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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Ein Friedensbild nach dem Kriege.
(Mit Abbildung.)

Unter den hundert Kriegern, welche im Laufe d. J. öffentlich von der Königin im St. Jamespark mit der Krim-Medaille decorirt wurden, erfreute sich Sergeant Thomas Dawson einer besonders respektvollen Verbeugung Victoria’s. Er ist einer der vielen entstellten Helden untern Ranges, deren unerschrockene Tapferkeit und Ausdauer die englische Armee mit Ruhm bedeckte, während die Helden obern Ranges Alles thaten und unterließen, sie mit Rasen zu decken. Er ist der tapfere Garde-Grenadier, der unter dem Herzog von Cambridge und General Bentinck Wunderdinge des Muthes that, bis er am 5. November 1854 in dem dicken Nebel und dem Gebalge der Bataille bei Inkerman zum Invaliden geschossen ward.

Schmieriger, schleimiger Boden mit Schluchten und zackigen Höhen, Nebel, so dicht, daß man nicht 2 Ellen weit sehen konnte, dazu Pulverdampf und schießende, Steine werfende, mit Fäusten packende und mit Fäusten gepackte Feinde von allen Seiten. In einer solchen Atmosphäre trieb Dawson seine Hand voll Leute am rechten Ende der zweiten Division einen zackigen Hügel hinauf, den zwei Abtheilungen Russen dicht besetzt hatten und vertheidigten. Er gewann diesen Hügel durch Kugeln und Bayonnette hindurch. Die Russen wurden zuletzt im wirklichen Faustkampfe hinabgestürzt. In diesem furchtbaren Gemetzel zerschmetterte ihm eine Kugel den linken Arm. Kampfunfähig geworden, hatte er nur mehr Muße, dem entsetzlichen Gebalge unter Leichen und Verstümmelten hervor zuzusehen. Mitten im Gemetzel fragte ein Soldat den andern: „Wie gefällt Dir das, Bill?“

„Oh, ich weiß kaum. Bis jetzt bin ich verdammt glücklich gewesen.“

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, stürzte er rücklings, von einer Kugel durchbohrt, auf die zackigen Felsen.

„Also das haben wir nun davon,“ röchelte er und starb.

Ein schwer Verwundeter brummte unzufrieden: „Ich scheere mich nicht so viel um meine eigne Verwundung, aber das ärgert mich, daß ich mitten in der Sache aufhören muß. Es ist, als hätt’ ich einen spannenden Roman bis zur Mitte gelesen und Jemand hätt’ ihn mir aus der Hand gerissen.“

Einmal sah Dawson folgende Kette: Einer seiner Kameraden ward von einem Russen mit einem Steine niedergeschlagen. Er sprang auf, packte den Russen bei der Gurgel und stürzte ihn rücklings den Felsen hinunter. Ein Russe, der das sah, schleuderte den Engländer hinterher; in demselben Augenblicke ward der Russe von einem Bayonnet durchbohrt und der Engländer, der dies gethan, von einer Kugel mitten durch den Kopf getroffen.

Dawson ward bald hinunter geschleppt und in einen jener fürchterlichen Karren gepackt, in welchen die Engländer ihre Verwundeten über Stock und Stein fortzumartern pflegten. Auf dem Wege nach Balaklava mußte er sich an der einen Seite des Wagens festklammern, um den zerschmetterten Arm nicht noch hundert Mal auf’s Neue zerquetschen zu lassen. In Balaklava ward der zersplitterte Arm abgesägt und er nach Scutari verschifft, wo er unter der Pflege der barmherzigen „Nachtigallen“ bald genaß.

„Sie retteten manches Leben,“ sagte er, „denn der Soldat ist zu brav, als daß er in Gegenwart dieser sanften und heroischen Damen so schwach sein sollte, zu sterben.“

Dawson war seit 1839 Soldat, ein Jahr lang Korporal und zwei Jahre Sergeant. Vom Anfange an theilte er alle Schrecken und Schicksale der Krimarmee und war einer der Tapfersten an der Alma, bei Balaklava und Inkerman, außerdem mehr als 50 Nächte in den Schanzgräben unter Schnee-, Wasser- und Kugelregen.

In seiner Heimath ward er von einem lieben Weibe und einer kleinen Tochter empfangen und erfreute sich außer mancher Ehrenbezeugungen officieller und privater Art, auch einer guten Photographirung durch den berühmtesten Photographen Englands, Mr. Mayall, im Kreise seiner Familie. Das Bild ward im polytechnischen Institut ausgestellt, wo es allgemein und auch der Königin so gefiel, daß sie sich eine Copie für ihr Portefeuille ausbat.

