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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Wieder wechselte die Scenerie in Hubertusburg. Die ungeheueren Räume benutzte man zum Getreidemagazin. Im ehemaligen glänzenden Hubertussaale, der an Pracht seines Gleichen gesucht, wurde Malter an Malter aufgehäuft. Einstens tanzten da feine Damen mit Reifröcken und schmucke Cavaliere mit gepuderten Zöpfen – jetzt machen sich dort Kornmäuse lustig. Die praktische Neuzeit bahnte sich allmählich an. Eine Steingutfabrik entstand und verschwand wieder. Die Gnadenbewohner mußten das Schloß räumen und die vereinigten sächsischen Straf- und Versorganstalten wurden hineinverlegt. Nun dürfte man schwerlich einen zweiten Ort finden, der, wie Hubertusburg, soviel körperliches und geistiges Elend umfaßt. Die vorhandenen Räume langten bald nicht mehr aus, neue Gebäude entstanden. Eine evangelische Kirche wurde gebaut, da der Versuch, die katholische Kapelle in eine Simultankirche zu verwandeln, scheiterte. In den Räumen, die einst von hohen Herren und lustigen Edelleuten bewohnt wurden, büßen jetzt weibliche Verbrecher ihre Strafzeit ab. Und in dem Räume, in dem einst der Friede geschlossen wurde, haben unglückliche Blödsinnige ein friedliches Asyl gefunden! – So ist’s noch jetzt. – Wer weiß, wie es in fünfzig Jahren dort aussieht! Wer weiß, ob nicht einmal, wenigstens zum Theil, die alte Pracht wiederkehrt? – Hubertusburg steht etwas über hundert Jahr und welche inhaltsreiche Geschichte hat es!

So sinnend war ich durch den Wald geschritten, durch denselben, in dem die berühmten Jagden abgehalten wurden. Freilich ist viel gelichtet worden seit damals, die Bäume, die jetzt dastehen, haben jene Zeit nicht gesehen und anstatt des Ebers und des Hirsches hegt der Walde nur Hasen und Rehe.

Jetzt bog ich aus dem Wald hinaus und die Hubertusburg lag vor meinen Blicken. Auf ihre Zinnen schien die Morgensonne, sie glänzten aber nicht, wie ehedem, das glänzende Dach war ja abgerissen und in schlechtes Geld verwandelt worden.

Bald war Wermsdorf, ein großes, dicht bei Hubertusburg liegendes Dorf, erreicht; eine schöne, breite Allee führt von da bis zu dem Thore des Schlosses, dessen sämmtliche Gebäude und Grundstücke von einer ziemlich hohen Mauer umgeben werden. Jetzt stand ich vor’m Thore, es öffnete sich, ich trat ein und – sah vor mir ein zweites verschlossenes Thor. Deutliche Zeichen, daß ich mich auf dem Boden einer Strafanstalt befand, die ihre Ausgänge mit möglichster Sorgfalt verwahrt; las ich doch auch durch das Thorgitter am gegenüberstehenden Hause die Aufschrift: „Arbeitshaus.“ Ein uniformirter Aufseher fragte mich das übliche: „Wer? – Zu Wem?“ und nachdem meine Antwort befriedigend ausgefallen und ich der Direktion gemeldet worden war, wurde ich über den riesigen Schloßplatz hinweg in die Räume der Anstalt geführt. Ich besuchte mit meinem Begleiter zunächst die katholische Kirche, die mit ihrer Pracht aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragt, während alle anderen Herrlichkeiten verschwunden sind. Sie befindet sich im Hauptpalais und nimmt daselbst die ganze linke Hälfte des vorderen Hauptflügels ein. Die Wände sind mit marmorartig geglättetem Gyps bekleidet, der Fußboden ist von getäfeltem Marmor. Der Hochaltar und die Kanzel sind mit Balthasar Permosers meisterhaft ausgeführten Gypsstatuen geschmückt. Neben dem Hochaltare stehen noch zwei Seitenaltäre, die durch Gemälde von Ludwig Sylvester verziert sind.

Außerdem befinden sich in der Kirche noch vier Gemälde von Torelli und zwei von unbekannten Meistern, aber von hohem Werthe; sie stellen Ignatius von Loyola und Franciscus Xaverius dar, und sind ein Geschenk des Papstes an die Kirche. Die Decke ist durch ein riesiges Frescogemälde geschmückt, für das der Maler Gruno 60,000 Thaler erhalten haben soll. Man sieht den heiligen Hubertus, den Schutzpatron des Schlosses, in Ehrfurcht niedersinken vor dem Bilde des Gekreuzigten, das ein auf hohem Felsen ihm erschienener Hirsch in seinem Geweihe trägt. Der Kunstwerth des ganzen Gemäldes ist nicht bedeutend, da der Hirsch ganz unnatürlich ist, und Hubertus eine Stellung einnimmt, in der er sich in der Wirklichkeit kaum erhalten könnte. Zu den Kostbarkeiten der Kirche gehört noch der aus cararischem Marmor gehauene Taufstein, welcher 6000 Thaler gekostet haben soll.

