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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Es ist dies bekanntlich eine Krankheit, welche in einer abnormen Steigerung der Empfindung besteht und bei welcher Sinnestäuschungen stattfinden, die nicht etwa Fehlern der Sinnesorgane, sondern einer abnormen Gehirnthätigkeit entspringen. Dergleichen Kranke haben die wunderlichsten Phantasmata; so sah z. B. ein solcher Kranker eine Menge Polizeidiener, welche sich auf seinen Löffel oder Krug setzten und ihn am Essen und Trinken verhinderten; ein Anderer hörte, wie sich alle seine eigenen Gedanken laut aussprachen und da es keine liebenswürdigen Gedanken waren, die sich so unbefangen über sich selbst aussprachen, so suchte er vor ihnen in die Wälder zu fliehen; noch Andere fühlten sich doppelt etc. Die nächsten Ursachen dieser Krankheit, welche entweder in einem zu heftigen Eindrucke, z. B. zu starkes Licht, mechanische Verletzungen, oder in einer abnormen Thätigkeit des Hirns oder Rückenmarks, z. B. in einer Entzündung derselben liegen können, sollen uns hier weiter nicht beschäftigen, da dies erstens in’s Bereich der Männer vom Fach, der Aerzte gehört, und zweitens uns auch von unserem Gegenstand zu weit abführen würde. Die entfernteren Ursachen zu dieser Krankheit aber, welche im 15., 16. und 17. Jahrhundert einen epidemischen Charakter annahm, müssen in der jener Zeit eigenen religiösen Schwärmerei, in der tiefen Unwissenheit besonders in naturwissenschaftlichen Dingen und den daraus entspringenden abergläubischen Vorstellungen, in der krankhaften Begier nach Ruhm und Reichthum, die sich besonders in dem Suchen nach dem Stein der Weisen und der Alchymisterei[1] offenbarte, besonders aber auch in den unerquicklichen und unnützen Zwistigkeiten auf kirchlichem Gebiet und der dadurch herbeigeführten Verwirrung der Ansichten gesucht werden. Statt nun diese bedauernswerthen Kranken der sorgfältigsten ärztlichen Behandlung anzuvertrauen, übergab man sie, die, in Folge jener krankhaften Einflüsse, solche absurde Dinge von Hexerei und Teufelsumgang, den sie gepflogen, behaupteten: dem geistlichen Gericht, welches die sich selbst Anklagenden zum Feuertod verurtheilte. Die meisten von diesen Unglücklichen starben wie Märtyrer einer erhabenen Idee, so ruhig und furchtlos. – Daß aber wiederum eine große Anzahl der der Hexerei Angeklagten blos auf der Folter und aus Furcht vor dieser Geständnisse über Verbrechen ablegten, deren Begehung, beim besten Willen sie zu begehen, in das Reich der Unmöglichkeiten gehört, darf wohl nicht erst erwähnt werden.

Das Verfahren vor diesen Gerichten war übrigens ein sehr summarisches, was schon aus der großen Masse von Prozessen hervorgeht, die vor diesen Tribunalen verhandelt und in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit erledigt wurden. Die größte Routine darin müssen aber unstreitig die geistlichen Tribunale des Bischofthums Straßburg gehabt haben, denn nach einer mir vorliegenden authentischen Quelle sind dort in einem Zeitraume von zwanzig Jahren, nämlich von 1615 bis 1635, nicht weniger als fünftausend Hexen und Teufelsbündner verbrannt worden. Ihre liegenden Güter aber, wenn die Verurtheilten solche besaßen, wurden in der Regel confiscirt und den Domainen der Prälaten zugeschlagen. Indessen gaben auch andere Bezirke dem Straßburger im Hexenverbrennen wenig nach und daß es im lustigen Alt-England einen General-Hexenfinder gab, dem alle alten Weiber mit rothen, entzündeten Augen vorsichtig aus dem Wege gingen, daß man in einem Zeitraume von fünf Jahren im Bamberg’schen gegen sechshundert Hexen und im Würzburg’schen gleichfalls in einem Lustrum neunhundert verbrannte, im Braunschweig’schen aber die Pfähle auf dem Rabenstein, wo die Hexen gepfählt wurden, so zahlreich standen, wie die Fichten und Tannen im Walde, das sind bekannte Sachen. Es wurde aber nicht blos alten, häßlichen, sondern auch jungen, hübschen Frauen der Prozeß gemacht; der Prozeß der jungen schönen Hexe von Schlestadt im Elsaß hat eine ganz besondere Berühmtheit erlangt.

