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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Das Mädchen ist wohl Eduard Kahlert’s Geliebte, und wir sollen ihr die Appretur geben?“

„Wie nahe liegt diese Annahme, und wie falsch ist sie!“ versetzte der Advocat mit schmerzlichem Tone. „Glaube mir, Eduard denkt an nichts weniger, als an eine Geliebte und ihre Bildung. Ganz andere Dinge bewegen sein armes Herz. Ich hoffe, Dir später Alles mittheilen zu können, wenn diese traurigen Wirrnisse sich gelöst haben werden. Ungewöhnliche und ganz unerwartete Schickungen haben uns plötzlich berührt – denn auch ich bin dabei betheiligt – aber gutem, redlichem Willen muß es gelingen, das Schicksal zu versöhnen. Und vor Allem muß uns trösten und stärken, daß wir selbst nichts dabei verschuldet haben.“ Und er zerdrückte eine Thräne im Auge.

(Fortsetzung folgt.)





Land und Leute.
Nr. 9. Das bairische Hochland. (Avis für Sommerreisende.)

Steht man auf der Theresienwiese bei München, am Fuße des Bavaria-Kolosses, übersättigt von allen Herrlichkeiten dieser wahrhaft königlichen Stadt und sieht, gewaltiger, als alle die Monumente, die ein kunstbegeisterter Monarch durch seine großen Künstler hervorrief, die ewigen unwandelbaren Denkmale einer unsichtbaren Hand, die riesigen Alpen in ihrer ganzen Ausdehnung, von der Mädelegabel im Allgau bis zum Watzmann bei Berchtesgaden und den Salzburger Bergen, gekleidet in ruhiges Blau, dazwischen eine schimmernde Felswand, dahinter ein weißer Gletscher, oder in seltenen Momenten, an herrlichen Sommerabenden, getaucht in glühendes Roth: dann füllt sich die Brust mit unwiderstehlichem Sehnen nach ihren schwindelnden Höhen, zerklüfteten Felsen, stürzenden Bergwässern und grünen Seeen.

Wirthsstube im bairischen Hochlande.

Zwar ist das bairische Hochland keine Schweiz. Die Gebirgsstöcke sind dort höher, ausgebreiteter, gewaltiger, die Gletscher häufiger, die Seeen größer, die Fälle stürzen tiefer; doch erreichen hier die höchsten Punkte die gewiß respectable Höhe von 8–10,000 Fuß, wie die Zugspitze, der Watzmann, Mädele, Karwendel und andere, man trifft alle Typen der Alpennatur, und der wahre Naturfreund, der sich nicht von Namen und dem allgemeinen Fremdenzug bestimmen läßt, findet sich gewiß hier eben so befriedigt wie dort. Auch ist es für den einzelnen Reisenden, der dem Geräusch großer Städte für einige Zeit zu entsagen kommt, wohlthuend, hier nirgends den Zügen reisender Engländer zu begegnen, die in der Schweiz allenthalben jene großartigen und theuren Gasthöfe da hervorgerufen haben, wo man Ländlichkeit und Einfachheit suchen möchte, und nur ausländischen Comfort und Luxus für theures Geld findet.

Wer das bairische Alpenland durchreisen will, muß sich begnügen, in einem einfachen Wirthshause beherbergt zu werden, wo er sich jedoch bei mäßigen Ansprüchen befriedigt und vor Allem allenthalben Reinlichkeit finden wird, ohne daß es ihn übrigens belästigen dürfte, wenn vielleicht am andern Tische Knechte und Mägde des Wirthes aus einer gemeinschaftlichen großen Schüssel ihr einfaches Mahl einnehmen, während sich neben ihn einer jener schmucken, stattlichen Söhne der Alpen setzt, wie sie von solcher Größe und Muskelkraft weder Schweizer, noch Tyroler, ihre Nachbarn, aufzuweisen haben. Er darf sich nicht gekränkt fühlen, wenn ihn dieser in seiner treuherzigen schlichten Weise mit „Du“ begrüßt, darf jedoch durchaus nicht glauben, dadurch mit Zudringlichkeiten belästigt zu werden. Hat der Mann einige „Hoalbi“ Bier getrunken, so wird er lebendig, und beginnt seine „Schnattahüpf’ln“ vorzutragen, kleine vierzeilige Lieder, die meist improvisirt werden, und ihr Wirthshaus-, Schützen- und Liebesleben besingen; nun rücken mehrere zusammen, und Einer sucht es dem Andern zuvorzuthun. Dabei wird in die Hände geklatscht, mit den Füßen gestampft und gejodelt. Es findet sich dann gewöhnlich eine Cither vor, das Instrument, welches ausschließlich den Alpen gehört, und hier fast von jedem ihrer Söhne gespielt wird. Bald ist nun auch ein „Deandl“ (Mädchen) bei der Hand, und nun wird „Landler“ getanzt, dieser gemüthliche und zugleich graziöse Nationaltanz, der auf unseren Bällen noch keine Gnade finden konnte, während man Polka, Mazurka u. a. von fremden Nationen entlehnt. Leider folgen dann auch manchmal ernstliche Händel, wie dies bei Naturkindern, die sich von ihren Leidenschaften blind beherrschen lassen, leicht möglich ist. Es werden die stählernen Schlagringe gedreht, die sie am Finger tragen, und selten legt sich der Kampf, bis er sein Opfer gefordert. Doch haben sich durch die strenge Wachsamkeit der Behörden diese Scenen in neuester Zeit sehr vermindert, und haben auch die Leute Takt genug, in Gegenwart Fremder sich zu beherrschen.

Beachtenswerth sind die Symbole, die die Decken der Gastlocale zieren, wie sie unser Bild zeigt. Liegt das Dorf an einem der Seeen, und sind daselbst Kähne zum Gebrauch für Reisende, so hängt von der Decke herab das Modell eines Kahnes mit einer Puppe als Fährmann; außerdem Fleischer- und Bäckerabzeichen, und in gläsernem Behälter ein Frachtwagen in Duodez, wenn hier Einkehr der Fuhrleute stattfindet. Es deutet das, sowie die mit geschnitzten Figürchen besteckten Maibäume, die zahlreichen bunten Heiligenbilder u. a. m., gewiß auf ein schon südlicheres, dem Italienischen verwandteres Element des Volkes hin, das, genährt durch das Bilderreiche des katholischen Cultus, sinnliche, farbige und plastische Anschauungen als Brücke zur Vermittelung seines Ideenganges mit den aufzunehmenden Begriffen bedarf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_133.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2020)