Die übrigen Räume des Hauptgebäudes werden nur für das Magazin benutzt. Ich durchging nun flüchtig die verschiedenen Anstalten Hubertusburgs. Zunächst besuchte ich die Strafanstalten. Wir traten zuerst in das Landesgefängniß, welches für solche Verbrechen bestimmt ist, die eine längere, als dreimonatliche Gefängnißhaft nach sich ziehen, in der Regel aber nach der öffentlichen Meinung nicht entehrend sind. Es findet hier Einzelhaft statt. Der Detinirte darf sich, wenn er Mittel hat, nach Belieben beschäftigen und beköstigen, so weit es die Hausordnung gestattet, und wird seiner bürgerlichen Stellung entsprechend behandelt.

Wir gingen nun in das Arbeithaus für weibliche Verbrecher. Es besteht, wie das Landesgefängniß, seit 1838. Natürlich ist hier die Disciplin schärfer und die Arbeit anstrengender. Ein Theil der durch seine graue Kleidung leicht kenntlichen Sträflinge war mit Haus- und Gartenarbeit beschäftigt, die andern arbeiten in großen Sälen. Beim Durchgehen dieser Räume sah ich Einzelne mit Nähen, Andere mit Cigarrenmachen, wieder Andere mit Strohflechten beschäftigt. Die meisten dieser Damen waren wegen Eigenthumsvergehen in das Arbeitshaus gebracht worden.

Außer diesen beiden Strafanstalten befindet sich in Hubertusburg ein Pensionair-Corrections-Institut. Es ist zur Besserung meist junger, den gebildeten Ständen angehöriger Personen, die dem Trunke oder einem ausschweifenden Leben ergeben sind, eingerichtet. Die Pensionaire werden nur auf Wunsch der Eltern, Vormünder oder Verwandten eingeführt, und unter steter Aufsicht gehalten.

Unter den Versorgungsanstalten ist am ältesten das Landeshospital. Es ist eine Ruhestätte für arme, alte, gebrechliche Personen; die Hospitäler zu St. Jacob in Dresden und St. Georg in Döbeln sind damit vereinigt worden. Die Leutchen spazierten in ihrem Garten herum, und sahen recht wohl und vergnügt aus. In neuerer Zeit wurde diesem Hospital eine zweite Abtheilung hinzugefügt, ein sogenanntes Pfleghaus, welches insbesondere für solche Personen bestimmt ist, die an einem habituellen Gebrechen leiden, welches eine Heilung nicht erwarten läßt. Der jährliche Pflegebeitrag beträgt in der ersten Abtheilung 50, in der zweiten 24 Thaler.

Das Landeskrankenhaus ist als ein Muster für derartige Anstalten hinzustellen. Tüchtige ärztliche Oberleitung, hinreichende und vortrefflich eingerichtete Räumlichkeiten, gesunde Luft sind die Hauptvorzüge dieser Anstalt, der mancher schwere Kranke Gesundheit und Leben verdankt. Der Verpflegungsbeitrag ist wöchentlich 1 Thaler; verlangt der Patient ein besonderes Zimmer, müssen 2 Thaler gezahlt werden. Personen, deren Uebel ansteckend und unheilbar ist, werden in ein von allen übrigen Gebäuden isolirtes Haus gebracht, in das sogenannte Siechhaus. Nachdem mein Begleiter mir die einfache, aber sehr freundliche evangelische Kirche gezeigt, führte er mich in das Versorgungshaus für unheilbare oder doch minder besserungsfähige Geisteskranke weiblichen Geschlechts. Ein Institut, das in seiner Einrichtung kaum von einer zweiten derartigen Anstalt übertroffen werden dürfte.

Es bildet einen Häusercomplex, der von den übrigen Anstaltsgebäuden ziemlich abgesondert liegt. Ein großer, schön eingerichteter Garten, in dessen Mitte sich ein Hügel erhebt, von dem aus der Besucher eine idyllische Aussicht über den nahen Horstsee und seine Umgebung genießt, grenzt dicht an die Anstaltsgebäude. Gegen 500 Geisteskranke haben hier ein Asyl gefunden.

Der Anblick so vieler Unglücklichen ist tief ergreifend. Ein Theil hatte sich auf die grünen Rasenplätze gelagert, Andere gingen im Garten spazieren, noch Andere hatten sich isolirt und ergingen, sich in ihren irrsinnigen Gedanken. Fast Allen sah man die Geistesstörung an, die unstät rollenden Augen zeigten deutlich, daß das Licht der Vernunft erloschen war.

Aus einem der naheliegenden Gebäude erscholl ein entsetzliches Geschrei. Unser Weg führte da vorüber. Am vergitterten Fenster stand ein vom Dämon der Tobsucht befallenes Weib, sie streckte ihre Arme nach mir und stieß thierähnliche Laute aus. Unwillkührlich fielen mir die Worte von Ernst von Feuchtersleben ein: „Tief versteckt ruht in der Brust eines Jeden der Funke des Wahnsinns, – Hüte Dich, daß Du ihn nicht weckest.“ – Mir war’s, als streckte jetzt das Gespenst des Wahnsinns seine Arme drohend mir entgegen – ich ging entsetzt vorüber.

Mein Begleiter erzählte mir, daß in dieser, wie in den übrigen Krankenanstalten Hubertusburgs auch der Aermste Aufnahme findet. Kann er den sehr geringen Beitrag nicht zahlen, so tritt die Heimathgemeinde für ihn ein.

Wir kamen an der großen Anstaltsküche vorbei, aus der täglich mehr denn tausend Menschen gespeist werden. Reinliche, sich

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