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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ihn einst einer seiner Gegner an das Handwerk seines Vaters dadurch erinnerte, daß er mit Kreide ein Rad auf die rothe Kirchthür malte und die Worte darunter setzte: „Williges, Williges, was du gewesen – nie vergiß!“ bestimmte Williges, daß das Mainzer Wappen fortan in einem weißen Rad in rothem Feld bestehen solle.

Von Schönburg nach Naumburg gibt es mehre Wege; aber der angenehmste ist der, welcher sich bei der sogenannten „Straße“ in der Nähe der reizend gelegenen Kroppenmühle an dem Wethau-Flüßchen rechts abwendet und dann am südlichen Ufer der Saale an dem „Felsenkeller“ vorbei durch einen kühlen Grund bis in das zu Naumburg gehörige Dorf Grochlitz hinschlängelt. Ehe man von hier aus durch die prächtige Lindenallee der Stadt zuschreitet, verweile man ja einige Minuten auf dem kleinen Plateau, von dem jenes Dorf getragen wird. Es gewährt eine köstliche Umschau. Die Saale mit ihrem malerischen Bogen, den sie hier durch üppige Wiesen zieht, die reichen Felder und Gärten, die freundlichen Dörfer und heitern Villa’s und dann die Berge im frischen Rebengewand und gekrönt entweder mit dem Reste grauer Burgen oder grünem Eichwald: – Alles dies macht diesen gesegneten Landstrich zu einem der schönsten des nordöstlichen Thüringens.

Die Lindenallee zwischen Grochlitz und Naumburg links liegen lassend, stiegen wir die herrliche Terrasse hinab, welche sich von hier aus in einem weiten Bogen in die Aue hineinzieht, durchschritten dann das mit Nachtigallen so reich gesegnete Wäldchen – Dechantsgrund genannt – und gelangten so an die halle’sche Fähre, mittels welcher wir nun wieder das linke Saalufer erreichten. Dicht am Ufer liegt der Gasthof „zur Henne“ und unmittelbar über diesem die Louisenruh, jene freundliche Höhe, wo die verewigte Königin von Preußen im Jahre 1806 sich wiederholt der schönen Aussicht erfreute. Bei der großen Verehrung, womit man im ganzen weiten deutschen Vaterlande dieser edlen Fürstin noch heute gedenkt, ist es kein Wunder, daß die Naumburger schon vor Jahren auf dieser Höhe ein Denkmal errichtet haben und daß zu dem „Louisenfeste“, welches jährlich hier gefeiert wird, Stadt- und Landleute in großen Schaaren herbeiströmen. Als wir vor den mit Pappeln umpflanzten Denkstein hintraten, entblößte der alte Jahn wiederum ehrerbietig sein Haupt und sagte mit feierlicher Stimme:

Louise war ein holdes und zugleich wahrhaft majestätisches Frauenbild, ein Wesen – so recht nach dem Herzen Gottes und drum eine Fürstin, wie sie der Deutsche gern haben will. Sie und der edle Schiller – der zu früh gefallenen Kämpfer jetzt nicht zu gedenken – hätten, nach meiner Rechnung, das Fest Aller Deutschen[1] erleben müssen.“

Von der „Henne“ aus wählten wir den Weg, der saalaufwärts durch einen herrlichen Obstgrund nach der Mündung der Unstrut in die Saale führt. Von den vielen Weinbergen, neben welchen dieser Pfad hinläuft, verdient einer durch die in eine seiner Felswände eingehauenen Bildwerke eine besondere Beachtung. Es ist dies der sogenannte Ratsch-Barthelsberg, derselbe, in welchem Gellert im Jahre 1740 längere Zeit wohnte.

Von diesem Berge aus beherrscht das Auge den östlichen Thalkessel der Unstrut und das ganze so überaus malerische Saalthal von Kösen bis Schönburg.

Nachdem wir auf dem Rittersitze zu Groß-Jena in dem zwar kleinen, aber äußerst geschmackvoll angelegten Garten den Kaffee eingenommen, begaben wir uns nach dem „Keller,“ einer oberhalb des Dorfes gelegenen Restauration. Hier trafen wir eine zahlreiche Gesellschaft und darunter die Familie Jahn’s vor.

Groß-Jena, schon in der heidnischen Zeit bewohnt, dann der Stammsitz des Markgrafen Eckard’s I., ist einst eine nicht unbedeutende Stadt gewesen. Gegenwärtig zählt es jedoch kaum 400 Einwohner. Das am andern Unstrutufer, eine Viertelstunde vom Flusse entfernt liegende Dorf Klein-Jena heißt in den ältesten Urkunden Deutschen Jena.

Den Weg von Groß-Jena bis Freiburg legten wir innerhalb einer halben Stunde zurück.

