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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Um eine topographische Vorstellung von dem Riesenwerke des Wasserdichters Paxton zu geben, bemerken wir, daß der Penge-Hügel, der den Krystallpalast dem Lande hoch auf seinem Rücken emporhält, sich südlich in natürlichen und künstlichen Terrassen mit Parks, Gärten, statuenbewachten Wegen und Stegen, Seen und Inseln abdacht. Die erste Hauptterrasse oben unmittelbar am Krystallpalaste hin ist eine ungeheuere, geebnete, kiesige Fläche mit Steinballustraden, Blumenvasen und einer Armee kolossaler Statuen nach unten abgegrenzt. Die Seite unmittelbar am Gebäude bildet eine unabsehbare Reihe von Nischen, aus denen kleine Cascaden plätschern. Die erste Terrasse nach unten, zu welcher drei je über 100 Fuß breite Granittreppen führen, umfaßt auf 13 Morgen Landes den italienischen Garten mit drei Hauptbasins und der Hauptfontaine, deren 1200 Fuß langer Umfang von einem Zaun sich kreuzender Wasserstrahlen eingeschlossen wird. Aus der Mitte schießt der 8 Zoll dicke Hauptstrahl 320 Fuß hoch. Um diesen herum kämpfen kleinere Fontainen durcheinander zu einem ununterbrochen steigenden und fallenden Gewoge von wolkigem Wasserstaub. Den beiden Seitentransepten des in Sonnenglut blauenden und ätherisch leuchtenden Palastes gegenüber auf derselben Terrasse, senden die beiden andern großen Fontainen zwischen schlankeren, kleineren Nymphen von Strahlen 8 Zoll dicke, lebendige Wassersäulen 100 Fuß hoch empor.

Die Hauptfontaine in der Mitte hat vor dem weiten Horizonte nach unten einen näheren Hintergrund in riesigen Rosengartenlauben von Glas und Eisen, über dessen graziöse Linien üppige Schlingpflanzen ihre grünen und blühenden Arme klammern, und zwei Gruppen von Wassertempeln, deren eine durch unsere Abbildung in ihren Umrissen anschaulich wird. Aber das Leben und Lärmen darin, das tolle Rauschen und Sprudeln und Plätschern, die Hauche und Spiele von Farbentinten, die Luft und Sonne und das duftige, beperlte, im schwersten Diamantenschmucke sich biegende Grünen und Blühen drum herum, die schönen Damen und die lustigen Kinder dazwischen, welche unter dem dichtesten Staubregen am liebsten hinlaufen und selbst noch lachen, wenn sie mit ihren kostbaren, reinen Kleidern und den kleinen runden Patschhändchen in den durchrieselten Sand hinfallen, daß die Kleidchen über sie hinwegstürzen und die kleinen, frischen, unschuldigen Waden frisch gen Himmel leuchten (und oft in aller Unschuld noch mehr) – das kann man nicht mit in Holz schneiden und durch Druckerschwärze nöthigen: „verweile doch, du bist so schön!“ Es reicht auch nicht hin, daß man es sehen muß, um’s zu glauben. Wie weit reicht denn das Auge? Mit der stärksten Bewaffnung kann es nicht um Ecken, durch Bäume und Wände, durch Berge und Granitblöcke sehen.

