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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ein durchdringendes Hülfegeschrei einer weiblichen Stimme aus dem die Straße überfluthenden Wasser vernahmen. Man schob den Kahn rasch in der Richtung hin, von welcher der Hülferuf erscholl und entdeckte eine weibliche, ganz entkleidete Gestalt, die sich vergebens anstrengte, sich über dem Wasser zu halten. Nachdem sie mehrmals gesunken und wieder aufgetaucht war, fing sie ein Soldat leblos auf und trug sie in den Kahn, auf welchem ein Kind freudig aufschrie: meine Mutter, meine liebe Mama! –

Dieser Ruf drang tief in das Herz des Weibes, das bewußtlos in den Armen des Soldaten hing. Sie kam zu sich und erkannte ihr Kind, welches in einem benachbarten Hause zum Besuche gewesen war, als die Fluthen plötzlich herein tobten, die Straßen überschwemmten, jede Verbindung abschnitten und das Haus, welches ihr Kind barg, zusammenstießen. Der Entschluß der Mutter war bald gefaßt: sie entkleidete sich, stürzte sich in’s Wasser und schwamm ihrem Kinde zu Hülfe. Aber die Fluthen rissen sie zurück, so daß sie sich bis zur Ohnmacht und zum Sinken darin abmühte, bis sie in denselben Kahn gerettet ward, der schon ihr geliebtes Kind in dem Schooße der Freundin barg. Die Freundin sah sich nicht um, sondern streckte nur im Uebermaße von Dankbarkeit ihre Arme gegen den Himmel empor und betete vielleicht mit zwei, drei Ausrufen des Herzens inniger und schöner, als jemals der Fromme, der in hergebrachten, aufgezwungenen Formeln zu einem dogmatisch gemachten Gott aufjammert.

Wir schließen gern mit einem solchen Bilde, das unsere Herzen aus diesen Sündfluthen des Schreckens wieder aufhilft, obgleich es nur ein Erbarmen des Zufalls sein mag, der die rücksichts- und kleiderlos mit der Wuth des Elementes um ihr Kind kämpfende Mutter im Momente ihrer Rettung zugleich durch die süße Stimme ihres freudig aufjauchzenden, geretteten Kindes zum Bewußtsein und in’s Leben zurückrief.




Blätter und Blüthen.

Der Revalenta-Schwindel taucht neuerdings in veränderter Gestalt wieder auf und versucht sich diesmal in einer kleinen literarischen Farce: die einzelnen massenhaften Atteste, von denen die Zeitungen bis vor Kurzem wimmelten, sind gesammelt und mit einem Titel versehen, der, ein wahres Evangelium, wie die Faust auf’s Auge paßt: „das Wiederaufleben der gesunkenen Lebenskräfte ohne Medizin irgend einer Art“ u. s. w. u. s. w. Berlin, bei E. Mai. Die vornangeflickte Einleitung bildet ein albernes Gewäsch über chronische Krankheiten, Abführmittel, Klystiere u. dgl. mit Citaten aus fast durchgängig unbekannten „Schriftstellern“; diese Citate betreffen aus dem Zusammenhange gerissene Aussprüche der allgemeinsten Art, wie sie jeder Hansdampf auch gethan haben kann. Ueberdies wimmelt das ganze Machwerk, offenbar eine Übersetzung von Laienhand, von Druckfehlern. – Diesem neuen Humbug gegenüber machen wir nochmals auf Frickinger’s verdienstliche Schrift: „die Revalenta, ein großartiger Betrug“ aufmerksam. Ihr aber, ihr Hypochondristen und Hämorrhoidarier, lasset euch durch solche Titel nicht bethören, spart die 3 Sgr. für ein Glas Bier mehr, es ist euch dienlicher als solch’ Ragout! –




Eine Ironie des Zufalls. Als Napoleon 1808 (wenn ich nicht irre), aus Holland kommend, am Ufer des Rheins entlang reiste, befahl der Präfect den Rhein- und Moseldepartements den Gemeinden, den Kaiser mit allen möglichen Feierlichkeiten und Zeichen der Liebe und Anhänglichkeit zu empfangen. Dieser Befehl brachte manches Alpdrücken der Sorge hervor, und mancher Ortsvorstand (in den Städten „Maire“, auf dem Lande „Syndic“ genannt) ging in schweren Träumen wachenden Augen umher und wußte nicht Rath, nicht Hülfe. Also erging’s auch dem Herrn Syndic eines rheinischen Dorfes, dessen Hauptnahrungsquelle der Weinbau ist. Eine Triumphpforte sollte erbaut, eine Musikgesellschaft herbeigeschafft werden und jedes Dorf, jede Stadt trommelte die Kirchweihgeiger zusammen, um die übliche Musik zu bekommen. Endlich gelang es noch dem Syndic, eine Anzahl sogenannter Speckgeiger herbeizuschaffen, und diese Noth war gehoben; noch aber nicht die zweite, die Triumphpforte, nicht die dritte – die Rede, welche unbedingt gehalten werden mußte. Er hätte sie am liebsten selbst gehalten, denn in den glorreichen Tagen der untheilbaren Republik war er Agent gewesen und hatte die Reden an den Decaden in der Kirche oder wie sie damals hieß, im Volkstempel, gehalten. Da war es ihm aber allemal schlimm ergangen, wie weiland einem deutschen Professor im frankfurter Parlamente – er hatte fortlaufenden Beifall, d. h. die zur Kirche getriebene Gemeinde lief, theils lachend, theils zornig von dannen; es waren undankbare und wie er selbst sagte: „verdrießliche Mitbürger.“ Durfte er so etwas vor dem Kaiser riskiren? Der verstand überdies kein Deutsch und der Syndic kein Französisch. Was sollte da werden? Die Lage war schrecklich!