Als wir vor Jahn’s Hause, unmittelbar am Schloßberge, anlangten, betrachtete mein berliner Reisegefährte mit einer Art von Ehrfurcht das vierfache F, welches dies so schön gelegene und stattliche Gebäude in seinem westlichen Giebel „im Schilde führt.“

„Ja,“ sagte, dies bemerkend, der Alte lächelnd, „erzählen Sie in Berlin in Gottes Namen, daß ich bis an mein Ende an meinem doppelten FF: frisch! fromm! fröhlich! frei! festhalten werde, wie viele – mehr als mattherzig gewordene alte Turn- und Gesinnungsgenossen dem neuaufgekommenen Vier-F: fein, faul, feig und falsch – auch fröhnen mögen!“

Dann reichte er uns Beiden die Hand und führte uns unter einem herzlichen „Willkommen!“ in das Familienzimmer. Hier saßen wir bei einer Tasse Thee bis tief in die Nacht, indem unser so geschichtskundiger Wirth die Unterhaltung immer von Neuem zu beleben wußte. Er erzählte unter Anderm, daß Friedrich der Einzige, als er um dem Tage nach der Schlacht bei Roßbach hier durchkam und ihn der Stadtrath mit einer Rede empfangen wollte, geäußert habe: „Etwas zu essen ist mir jetzt lieber, als die schönste Rede.“ Auch über Napoleon’s Aufenthalt in Freiburg – in der Nacht vom 21. zum 22. Oktober 1813 – theilte er uns viele interessante Einzelheiten mit. Bei Erwähnung des „deutschen Empfangs,“ der dem Kaiser bei dieser Gelegenheit bereitet worden sein soll, zeigte er eine Art von Wuth. Der Baron de Fain erzählt nämlich in seinem Manuscript de l’an 1813 in Bezug auf diesen Empfang Folgendes:

„Am 21. October 1813 wird der Zug auf der freiburger Straße fortgesetzt, die berüchtigten Ebenen von Roßbach rechts und die ruhmvollen Hügel von Auerstädt links liegen lassend. Man denke sich Napoleon’s Erstaunen, als er in Freiburg beim Eintritt in die für ihn in Bereitschaft gesetzte Wohnung[WS 1] eine Anzahl junger weißgekleideter Mädchen mit Kränzen in den Haaren und Blumen auf seinen Weg streuend, vorfindet! – – Die Unschicklichkeit eines solchen deutschen Empfanges entlockte dem Kaiser ein Lächeln.“

„Diese ganze Geschichte,“ sagte Jahn, indem er mit den Zähnen knirschte, „ist eine gemeine Unwahrheit! Ehrenwerthe Greise, welche damals Bonaparten hier mit zu empfangen hatten, sollen Euch morgen früh bestätigen, daß der welsche Buchschreiber seine Erzählung nur ersonnen hat, um uns Deutschen bei der sogenannten großen Nation lächerlich zu machen.

„Um mit etwas Erquicklichem zu schließen,“ begann er nach einer Pause wieder, „will ich Euch aus diesem vergilbten Stück der schlesischen Zeitung Folgendes vorlesen:

„Bei Errichtung des freiwilligen Jägerdetaschements des Leibgrenadierbataillons zu Breslau 1813 wurde ein Herr von Boden, der diesen Namen als westphälischer Unterthan angenommen hatte, zum Feldwebel gewählt. Während den Waffenstillstandes avancirte er zum Offizier. Als die Brigade, in der wir standen, nach der Schlacht bei Leipzig das französische Heer bei Freiburg an der Unstrut erreichte, entspann sich auf dem sehr coupirten Terrain ein Gefecht, welches uns viele Opfer kostete. In einer Schlucht, welche von zwei französischen Geschützen mit Kartätschenfeuer bestrichen wurde, wo wir den französischen Tirailleurs nur einige Schritte entfernt gegenüber standen, kam es weder zum Weichen noch zum Vorrücken. Da stürzte der Lieutenant von Boden, den Säbel in der Hand, sich kühn auf die feindlichen Tirailleurs, sank aber auch in dem Augenblick von einer Kugel durch die Brust gebohrt, in meine Arme zurück und mit Hülfe von einigen Grenadieren trug ich ihn auf Gewehren aus der Schußlinie und übergab ihn einem Wundarzte. Der tödtlich Verwundete war – Herr von Bodelschwingh-Bellmede, welcher,“ setzte Jahn hinzu, „gegenwärtig Geheimer Staats- und Kabinetsminister ist. Und nun zu Bett; – gute Nacht!“

Als ich am andern Morgen früh vier Uhr aufstand, fand ich unsern greisen Wirth bereits in voller Thätigkeit. Studirte er etwa? Behüte! Ich fand ihn, wie er – angethan mit einer leinenen Jacke und mit Beinkleidern von demselben Stoffe – eine riesige „Radehacke“ schwang.

„Dies ist,“ äußerte er, „seit geraumer Zeit meine gewöhnliche Morgenarbeit und wird es auch so lange bleiben, bis über diesen Bergabhang ein anständiger Weg zu meinem Hause führt.“

(Schluß folgt.)




  1. Den 18. Oktober 1813.
    Anmerk. des Verf.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Fußnote fehlt. Es handelte sich um die Wohnung des protestantischen Pastors.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_439.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)