Wir geben hier dieselbe Copie, ein Bild, das aus sich selbst verständlich ist und zu Herzen spricht, abgesehen davon, daß es als künstlerisch gelungenes Genrebild zugleich auch zu den technisch besten in der Sphäre der Photographie gerechnet wird. In England existiren davon Hunderte von Nachbildungen in Stahl, Stein und Holz.




Der edle Wein.
Von Dr. H. Hirzel.
III. Die naturgemäße Veredelung des Weines.

Sind die klimatischen Verhältnisse eines Landes oder einer Gegend so, daß der Sommer lang und warm genug ist, um selbst in den weniger schönen Jahrgängen die Trauben bis zum Herbste zur völligen Reife zu bringen, so läßt sich ihr Saft bei zweckmäßiger Behandlung allerdings jedes Jahr in guten oder vortrefflichen Wein umwandeln. In dem größten Theile von Deutschland, der Schweiz, einem Theile von Frankreich etc. wird jedoch der Weinstock in Gegenden gepflanzt, deren Sommerwärme nur selten hinreichend ist, um den Trauben die gehörige Reife zu geben; so daß diese in je zehn Jahren durchschnittlich etwa zwei bis drei Mal ganz reif, in den übrigen Jahren nur zum Theil oder gar nicht reif werden. Trotzdem ist es aber durchaus nicht wünschenswerth, daß der Weinbau in diesen ungünstiger liegenden Ländern aufgehoben werde, da sich der Weinstock mit einem kargen, fettigen oder thonigen Boden begnügt, auf welchem unsere meisten anderen Kulturpflanzen nicht gedeihen könnten. Es bliebe also das Land, dessen geordnete Weinberge uns jetzt ein so schönes Zeugniß menschlichen Fleißes und menschlicher Thätigkeit ablegen, größtentheils brach und wüst, würde nur der Sammelplatz von verschiedenem Unkraut. Die Arbeit und Mühe, welche die Winzer auf die Pflege ihrer Weinstöcke verwenden, ist eine unglaubliche. Jeder Weinstock muß vierzehn Mal jährlich in die Hände genommen, gedreht und gewendet, vom Unkraute befreit, und auf das Beste gewartet und gepflegt werden. Aber dennoch zerstört ein kühler, regnerischer Sommer die gerechten Hoffnungen auf Lohn für so viel Mühe, und kaum reicht der Ertrag des gewonnenen schlechten Mostes oder sauren Weines hin, um das kümmerlichste, ärmlichste Leben zu fristen. Folgen sich nun vollends mehrere schlechte Jahrgänge, so vermag sich der kleine Winzer nicht mehr zu erhalten; er ist gezwungen, sein geliebtes, gepflegtes Stück Land zu verlassen, oder sich seinen oft unbarmherzigen Gläubigern als Leibeigener zu verschreiben. Soll daher der Weinbau in diesen nördlichen Ländern fortbestehen, und wie es zu wünschen ist, noch erweitert werden, so ist allerdings das erste dringenste Bedürfniß, den Winzer zu heben und ihm einen bestimmten Lohn für seine Mühe zu sichern und dies ist möglich.

Nur der Saft ganz reifer Trauben enthält die Hauptbestandtheile: Wasser, Säuren und Zucker in einem für die Weinbildung günstigen, richtigen Verhältnisse. In dem Safte der unreifen Trauben herrscht dagegen die Säure im Vergleiche zum Zucker so vor, daß es unmöglich ist, daraus ohne Zusatz anderer Körper einen guten, gesunden Wein zu erzielen. Man erhält ein saures Getränk, eine schlechte Brühe, die Mund und Magen unvorteilhaft zusammenzieht, daher natürlich keinen Werth hat, und höchstens von einzelnen anspruchslosen Menschen getrunken wird, weil sie „Wein“ heißt. Nur in den Kellern mancher großer Weinhändler und Weinspeculanten wird der schlechteste Most auf wunderbare (?) Weise zu gutem „ganz reinem unvermischtem Naturwein.“ Hier scheint ein zauberischer Hauch, der durch den Keller strömt, die Säure abzustumpfen und zum Theil in Süßigkeit und Weingeist zu verwandeln. In jenen Kellern geschehen demnach wenigstens scheinbar noch Wunder, deren Enthüllung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_523.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)