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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Verkehr belebt. Vielleicht mochte eben die Erinnerung an daheim Erlebtes die Reisenden abgehalten haben. Sie erinnerten sich an die mancherlei Wahrzeichen und Maßregeln des Kriegs- und Belagerungszustandes, an Patrouillen, Paßpolizeiverschärfungen und dergleichen Dinge. Sie wollten sich den harmlosen Genuß ihrer Reise nicht dadurch stören lassen. Sie hätten getrost Neuenburg besuchen können, und wenn es damals möglich, namentlich in der Schweiz möglich gewesen wäre, von dem Neuenburger Putsch ununterrichtet zu sein, so würde ein Reisender in Neuenburg selbst keine Ahnung davon gehabt haben, daß es vor wenigen Tagen der Schauplatz eines einen Tag lang sieghaften und dann mit Waffengewalt schnell wieder unterdrückten Aufstandes gewesen sei; es sei denn, daß es ihm eingefallen wäre, das an sich wenig sehenswerthe Schloß zu besuchen, und nach der Bedeutung der an einigen öffentlichen Gebäuden noch flatternden eidgenössischen und Neuenburger Fahnen, oder nach dem Grunde zu fragen, warum er an einer Menge palastähnlicher Wohnhäuser die unverkennbaren Zeichen der Ausgestorbenheit finde.

Mit der Post von Bern kommend, hatte ich sofort Gelegenheit, die letztangedeutete Bemerkung zu machen. Die nach dieser Seite hin liegende Vorstadt ist eine Straße von Palästen, an der einen Seite bis an das Seeufer herantretend, an der andern blühende Gartenterrassen den den See einfassenden Bergwällen anlehnend. Der ochergelbliche Kalkstein, der sich zwischen den See und die Juraschichten einschickt, und welcher allein das Baumaterial für die Neuenburger liefert, verleiht den ohnehin eleganten Häusern ein nobles Ansehen. Aber, wie gesagt, sie standen verlassen, die Läden verschlossen, die mit vornehmen Eisengittern abgegrenzten Vorhöfe unbelebt, wie man es wohl in einer sommerverlassenen Residenzstadt, aber nicht am lachenden Ufer des schönen Neuenburger Sees im Sommer erwartet. Nur einige Fenster im Erdgeschoß waren unverschlossen und bezeichneten „des Hauses redlichen Hüter,“ der einstweilen in den öden Räumen allein auch der Gebieter war.

Gymnasium.             Hôtel des Alpes.       Schloß.
Neuenburg.

Am andern Morgen besah ich mir die Stadt, deren Ruf großen Reichthums auf solider Grundlage ruhen mag. Ein Freund führte mich in das palastähnliche Gymnasium, welches auf unserem Bilde besonders deutlich hervortritt, wo ich eine reiche, sehr gut gepflegte naturwissenschaftliche Sammlung fand, wie sie manche deutsche Universität nicht hat. Mit der Karte eines andern Freundes verschaffte ich mir Eintritt in das Innere des Schlosses, wo noch Alles so ziemlich im Zustand des 4. Septbr. belassen war. Wenn es mir nicht längst aus den Zeitungen bekannt gewesen wäre, so hätte es mir aus der Oertlichkeit sofort klar werden müssen, daß es den Royalisien nur um eine Demonstration zu thun gewesen sei. Eine nur halb ernstlich gemeinte Vertheidigung mußte ein großes Blutbad herbeiführen, denn die Vertheidigung war durch die Oertlichkeit sehr begünstigt. Zwei ziemlich steil ansteigende enge Straßen führen aus der Mitte der Stadt nach dem Schlosse empor. Die eine, längere, macht da, wo die andere, ihr von der entgegengesetzten Seite entgegen kommende, in sie einmündet, ein Knie, und von diesem Punkte aus geht eine Fortsetzung der andern ebenfalls gebrochenen Straße in kürzerer Linie auf Stiegen empor, während die obere Hälfte der ersteren in gerader Linie etwa 60 Schritt nach dem Schloßhofe vollends hinaufführt. Jene kürzere Straßenhälfte fand ich noch mit Eisenbahnschwellen verbarrikadirt. Am Eingange in den Schloßhof stand noch das aus Eisenbahnschwellen aufgeschichtete Thor, neben welchem beiderseits eine Kanone aus einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_617.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)