Endlich half aus dieser Noth der Pastor, welcher des Französischen so weit kundig war, um eine kurze Anrede zu halten, auch wohl die Fragen den Kaisers zu beantworten. Nun kam noch die Ehrenpforte! Da half ein guter Rath eines Architekten aus der nächsten Stadt, der durchfuhr, und der Geschmack des Schulmeisters, der den Rath ausführte. Alle leeren Fuder-, Halbfuder-, Zweiohm-, Ohm- und kleinern Fässer wurden aus den Kellern des Dorfes zusammengerollt und daraus eine eben so eigenthümliche, als passende und schöne Ehrenpforte erbaut, und dann jedes Faß mit Blumen und Epheugewinden umschlungen. Wer den seltsamen Bau sah, mußte ihm Beifall geben.

So war denn Alles geordnet, als der Kaiser kam, begleitet außer Andern von dem General Rapp, der bekanntlich ein Deutscher war. Die Glocken läuteten, die Böller knallten, die Schuljugend rief das ihr eingepaukte: Vive l’Empereur! in den seltsamsten Variationen, die Gemeinde fiel mit demselben Rufe ein, und alle Honoratioren des Dorfes, an ihrer Spitze der Pastor und der Syndic, waren aufgestellt.

Napoleon sah die seltene und seltsame Ehrenpforte und rief Rapp zu: „Das ist neu, passend, geschmackvoll und doch billig und ländlich!“ Er befahl zu halten und stieg aus.

Hatte schon die Ehrenpforte einen sehr guten Eindruck auf ihn gemacht, so vollendete diesen die einfache, wohlgesetzte und kurze Anrede des katholischen Geistlichen. Er hörte ihr beifällig zu und sprach sich sehr wohlwollend über den Empfang aus; besonders gefiel ihm die Idee des Triumphbogens. Er fragte nach dem Urheber und Ausführer, ließ sich den Schulmeister vorstellen und belobte ihn höchlich.

Jetzt fiel die Musik ein.

Napoleon war gut gelaunt. Er that, als horche er auf die einfache Melodie, welche sie spielte und die offenbar die Weise eines Volksliedes war.

Plötzlich unterbrach die Stille Rapp’s brausendes Gelächter, welches er, so viel Mühe er sich auch gab, nicht länger beherrschen konnte.

Finster wurde die Stirne des Imperators und mit einem stechenden Blicke wandte er sich zu Rapp um.

„Warum lachen Sie so?“ herrschte er ihm zornig zu.

Rapp, der wußte, daß er sich etwas erlauben durfte, erschrak nicht, sondern sagte immer noch lachend: „Majestät, es ist der Text des Liedes, das die Musik eben spielt, der mich lachen macht.“

„So?“ sagte Napoleon. „Und wie lautet der? Ich will ihn wissen!“

„Es ist ein altes, deutsches Volkslied, Majestät,“ sagte Rapp, „das so anfängt:

„Du bist der beste Bruder au nit.“

„Still!“ donnerte der Kaiser, trat rasch zum Wagen, sprang hinein und – vergaß den Gruß zu erwiedern, den ihm die Gemeinde mit rauschendem Tusche nachrief.

W. O. von Horn.




Elektromagnetische Heilkissen von Betty Behrens in Cöslin. Für 25 Sgr. kauft man unter diesem Namen ein aschgraues Leinwandsäckchen, das mit Eisenfeile gefüllt ist; dieser Inhalt ist durch entsprechendes Zusammennähen in stangenartige Lagen abgetheilt, so daß das Ganze den Eindruck einer zusammengesetzten Kette macht; das Kissen, über dessen Wirksamkeit zahlreiche Atteste beigebracht werden, wird erwärmt auf den leidenden Theil aufgelegt. Von Elektricitätsentwickelung kann hier natürlich nicht die Rede sein, doch mag die trockne Wärme, die dadurch erzeugt wird, unter Umständen wohlthätig sein; es bedarf aber hierzu nicht erst solch’ theurer Eisenkissen, deren Inhalt noch dazu leicht rostet, sondern die wohlbekannte Watte und noch mehr die leicht selbst zu fertigenden Kräuterkissen leisten dafür vollständigen und bessern Erfolg.


„Aus der Fremde“ Nr. 30 enthält:

Im Orient. (Zweiter Artikel.) – Die Amazonen Südamerika’s. – Ein Abenteuer in Pegu. – Aus allen Reichen: Die Giesen. – Die Parteien in den Vereinigten Staaten.


Dieser Nummer ist eine Probenummer der in gleichem Verlag erscheinenden

„Deutschen Turn-Zeitung“

angefügt.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_408.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)