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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

an seinen Körper schmiegte, hob dessen kräftige und wohlgestaltete Formen anmuthig hervor und die nervigen Fäuste, denen man schwere Arbeit wohl ansah, paßten gut zu der kraftvollen und rüstigen Gestalt. – Ich nahm innigen Antheil an seinem Schmerze, sprach ihm Muth zu und sagte ihm, daß ich jedenfalls morgen in Lessueur den Erfolg seiner Nachforschungen abwarten wolle. Er drückte mir schweigend und sichtlich bewegt die Hand.

Wir brachen am andern Morgen schon sehr früh auf. Die Strecke nach Lessueur war ziemlich beträchtlich und es war zweifelhaft, ob wir unterwegs an bewohnten Farmen vorüberkommen würden. Auf meinem Plane fanden sich zwar Städte genug vor, meist mit stolzen und vielversprechenden Namen, wie Toulouse, Florenz, Genua u. s. w., in denen ein in hiesige Verhältnisse Uneingeweihter leicht erwartet haben würde, wenigstens einen Schluck Brandy und einen soliden Imbiß vorzufinden, indessen wußten wir Beide besseren Bescheid. Ich war erst am gestrigen Tage an einer Stadt vorübergelaufen, die San Francisco hieß und aus einem halbverfallenen Blockhause bestand, aus dem drei große Raubvögel krächzend und erschrocken herausflogen, als sie mich gewahrten. Das Land ist hier meist in den Händen von Speculanten, die – das Vorkaufsrecht für sich ausbeutend – große Strecken in Besitz genommen haben und günstige Gelegenheit, wie projectirte Eisenbahnen oder zuströmende Emigration abwarten, um es zu vortheilhaften Preisen losschlagen zu können. Der Weg, den wir zu verfolgen hatten, war auch nicht von der Beschaffenheit, ein schnelles Zuschreiten zu gestatten. Gewöhnlich mit den, an den Hochstämmen des Urwaldes mit ein paar Arthieben von der Vermessungs-Commission angezeigten Sectionslinien zusammenfallend, sind diese Wege nichts weiter, als aus dem Gröbsten durch den Wald gehauene Schneisen. Hier und da überwuchert sie das nachwachsende Unterholz, die Axteinschnitte an den Stämmen vernarben und es ist häufig, wenn man nicht mit einem Compaß versehen ist, geradezu unmöglich, sich zurecht zu finden, namentlich in den dichteren Stellen des Waldes, in die selten oder niemals ein Strahl der Sonne dringt. Wir wußten dies Alles, und deshalb schritten wir so wacker aus, als möglich; unsere Blicke von Zeit zu Zeit nach den Axtmaalen an den Bäumen – der Linie – richtend.

Das tiefe Schweigen des Waldes wurde nur hier und da durch einen Zug wilder Tauben unterbrochen, die prasselnd durch das dichte Laubwerk schwirrten. Mein Begleiter pfiff jedes Mal, gerade wenn der Zug über unsern Köpfen war; die ganze zahllose Taubenschaar flog wie auf ein Commando ein und setzte sich auf die sich unter ihrer Last biegenden und knarrenden Aeste; er schoß in der Regel eine einzelne Taube mit dem Revolver herunter, so das Signal zum plötzlichen Aufbruch für die übrigen gebend. Ich habe dasselbe Verfahren später noch häufig von Indianern gesehen und es selbst oftmals und nie ohne Erfolg angewendet.

„Haben Sie die Linie?“ fragte mein Reisegefährte, als er eben eine blutende Taube aufhob. Ich hatte, gerade so wie er, auf die Tauben, aber nicht auf die Linie geachtet. Wir gingen eine Strecke zurück und spähten vergebens nach angehauenen Stämmen; sie sahen alle glatt und kerngesund aus, keine Spur von einer Axtwunde. Wir mochten wohl eine Stunde vergeblich gesucht haben, als mein Begleiter plötzlich rief:

„Hier ist sie,“ und weiter ging es nach Westen zu, wie wir wenigstens wähnten.

„Gut, daß wir die paar Tauben haben,“ meinte mein Gefährte, „ich wüßte sonst nicht, wo wir etwas zu essen herbekommen sollten.“

