veteran der altnapoleonischen Kaiserzeit, hinaus. Ich begleitete den Zug bis auf den Gottesacker der Anstalt. Früher, zur Zeit der Glanzperiode Hubertusburgs, war hier der Operngarten. Prachtvolle Statuen hatten an dieser Stelle gestanden, zärtliche Rendez-vous waren hier abgehalten worden. Jetzt ist gleichsam die Zeit der Buße für das stolze Schloß gekommen, und da begräbt es hier seine Todten. Mancher Blutstropfen mag an dem Golde gehangen haben, das Hubertusburg in seinem Glanze verschlungen. – Die Schuld ist gesühnt. – Es ist zur Friedensstätte für körperliches und geistiges Elend geworden.

Die doppelten Thore öffneten sich mir wieder, ich trat hinaus, und bald war das Schloß meinen Blicken entschwunden.


Der Canal von Suez.
(Schluß.)

Ehe wir an die Auseinanderlegung des Projectes schreiten, so wie dieses durch die internationale Commission modificirt worden ist, glauben wir, der Verständlichkeit halber eine kurze Beschreibung der Oertlichkeit voranschicken zu müssen.

Der Isthmus von Suez ist, wie unsere Leser wissen, jener schmale Erdstrich, welcher, während er Asien mit Afrika verknüpft und gleichsam eine Brücke von dem einen Welttheile nach dem andern bildet, das mittelländische von dem rothen Meere trennt. An der südlichen Seite des Isthmus, am Eingange in das rothe Meer oder den arabischen Golf, liegt die Hafenstadt Suez, von welcher die Benennung der Landenge herstammt. Die Nordseite wird von einer großen Bucht des Mittelmeeres bespült, die ihren Namen von dem nahen, jetzt in Trümmern liegenden Flecken Pelusium entlehnt. Eine leichte Senkung von Seite Egyptens sowohl als von asiatischer Seite bildet einen von Pelusium nach Suez fortlaufenden Thalweg. In der Mitte des 18 deutsche Meilen oder 30 französische Lieues breiten Landstreifens liegt der bereits erwähnte Timsah-See; weiter unten nach Suez zu trifft man die sogenannten, jetzt vertrockneten, bitteren Seen an. Beide Bassins tragen die Spuren oceanischen Ursprungs und sprechen für die Annahme, daß die Landenge einst einen natürlichen Bosporus vorstellte. Das salzige Wasser des Timsah, die Salzincrustationen und Seemuscheln der bitteren Seen lassen hierüber keinem Zweifel Raum. Nördlich vom Timsah-See erstreckt sich der See Manzaleh. Derselbe steht mit dem Mittelmeere in Verbindung und ist von diesem nur durch eine schmale, hier und da durchbrochene Sandzunge geschieden. Die Bodenerhöhung des Isthmus ist mit geringen Ausnahmen eine ganz unbedeutende. Sie beträgt im Durchschnitt nicht über einen bis drei Meter und der höchste Punkt, die Schwelle El-Guisr, steigt nicht über sechzehn Meter über den Meeresspiegel. So heißt jenes Sandplateau, welches zwischen dem See Manzaleh und jenem von Timsah eingeschoben ist. Letzteren scheidet von den bitteren Seen die Schwelle von Serapeum, von den Resten eines dem Serapis-Dienste gewidmeten Tempels so benannt. Was die Beschaffenheit des Terrains anlangt, so ist der Isthmus im Ganzen eine unwirthsame, nur mit Wüstenvegetation fixirte Sandsteppe, obschon nicht ohne Spuren ehemaligen Culturlebens. Bewegliche Dünenhügel trifft man nur östlich der Schwelle El-Guisr in der Richtung des pelusischen Meerbusens. Auf Felsen, ja selbst auf Steinmassen ist der Bohrer nirgends gestoßen.

In staatlicher Beziehung gehört die Erdenge zu Egypten, dessen äußerste östliche Grenze sie bildet und wo sie an Syrien und Arabien, dem Sultan mehr oder minder unterwürfige Provinzen, stößt. Topographisch hängt der Isthmus mit dem bevölkerten Theile Egyptens durch zwei Transversalthäler zusammen. Das südlichere derselben beginnt bei der Hauptstadt Kairo und erstreckt sich bis gegen die Hafenstadt Suez. Die Karavanenzüge bewegen sich auf dieser Linie, wo sie von Distanz zu Distanz willkommene Ruheplätze und erquickende Oasen antreffen. Auch die ihrer Vollendung entgegeneilende Eisenbahn verfolgt denselben Thalweg. Nördlich von dieser Bodendepression, in der Mitte des Isthmus, läuft, dem ersteren beinahe parallel, ein zweites Thal, Wadi-Tumilat, welches, vom Timsah-See ausgehend, sich gegen Belbeys am pelusischen Nilarme ausdehnt. Diesen Thalgrund, das Gosen der Bibel, welches einst den Juden zum Wohnsitz diente, entlang, führt ein jetzt vernachlässigter und verfallener Canal, welcher vor Zeiten den Nil durch den Timsah und die bitteren Seen mit dem rothen Meere in Verbindung setzte.

Von dem Pharao Necho gegen Ende des siebenten Jahrhunderts[WS 1] v. Chr. begonnen und von Darius Hystaspis († 485 v. Chr.) fortgesetzt, wurde das Riesenwerk unter den Ptolemäern vollendet. Nach Eroberung Egyptens durch den Khalifen Omar unternahm sein Statthalter Amru zum letzten Male die Restauration des großen Canals; hundert Jahre später ordnete aber einer seiner Nachfolger, Mansur, aus Eifersucht gegen den aufständischen Hassan in Medina, die Verschüttung dieses Communicationsmittels an.

Der Wohlstand Egyptens hängt mit dessen Wassersystem unzertrennlich zusammen. Unterhalb Kairo spaltet sich der Nil in zwei, eigentlich drei Hauptarme. Der erste läuft in nordwestlicher Richtung, fällt bei Rosette in das Mittelmeer und entsendet zu seiner Linken[WS 2] den Mahmudieh-Canal nach Alexandria. Der zweite fließt gegen Nordost und ergießt sich ebenfalls in’s mittelländische Meer unweit Damiette. Der dritte Arm endlich, noch mehr östlich gerichtet, mündet in den Manzaleh-See. Nur der


  1. Erster öffentlicher Bericht über die Erziehungsanstalt für blödsinnige Kinder zu Hubertusburg, von Karl Gläsche, Oberlehrer. Leipzig, 1854, bei Reclam sen.
  1. Vorlage: Jahrhunhunderts
  2. Vorlage: Linien
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_164.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)