Der Umfang dieses riesigen Wasserdrama’s geht über alle Fassungskraft des physischen Sehens hinaus. Unten laufen die entlassenen Wassermassen nach kurzem Dienste in Katarrhakten nach der geologischen Insel zusammen, und umspülen dort die schuppigen Rücken von Ungeheuern, die vor Millionen Jahren lebten, während dieselbe 320fache Pferdekraft aus dem 570 Fuß tiefen artesischen Brunnen oben innerhalb des Gebäudes aus der riesigen Krystallfontaine auf die üppigen Blätter und Blüthen der Victoria regia und lustige Fischchen und in dem Heiligthume der üppigsten, höchsten maurischen Kultur von Granada, dem Löwenhofe der Alhambra, aus ein Dutzend Löwenrachen und im pompejanischen Hause aus der Schale einer Nymphe in den Mosaikteich des Atriums herabsprudelt. Wer könnte den Umfang, die Ausdehnung und die ununterbrochen in tausend Formen und Farben spielende, alle dreißig Morgen des Krystallpalast Gebietes durchadernde und belebende Wasserpoesie, die Heiligthümer aller Zeiten und Zonen verjüngend und erheiternd beleuchtenden irdischen Regenbogenspiele jemals wirklich mit dem physischen Auge sehen? Das geht schon deshalb nicht, weil die volle Pferdekraft dieses Ungeheuers von Wasserkunst es nur bei seltenen, feierlichen Gelegenheiten, wo man sieben Schillinge statt eines bezahlen muß, eine halbe Stunde lang aushält. Nach dieser halben Stunde des aufregendsten, erhabensten und heitersten Schauspiels und der furchtbarsten Anstrengung des Dampfwerks sterben die 11,788 Wasserstrahlen plötzlich dahin und die 100 bis 320 Fuß hohen Riesen, die eben den Himmel stürmen und die Sonne ausspritzen zu wollen schienen, stürzen zusammen, wie von einer Kugel durch’s Herz geschossen! Die Götter, Göttinnen, Nymphen, Engel und Karyatiden aller Art unter den Wasserschalen, aus den Dächern der Wassertempel und an den Säulen umher sahen plötzlich aus, als wären sie aus dem Bade gesprungen und sähen sich zitternd und bebbernd vor Kälte vergebens nach einem Handtuche zum Abtrocknen und anständiger Kleidung um. Und dazwischen stehen die frostigen eisernen Röhren, Bogen und Mündungen so kahl wie Rumpfe abgehauener Bäume und Krautköpfe. Sie, die eben noch tausendfältigsten Uebermuth sprudelten, müssen nun 231/2 Stunden warten, bis sie wieder auf ein halb Stündchen sich lustig machen können. Und die Wassertempel und ein paar tausend andere Mündungen trauern gar von einem Besuch der Königin bis zum andern, Wochen lang, ehe sie einmal wieder eine halbe Stunde aufjubeln dürfen. Das kommt von dem Zuviel auf einmal. Drei- bis fünftausend Wasserstrahlen in schönen Massen und Proportionen auf längere Dauer und mit weniger Absicht, den Leuten die Hüte zu verderben und sie mit Rheumatismus zu bedrohen, waren mehr als die alle Jubeljahre einmal losrasende Wuth von 11,788 Wasserflammen auflodernden Strohfeuers.

Aber den Krystallpalast kann nichts verderben. Ich glaube sogar, daß ihm mein Buch keinen merklichen Schaden gethan. Er ist, was das heilige Grab den Jahrhunderten der Kreuzzüge. Er wird es sein, nicht ein heiliges Grab, sondern das sich vereinigende, heilige, heiligende, erheiternde, alle Klassen und Völker zu sich einladende Mekka, Jerusalem, Zeus-Haupt, Rom und Athen des ganzen, kulturgläubigen, neuen und zukünftigen Menschengeschlechts.




Eine Frucht des Krieges in der Krim.

Am 14. Novbr. 1854 wurde bekanntlich die französische und englische Flotte im schwarzen Meere von einem furchtbaren Sturme heimgesucht, welcher den „Heinrich IV.“ an die Küste warf, mehrere Transport-Fahrzeuge zertrümmerte und fast alle andern Schiffe mehr oder minder beschädigte. Der Sturm erstreckte sich über die ganze Krim wie über das ganze schwarze Meer, während man fast gleichzeitig stürmisches Wetter in Frankreich und in dem Mittelmeere beobachtete. Die Erscheinung war demnach keine örtliche, sondern die Folge irgend eines Vorganges in der Luft, der sich über weite Flächen, vielleicht über ganz Europa, erstreckte und es wurde wünschenswerth zu ermitteln, wie eine solche Lufterschütterung hatte entstehen, sich entwickeln und verbreiten können. Der französische Kriegsminister beauftragte denn auch den Director der Sternwarte zu Paris, die erforderlichen Nachforschungen anzustellen und Leverrier erließ ein Rundschreiben an alle Meteorographen in der Welt, in welchem er sie aufforderte, ihm ihre Beobachtungen von einigen Tagen vor jenem 14. Novbr. mitzutheilen. Es gingen darauf über zweihundertundfunfzig Antworten mit namentlich den barometrischen Beobachtungen ein, die genau zu gleicher Zeit an den verschiedensten Orten gemacht worden waren und es galt nun, diese Masse von Beobachtungen zu prüfen und zu ordnen, eine Arbeit, die Liais mit glänzendem Erfolge durchgeführt hat.

Am 12. Novbr., als in Paris genau Mittag war, befand sich die Atmosphäre an verschiedenen Punkten Europa’s in sehr verschiedenem Zustande. Der Barometer stand an einigen Orten viel höher als an andern und diese Orte waren nicht unregelmäßig vertheilt. Bezeichnete man sie auf der Karte, so gaben sie eine wenig gebogene Linie, die von Norden nach Süden lief. Diese Linie ging über England unter dem 55° n. Br., durch den Kanal von Bristol nach der Spitze von Cornwall. Von hier schritt sie über den Kanal, durchschnitt die Bretagne und Frankreich und trat über Narbonne in das mittelländische Meer ein. Da verschwand sie aber nicht; man fand sie an der algierischen Küste wieder. Auf dieser langen Linie hielt sich der Barometer auf 770 Millim.; entfernte man sich von ihr nach Osten oder Westen

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