Die Namen der Männer, welche diese bösartige Dummheit mit aller Entschiedenheit angriffen und nicht ermüdeten, bis ihr die Gesetzgebung endlich ein Ende machte, die Namen eines Weier, Friedrich von Spee, und vor Allem des trefflichen Christian Thoimasins sind wohl im Gedächtniß Aller –; höchst wahrscheinlich aber wird sehr Vielen das Kuriosum unbekannt sein, daß noch im Jahre 1728, in jenem Jahrhundert, das sich mit so vielem Stolz das philosophische nennt, im Heching’schen eine vom 18. Februar genannten Jahres datirte landesfürstliche Verordnung erschien, in welcher Demjenigen, welcher einen Kobold, eine Hexe, Gespenst, Alp oder Währwolf todt oder lebendig an den Oberjägermeister einliefert, eine Belohnung von fünf Gulden zugesichert wird. –

Es gibt jetzt so Viele, welche sich nach der guten, alten Zeit zurücksehnen und diese gute, alte Zeit mit ihren Sitten, Einrichtungen und Gebräuchen zurückführen möchten; auf einem in den jüngsten Tagen und noch heute allerwärts viel besprochenen Gebiet hat man schon hie und da den Anfang zu machen gesucht: im Interesse dieser glaubten wir durch Vorstehendes an jene gute, alte, fromme Zeit mit ihrer Rechtgläubigkeit erinnern zu müssen.

K. W.




Eine Erinnerung aus der Jugendzeit.


Aeltere Personen erinnern sich vielleicht noch, daß vor Jahren ein russischer Fürst, Putiatin, in Dresden lebte. Er war sehr bekannt als Original und Sonderling, aber auch als trefflicher, liebenswürdiger Mensch. Noch hört man mitunter von den mancherlei eigenthümlichen Erfindungen erzählen, die er gemacht hatte und die damals neu und auffallend waren, die aber die neuere Zeit zum Theil weiter ausgebildet hat. So besaß er z. B. einen Wagen, in dem er sich ohne Pferd fahren konnte, einen Regenschirm mit kleinen Glasfenster, mit dem er sich ganz bedeckte und Anderes mehr. Eben so wie seine Sonderbarkeiten war aber auch seine Güte und Menschenfreundlichkeit bekannt, die er besonders auf seiner Landbesitzung in Klein-Zschachwitz bei Pillnitz bewährte, deren reizende Anlagen er nicht nur jedem Besucher frei eröffnete, sondern wo er ein Wohlthäter der Armen war und ein Schulhaus erbauen ließ, das noch jetzt in fremder, eigenthümlicher, aber höchst pittoresker Form dasteht und an ihn erinnert. Aber nur nicht für das Schullokal, auch für die Erholung und Erheiterung der Schuljugend ist gesorgt durch ein offenes Gebäude, wo Schaukeln unter dem Schutze eines festen Daches den Kindern Gelegenheit zu Spiel und Freude bieten.

Es ist immer interessant und belehrend, die Eigenthümlichkeit ausgezeichneter Menschen aus ihrem Wirken und ihren Schöpfungen kennen zu lernen. In seinen Erfindungen, der Gestaltung seines Landsitzes und der Einrichtung dieser Schule prägte sich die Eigenthümlichkeit des Fürsten Putiatin aus; aber seine sinnreichen, originellen Erfindungen sind verschollen oder von bedeutenderen verdrängt worden, die reizende Chaumière, wie er seine Villa nannte, die so ganz den Stempel seiner innigen, sinnvollen Natur trug, ist in fremde Hände übergegangen und so ganz verfallen; unversehrt steht nur noch die Schule, die aus der Fülle seines edlen, menschenfreundlichen Gemüthes hervorging, die er mit Liebe schuf und mit Weisheit einrichtete; sie steht und wird hoffentlich noch lange das Andenken des Menschenfreundes in Segen erhalten, wenn seine übrigen liebenswürdigen Eigenschaften, seine Sonderbarkeiten, genug seine ganze Persönlichkeit längst vergessen sind. Aber sie verdient auch an und für sich selbst Beachtung.

Das originelle Gebäude befindet sich zu Ende des Dorfes Klein-Zschachwitz am Saume des Waldes, der sich bis an die Elbe erstreckt. Die Giebelseite, welche die Hauptfront bildet, zeigt neben den drei Fenstern des Schulsaales an jeder Seite eine eingefügte steinerne Tafel mit Inschriften.

  1. Wir wollen übrigens damit durchaus nicht alle sogenannten Alchymisten in die Reihe utopische Chimären suchender Phantasten stellen. Männer wie: Glauber, Berth. Schwarz, Böttger, Brand, Kunkel, Baptist van Helmont, Paracelsus, Tschirnhausen u. s. w., welche Alle Alchymisten waren, werden immer einen hervorragenden Platz in den Annalen der chemischen Wissenschaft einnehmen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_641.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)