Seite:Die Gartenlaube (1856) 507.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Der Eine jener Beiden ist sein Helfershelfer, der Andere sein Opfer.“

Es durchflog eine furchtbare Ahnung mein Inneres.

„Erzählen Sie.“

„Der Herr mit dem feinen Gesichte ist der Domainendirektor von Grauburg aus Vornholz.

„Also wirklich!“

„Sie kennen ihn?“

„Fahren Sie fort. Der Andere?“

„Ist der Amtsrath Meier aus der Nachbarschaft. Ein reicher Domainenpachter, der jetzt die seit Jahren gepachtete Domaine vom Staate gekauft hat. Der Vertrag ist heute hier bei der Regierung abgeschlossen; ein bedeutender Theil des Kaufpreises ist sofort bezahlt worden.“

Meine entsetzliche Ahnung schien mir an Consistenz zu gewinnen.

„An wen?“ fragte ich.

„An den Domainendirektor.“

„Bezog sich darauf Ihre Aeußerung über den Helfershelfer und das Opfer?“

„Leider! Der Herr von Grauburg soll ruinirt werden, denn der Demagogenfänger spekulirt auf seine Stelle.“

„Ich weiß.“

„Sie wissen?“

„Erzählen Sie weiter.“

„Er ist mit dem Amtsrath schon aus früherer Zeit bekannt, als er noch in der Hauptstadt im Ministerium arbeitete. Der Amtsrath gehört zu den Leuten, die wissen, daß wer gut fahren will, auch gut schmieren muß. Man sagt, er habe auch jetzt bei dem Domainenkaufe den Doktor gebraucht. Ich glaube es und habe einen besondern Grund, es zu glauben. Er hat sehr wohlfeil gekauft; deshalb überliefert er auch den Herrn von Grauburg, den man in der Hauptstadt beseitigt wissen will; der Doktor hofft sein Nachfolger zu werden.“

„Aber er könnte dies ohnehin werden. Der Herr von Grauburg wünscht in das Regierungscollegium zurückzutreten; seine Frau hat geerbt.“

„Haben Sie auch davon gehört? Indessen, hier gilt es Dienst um Dienst. Wenn der Demagogenfänger den Herrn von Grauburg nicht überliefert, so bekommt er dessen Stelle nicht. Gerade um jener Erbschaft willen thut Eile noth. Morgen kann die Erbschaft erhoben sein, dann wäre es zu spät. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn wir noch in dieser Nacht von einer Kassenvisitation in Vornholz hörten. Sehen Sie nur den Eifer, mit welchem der dicke Meier den Champagner einschenkt, und die Spannung, mit welcher der Demagogen fangende Schuft lauert.“

„Hat denn der Herr von Grauburg keinen Freund, keinen Bekannten, der ihn warnt?“

„In diesem Zimmer keinen.“

„Auch nicht im Saale?“

„Ich wüßte auch dort keinen. Sein großer Leichtsinn und sein früherer Uebermuth haben ihn nie beliebt gemacht.“

Ich konnte die Kombinationen meines Bekannten nicht unwahrscheinlich finden. Mein Entschluß war gefaßt. Ich trat wieder an den Spieltisch, und wollte das Ende der Taille abwarten, dann mit dem Domainendirektor sprechen, nöthigenfalls ihn an das Versprechen erinnern, das er seiner Frau gegeben hatte. Die Leidenschaft des Spieles sollte mein Vorhaben vereiteln. Die Taille hatte erst eben begonnen; das Spiel war hitziger und mithin höher geworden. Bisher war nur Silber auf den Tisch gekommen. Man sah jetzt einzelne Goldstücke in der Bank, sowie vor den Pointirenden. Der Herr von Grauburg spielte nur mit Gold; seine Silberbörse mußte geleert sein, denn er hatte eine volle Goldbörse neben sich liegen. Das Unglück verfolgte ihn fortwährend, und noch immer verlor jede Karte; er zählte nicht mehr bestimmte Summen aus der Börse ab, sondern zog unmittelbar die Einsätze daraus hervor, und verdoppelte diese nach jeder verlorenen Karte, deren er viele besetzt hatte. Sein Gesicht war höher geröthet von der Hitze des Weines und des Spieles.

Der dicke Amtsrath schenkte ihm fleißiger ein. Ein leiser Zug widerwärtigen Hohnes trat in das glatte Gesicht desselben. Der Doktor Feder sah unverwandt mit dem unheimlich lauernden Auge auf sein Opfer. Auch die Blicke der sämmtlichen übrigen Zuschauer waren nur auf das immer eifriger und höher werdende Spiel des Domainendirektors gerichtet; selbst manche Mitspieler achteten mehr auf sein, als auf ihr eigenes Spiel.

