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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Holzstäbchen durch einen Hobel, der auf jeden Stoß deren zwei liefert. Diese Methode ist schon ein großer Fortschritt gegen das älteste Verfahren, wo man durch Spalten viel weniger, und obendrein plumpe eckige Hölzchen herstellte, während jetzt ein fleißiger Arbeiter, der täglich zehntausend Hobelstöße ausführt, an einem Tage hunderttausend Hölzchen anfertigt, da jedes Stäbchen in fünf Hölzchen zerlegt wird. Aus einer Klafter guten, leichtspaltbaren Holzes stellt man in Thüringen fünf Millionen Hölzchen her. Aber welcher Fortschritt ist nun vollends die durch Dampf oder Wasserkraft getriebene Hobelmaschine, welche täglich mehrere Millionen fertig bringt! Diese Maschine wird wohl binnen Kurzem vielen der Gebirgsbewohner, die jetzt vom Schwefelholzhobeln ihren Winterunterhalt erwerben, ihre Arbeit durch zu sehr herabgedrückte Löhne verleiden. Der Hobler liefert die von ihm gefertigten Stäbchen in garbenartige Bündelchen gebunden an die Fabrik ab.

Die nächste Arbeit ist das Zerschneiden der Stäbchen in Hölzchen. Mit einem der Tabakschneide ähnlichen Werkzeuge zerschneidet ein Arbeiter die Holzbündel so leicht wie eine Rolle Tabak. Hierauf werden die Hölzchen von Kindern in die „Maschine“ gepackt. Diese Maschine besteht aus zwei senkrechten, auf einem Brete befestigten Säulchen und zwanzig Bretchen mit einem Loche an jedem Ende, durch welches sie auf die Säulchen angereiht werden. In jedes Bretchen sind fünfzig Querfurchen eingeschnitten. Das Kind legt oder rollt vielmehr mit großer Behendigkeit fünfzig Hölzchen in die Furchen des Grundbrets und deckt darauf das zweite Bret u. s. w. Sind die zwanzig Bretchen der Maschine mit Hölzchen versehen, so schraubt man sie durch Preßschrauben an einander. Wie rasch die Füllung einer Maschine vor sich geht, erhellt aus dem Stücklohne, welches die Kinder erhalten; es beträgt einen Pfennig für die Füllung einer Maschine.

Die gefüllte Maschine ähnelt nunmehr einer Egge, deren tausend Zinken verschieden weit hervorragen. Ein Arbeiter, der die Klemmschraube etwas lockert, bringt durch einige Stoße auf eine Steinplatte alle Hölzchen zu gleich weitem Vorragen, so daß nun die Maschine einer groben Bürste gleicht.

Nachdem nun ein anderer Arbeiter die Enden der Hölzchen kurze Zeit in heißen Sand getaucht hat, damit die Zündmasse gut hafte, taucht er alle in der Maschine eingeklemmten Hölzer mit ihren Spitzen in geschmolzenen Schwefel. Wenn der Schwefelüberzug trocken ist, wird das geschwefelte Ende der Hölzer in den Phosphorteig getaucht, der auf eine Steinplatte aufgestrichen ist. Dieser Teig wird so bereitet, daß man eine bestimmte Menge Phosphor in mäßig erwärmter Gummi- oder Leimauflösung fein zertheilt. Wenn zu viel Phosphor zugesetzt würde, so würde die durch sein Verbrennen entstehende Phosphorsäure die übrigen Bestandtheile der Zündmasse mit einem glasigen Ueberzuge bedecken und das Anbrennen des Schwefels verhindern, Gummi oder Leim wird zugesetzt, um den Phosphor vor dem Verbrauche der Hölzer vor dem Sauerstoffe der Luft zu schützen, weil sonst der brennlustige Stoff sich still verzehren würde. Salpeter, Braunstein oder Mennige, oder mehrere dieser Sauerstoffspender zugleich werden zugefügt, um dem im Gummipanzer eingekapselten Phosphor, wenn er sich durch die Reibung entzündet, die zum Brennen unentbehrlichen Sauerstoffe zu liefern.

Wenn der an dem Hölzchen haftende Phosphorteig, der, so lange er feucht ist, schädliche Dämpfe aushaucht, getrocknet ist, werden die fertigen Zündhölzer von Frauen und Kindern verpackt. Sonst wurden sie hundertweise in kleinen Kistchen aus Bretern geschichtet, jetzt nur in Schachteln aus papierdünnen Holzspänen oder gar nur in Strohpapier. Ueberall gilt es ja zu sparen, um wohlfeile Waare zu liefern, und zwar eine Waare, die nicht zur Befriedigung der Eitelkeit dient, sondern eine wirkliche Erhöhung des häuslichen Comfort darstellt. Man darf sagen, daß durch die Erfindung der Phosphorzündhölzer unser Leben nicht nur bequemer gemacht, sondern geradezu verlängert worden ist. Welche Schaaren von Minuten ersparen wir jetzt, die wir sonst, mit einem unvollkommenen Werkzeuge ausgerüstet, auf das Feuerzünden verwenden mußten; welches Mittel ist uns dadurch in die Hand gegeben, jene Minuten zu edleren Zwecken zu verwenden! In Wahrheit, wir dürfen auf die Erfindung des Phosohorzündholzes mit freudigem Stolze blicken, und es dem großartigsten Mittel zur Zeitersparniß, der Eisenbahn, an die Seite setzen.