Es sah in der That nicht aus, als ob wir unserem Bestimmungsorte sehr nahe waren; Lessueur liegt auf einer Prairie und wir befanden uns recht eigentlich im Hochwalde, von dem es schwer zu sehen war, wo und wann er ein Ende nehmen würde. Ein selbstbereitetes Jägermahl, das mein Gefährte redlich mir mir theilte und während dessen er sein Pferd für sich und uns nach Wasser suchen ließ, stärkte uns zum Weitermarsch, den wir noch immer mit leidlicher Zuversicht antraten. Erst als es dunkel wurde, der Wald noch immer kein Ende nahm und wir die fragliche Linie aller Augenblicke mit den Fingern, statt mit den Augen suchen mußten, fingen wir an, etwas besorgter zu werden. Es ist kein Spaß, im Urwalde unter ganzen Wolken von Musquito’s, die nur der Rauch spärlich vertreibt, das helle Feuer aber geradezu anlockt, bivouakiren zu müssen, und wir waren entschlossen, so lange als nur irgend möglich unsern Weg fortzusetzen, da der Wald doch endlich einmal aufhören müsse. Wirklich wurde er nach einiger Zeit lichter und noch ehe es völlig dunkel geworden war, sahen wir eine weite Wiesenfläche vor uns. Unser erster Blick, als wir das Freie betraten, war dem Himmel zugerichtet; er war bedeckt, vergebens suchten wir nach Mond und Sternen, wir mußten ohne Wegweiser die eingeschlagene Richtung beizubehalten suchen. Die Wanderung fing an, etwas beschwerlich zu werden. Schon kurz nachdem wir die Prairie erreicht hatten, waren wir bis über die Fußknöchel im Wasser gewatet, ohne jedoch darauf sonderlich zu achten, da die Wiesen- in jenen Gegenden oft bis in den Spätsommer hinein naß sind. Jetzt fing aber das Wasser an, uns fast bis an die Knie zu reichen; dazu wurde der Grund unter unseren Füßen immer weicher und nur mühsam konnten wir uns mit jedem Schritte aus dem Schlamme herausarbeiten. Das Pferd meines Begleiters machte uns dabei die meiste Noth; es zitterte heftig an allen Gliedern und gab durch allerlei Zeichen seinen lebhaften Widerwillen gegen unseren gefährlichen Nachtmarsch zu erkennen. Endlich konnten wir es geradezu nicht mehr von der Stelle bringen, es drängte nach der Seite aus, riß unter ein paar gewaltigen Sprüngen, denen mein Begleiter nicht schnell genug folgen konnte, diesem die Zügel aus den Händen und trat keuchend, dampfend und uns das Sumpfwasser in’s Gesicht spritzend mit wilder Eile den Rückweg an, bald in der Dunkelheit unseren Augen entschwindend.

Da standen wir nun mitten in der Nacht, offenbar wenn nicht schon innerhalb, doch mindestens sehr nahe einem jener Sümpfe, die sich dort häufig meilenweit in die wilde Gegend erstrecken, und schon das Grab manches Wanderers geworden sind. Die Musquitos, die uns in ganzen Schaaren umsausten, und die wir buchstäblich zu Hunderten mit den Händen aufgreifen konnten, fielen mit wahrem Heißhunger über uns her, und trieben uns fast zur Verzweiflung; Tausende von hellleuchtenden Käfern summten uns um die Ohren, die ganze Gegend wie mit einem feurigen Regen überschüttend. Dazu die Musik von Legionen von Fröschen, in deren einförmiges Quaken hier und da die mächtige Stimme eines Brüllfrosches, wie der dumpfe Donner eines Positionsgeschützes in das leichte Geknatter eines Plänklerfeuers, einfiel: – es war eine Nacht, wie man sie nur in diesen Wildnissen durchleben kann; eine Nacht, die man nicht leicht vergißt, die vielleicht in der Erinnerung angenehm sein mag, in der Wirklichkeit es aber keineswegs ist.

Da es nicht minder gefährlich schien, rückwärts wie vorwärts zu gehen, so hatten wir nur ein einziges Mittel, uns vor einem Nachtlager mitten in einem Sumpfe, das uns Beide unfehlbar auf’s Fieberbett geworfen hätte, zu bewahren, und das war einfach genug. Ich zog den Revolver und schoß eine Kugel in die Luft, – die Musik um uns her verstummte wie auf ein Zauberwort; eine zweite, dritte. Dann horchten wir athemlos. Nichts. Wir schossen weiter, zwischen je drei Schüssen jedesmal inne haltend und mit gespannter Aufmerksamkeit horchend. Da endlich knallte eine Antwort. Der scharfe kurze Schlag einer Büchse klang in unsere Ohren. Wir begrüßten ihn mit schwer zu schilderndem Jubel, und mein Begleiter ließ einen solchen schrillen und weitschallenden Pfiff durch seine schwieligen Finger, die er alle zehn an den Mund brachte, ertönen, daß die Frösche, die das Schießen schon anfingen gewohnt zu werden, abermals verstummten und erst wieder ihr Concert begannen, als wir den verwünschten Sumpf schon eine geraume Weile im Rücken hatten.

Wir folgten dem alten Manne, der uns aus dem Sumpfe herausgeloots’t und der auch das Pferd meines Begleiters eingefangen hatte, und nach etwa einer halben Stunde beschwerlichen Marsches durch dorniges Unterholz und dichtes Gestrüpp langten wir endlich durchnäßt, müde, hungrig, von Durst gepeinigt, vom Fieberfrost geschüttelt, in seinem ärmlichen Blockhause an. Ein tüchtiges Feuer, woran wir unsere Kleidungsstücke trocknen und unsere Glieder erwärmen konnten, war das Erste, was mir begehrten, und was uns bereitwillig gewährt ward. Dann verlangten wir etwas zu essen – für Geld natürlich; – Gastfreundschaft ist in diesen Gegenden eine Tugend des Luxus, man kennt sie so wenig wie diesen; die Leute sind meistens zu arm, um sie ausüben zu können, und Unglück und hartes Leben hat sie selbst hart gemacht. Der alte Mann entschuldigte sich mit sichtlicher Verlegenheit. Wir würden mit einem armen Nachtessen vorlieb nehmen müssen, meinte

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