In dem ganzen Zimmer herrschte eine fast feierliche Stille. Ich stand in großer Unentschlossenheit, und hatte das Ende der Taille abwarten wollen, um Herrn von Grauburg zu warnen, denn er konnte bis dahin einen sehr bedeutenden Verlust haben. Wollte ich andererseits während der Taille mit ihm reden, so mußte das nothwendig Aufsehen erregen, vielleicht gar das ganze Spiel stören, jedenfalls aber die Aufmerksamkeit speciell auf den Domainendirektor in einer Weise richten, die für seine Lage nur nachtheilig werden konnte. Zudem entging es mir nicht, wie der Doktor Feder schon prüfende und mißtrauische Blicke auf mich geworfen. Hatte er wirklich Pläne gegen den Domainendirektor – und ich konnte nicht daran zweifeln – so mußte mein Einschreiten nur zu einer Beschleunigung der Ausführung seiner Pläne veranlassen. Dazu kam, daß der Herr von Grauburg unzweifelhaft schon jetzt fremdes Geld, einen Theil des ihm amtlich anvertrauten Kaufgeldes für die Domainen, angegriffen und im Spiele verloren hatte. Ich durfte daher nur einen möglichst ruhigen Beobachter machen.

Das Spiel war bis zur Mitte der Taille gekommen. Der Herr von Grauburg hatte sechs Karten besetzt, jede mit drei bis vier Goldstücken, und schien auf einmal einen andern Spielplan gemacht zu haben. Der Plan schien kindisch oder von einer gewissen verzweiflungsvollen Wuth des Spieles eingegeben zu sein. Er hatte die sechs Karten in einer Reihe neben einander liegen. Die letzte in der Reihe war eine Zehn. Auf diese schien er ein besonderes Vertrauen gesetzt zu haben. So oft eine der andern Karten verlor, legte er das Doppelte des verlorenen Betrags zu dem Satze, der bereits auf der Zehn stand; die verlorene Karte zog er zurück. Zuletzt spielte er nur noch die Zehn, und auf dieser stand ein großer Haufen Goldes.

Die Aufmerksamkeit auf sein Spiel verdoppelte sich. Er selbst hielt sich äußerlich vollkommen ruhig, und wußte jede seiner Bewegungen zu beherrschen; nur eine Blässe seines Gesichts, die mehr und mehr der frühern Rothe wich, und sein starr auf die Hände des Bankhalters gehefteter Blick bezeugten die innere Unruhe, die ihn verzehrte.

Die Zehn war erst einmal herausgekommen; sie hatte verloren. Alles war gespannt darauf, wie sie zum zweiten Male fallen würde. Sie gewann. Der Herr von Grauburg bog ruhig ein Paroli. Unmittelbar kam sie wieder heraus, und gewann wieder.

Ein allgemeines Ah der gelösten Spannung, der Ueberraschung, des Erstaunens empfing die Karte. Der Herr von Grauburg bog ruhig ein Septleva.

„Brav!“ sagten halblaut mehrere Stimmen bewundernder Referendarien und Lieutenants.

Ein alter Major knurrte: „Dummes Zeug!“ sagte er. „Bei einem solchen Satze thut ein Sixleva dieselben Dienste.“ Er wandte sich an den Domainendirektor. „Warum biegen Sie kein Sixleva? Sie retten den Satz, wenn die Karte verliert. Bei dem Septleva verlieren Sie ihn.“

Der Domainendirektor sah den Offizier höhnisch an.

„Sie erlauben, daß ich das Spiel eben so gut verstehe, wie Sie.“

Der Major schwieg ärgerlich, wagte aber nicht, das Spiel zu stören.

Der Banquier zog weiter ab. Die allgemeine Aufmerksamkeit, auf das Spiel wurde gespannter. Jedes Auge hing an den Händen des Banquiers, und jede Karte, die er berührte, wurde von den Blicken Aller verschlungen. Es herrschte, während der Banquier abzog, eine Stille in dem Zimmer, daß man eine Stecknadel hätte können niederfallen hören. Auch in dem Ballsaale war gerade eine Stille eingetreten, ein Tanz hatte aufgehört, die Musik schwieg. Am Gespanntesten war die Aufmerksamkeit des Domainendirektors. Aeußerlich war er auch jetzt vollkommen ruhig, und verzog keine Miene; wie sein Gesicht, so war sein ganzer Körper, unbeweglich; aber die Blässe seines Gesichts war furchtbar geworden, und seine Augen starrten fast erlöschend nach den Karten des Banquiers. Nur zuweilen glaubte man ein leises Zucken seiner zusammengepreßten Lippen zu bemerken, wie wenn er sie plötzlich öffnen müsse, um Athem zu schöpfen, um dem eng zusammengepreßten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_507.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)