Nur ein trüber Gedanke könnte sich in die Freude über diesen Fortschritt mischen, das Mitgefühl mit den Arbeitern, welche durch die neue Erfindung arbeitslos geworden sind. Möge sich aber Niemand von unmotivirtem Mitleid weich stimmen lassen; jede neue Erfindung gleicht dem Speer des Achilles, der die von ihm hervorgebrachten Wunden wieder heilt. Man braucht nur Neustadt am Rennsteige zu besuchen, um die freudige Gewißheit zu gewinnen, daß die neue Erfindung selbst da, wo sie am meisten stören mußte, nur Segen gebracht hat. Zwar wird man in diesem armen Dörfchen, welches, auf der rauhsten Höhe des Thüringer Waldes gelegen, seit Jahrhunderten seinen Hauptverdienst in der Schwammfabrikation fand, nicht ohne Bedauern die beiden jungen Männer sehen, die zuerst die Fabrikation der Phosphor-Hölzchen in Thüringen betrieben, und durch die Dämpfe des Phosphors um ihre Kinnladen gekommen sind. Sie haben sich seit ihrer Genesung wieder ihrem alten Gewerbe, dem Schwammmachen zugewandt. Denn die Nachfrage nach dem alten duftigen Zunder für die Tabackspfeife hat sich nicht nur nicht vermindert, sondern vermehrt, so daß die Production der einheimischen Forsten, ja selbst die der skandinavischen und Karpathenwälder nicht mehr hinreicht, den nöthigen Rohstoff zu liefern. Das alte Gewerbe hat also nichts eingebüßt, und durch das neue haben Hunderte armer Gebirgsbewohner Beschäftigung erhalten. Wie viele Menschen mögen gegenwärtig in Deutschland von der Zündholzfabrikation leben, da in Oesterreich allein im Jahre 1855 in zweihundert Zündholzfabriken zwanzigtausend Arbeiter thätig waren!

Und die Veranlassung zur Erfindung eines solchen Segens für die Haushaltungen und zur Beschäftigung so vieler Menschen war die geistige Thätigkeit eines Mannes, der in seinem rußigen Laboratorium neugierige Fragen an die Wissenschaft stillte. Er suchte Gold und fand Phosphor, der mehr werth ist, als Gold. So kann ein still arbeitender Naturforscher, der, in seine Studien vertieft, sich um die Menschenwelt nicht kümmert, eingreifen in die Nationalökonomie ganzer Völker und die Haushaltung jeder Familie. Wenn irgendwo, so bestätigt sich hier die Wahrheit von Goethe’s schönem Worte:

Thu nur das Rechte in Deinen Sachen,
Das Andere wird sich von selber machen!




Blätter und Blüthen.

Volksjustiz auf Borkum. Es liegt in der Natur der Sache, daß die volksthümlichsten Gebräuche sich in jenen Gegenden erhalten haben, die vermöge ihrer Lage wenig oder gar nicht mit der übrigen Welt in Berührung kamen. Mehr noch als im Innern des Landes ist dies für die am Saume der Nordsee liegenden Inseln eine Wahrheit. – Versetzen wir uns im Geiste nach Borkum, der größten ostfriesischen Insel. Freilich hat dieselbe an Umfang bedeutend verloren, denn während sie in grauer Vorzeit einen Theil des Festlandes bildete, vor zweitausend Jahren noch wenigstens zwanzig Quadratmeilen groß war, hat sie jetzt nur noch drei Stunden Länge und eine Stunde Breite. Das immer mehr in Aufnahme kommende Seebad verspricht den Volkseigenthümlichkeiten kein langes Dasein und darum muß der Culturhistoriker sich beeilen, dergleichen Schätze der Vergessenheit zu entreißen. Die von Jahr zu Jahr sich mehrende Anzahl der Badegäste ist kein Gewinn für die Sittlichkeit und der Pesthauch festländischer Uebercultur beginnt auch schon bei diesem Naturvölkchen die Gemüther zu berühren.

Mag man in unserem „aufgeklärten Zeitalter“ es für eine Lächerlichkeit halten, wenn die Idee der Sittlichkeit so weit getrieben wurde, daß keine Wittwe sich zum zweiten Male verheirathete, da man an eine ewige Liebe und Treue glaubte: ein solcher Volksstamm erinnert an die alten Germanen und verdient volle Anerkennung und Achtung.

Seit alten Zeiten wir hier der Umgang zwischen beiden Geschlechtern genau geregelt; dies ist noch heutigen Tages der Fall und ein bedeutender Hebel der Moralität. Im Winter findet man jeden Sonntag nach melkavend in den verschiedenen Häusern Gesellschaften junger Mädchen, die nicht ungern auch junge Mannsleute einlassen. Daran stößt sich Niemand, denn das geht in aller Zucht und Ehrbarkeit von statten, nur darf der Besuch nicht länger als bis zum zwölften Glockenschlage dauern. Weiß man aber, daß ein Jüngling sich zu einem Mädchen geschlichen hat und bis nach zwölf Uhr bei ihr verweilt, so wird das Haus umstellt. Jede Thür und jedes Fenster wird bewacht, um das Entschlüpfen des Anbeters zu verhindern; ein Parlamentär wird abgeschickt, die Uebergabe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_043.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)