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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Wir fanden einige, von den ungeheuern lederartigen Zweigen der Laminaria digitata, mit ganz vorzüglich kleinen Muscheln besetzt; sie hängen mit ihren kleinen, gelblich weißen, dreifachen, sehr tief blaugestreiften Schaalen an ihnen, wie in gegliederten Ketten. Keins dieser lieblichen Thiere war größer, als ungefähr 1/6 Zoll in Länge und 1/8 Zoll in Breite. Sie lebten einige Tage in dem mit Wasser angefüllten Glase, in welches wir sie gethan hatten, und zeigten ihren kleinen, zarten, weißen Körper, und Fühlfäden (antennae), wenn sie an der Seite des durchsichtigen Gefäßes hingen. Ich hätte sie für eine Patella pellucida gehalten, wenn sie nicht zu klein gewesen wären; aber Kapitain Browns’ Muschellehre zu Folge, sind diese einen Zoll lang, und habe ich niemals Muscheln gefunden, welche meinen kleinen Lieblingen im geringsten geähnelt hätten.

„Nun, meine Freundinnen, will ich Euch benachrichtigen,“ sagte Madame D., „daß wir beim nächsten Landen nachsehen müssen, was unsere Körbe enthalten, damit wir unser Mittagsmahl halten können.“

„Auf jeden Fall,“ erwiederte Herr D., „denn ich bin hungrig wie eine Krappe. Sie wissen, meine Damen, Derartiges verliert die Hälfte der Schönheit, wenn Zeit und Platz nicht gehalten werden. Ich denke, unser nächster Landungsplatz soll hinter dem Brückenpfeiler zu Paington sein. Wir finden dort einige uns schützende Klippen. Ich schlage vor, daß wir dahin gehen, essen und trinken. Die, welche müde sind, mögen ruhen, während ich mit Hammer und Meisel einen neuen Angriff auf die Felsen mache, und einige von den großen Seeanemonen abzuschlagen suche. Diese sollten jederzeit mit Felsen und Allem abgelöst werden, denn wenn man sie lostrennt, beschädigt man sicher ihre Saugbasis, und ist die Haut davon gebrochen, so ist unsere Actinia crassicornis bald nichts mehr als ein Häufchen Verwesung, denn das beschädigte Stück löst sich ab und das Geschöpf bricht in Stücken. Es sind prachtvolle Schönheiten, wenn in gutem Zustande, demohngeachtet wünschte ich ein oder zwei purpurfarbene und einige von den scharlachnen und weißen Abarten zu besitzen. Nun, Kinder und Damen, springt an’s Land, wo möglich mit trockenen Füßen.“

Wir landeten und versammelten uns unter dem Schatten der Klippe, fielen ernstlich über unser Mittagsessen her, und mit solchem Appetit, wie ihn nur Ausflüge am Seeufer hervorbringen können. –




Bilder aus Kansas.
(Nach dem Briefe eines deutschen Pioniers aus Cincinnati.)
Kansas und seine Einverleibung. – Größe und Ausbreitung. – Eine Stadt ohne Häuser und Straßen. – Ein Schlafzimmer ohne Wände. – Landschaftliche Bilder. – Civilisations-Grausamkeit. – Geschichte des „jungen Adlers“ und des „Wolfes.“ – Das Haus eines Literaten. – Die große Lebensfrage Amerika’s.

Der Krieg Englands mit Amerika hat, wie es scheint, ein Ende, ohne angefangen zu haben; aber der Bruderkrieg in Amerika beruht auf keiner Diplomatenmogelei und entwickelt sich substantiell aus feindlichen moralischen und socialen Interessen. Es ist der Krieg zwischen dem Norden und Süden, zwischen den Abolitionisten und Sklavenhaltern, der Baumwollen- und Zuckeraristokratie des Südens mit der stand- und klassenlos gemischten, handelnden und speculirenden Bevölkerung der ungeheuern Küste, die ihre mit Städten und Schiffsmastwäldern bedeckten Gestade der alten Welt zukehrt. Der Widerspruch und die Krisis zwischen dem Norden und Süden ist so groß, daß man längst behauptet, der Kampf könne blos in einer politischen Trennung der beiden Staatengruppen, in einer Auflösung der Union sein Ende finden. Begonnen hat der Kampf thatsächlich, begonnen hat die Auflösung wirklich. Die Gewißheit, mit der man auf die Wahl des ehemaligen amerikanischen Gesandten in England, Buchanan’s, eines Sklavereiprotectors und Demokraten, zum Präsidenten der vereinigten Staaten blickt, bringt die Krisis wahrscheinlich zum Kriege. Der eigentliche Kriegsschauplatz dieser beiden feindlichen Elemente streckt und breitet sich jetzt in gelinder Unendlichkeit im fernen Westen, dem neuen Einzelstaate der amerikanischen Republiken, Kansas.

Die Art und Weise, wie die Einverleibung dieser ungeheuren Ländermasse in die amerikanische Union bestimmt ward, brachte die lange vorbereitete Krisis zwischen dem Norden und Süden zum Ausbruch und ist schon in sich selbst ein Anfang der Auflösung. Die südlichen Sklavenstaaten sahen in Kansas ein unendlich weites, neues Feld zur Ausbreitung ihrer Sklavenställe. Der Norden marschirte zu Tausenden in diese große, blühende Wildniß, um sie den Sklavenhaltern streitig zu machen und für die gleiche Berechtigung aller Menschen und Farben zu gewinnen. Beide Parteien entwickelten gleich vom ersten Anfange den größten Eifer, da das Aktenstück, welches Kansas zu einem Staate der Union machte, die Bestimmung enthielt, daß er ein Sklaven- oder freier Staat, je nach der Majorität der Bewohner werden sollte. Diese Bestimmung lief gegen das Staatsgrundgesetz der Union. Wenigstens ist die sogenannte „Missuri-Vereinbarung“ (Missouri compromise) als ein Theil desselben zu betrachten. Diese Vereinbarung bestimmt nämlich, daß die Sklaverei nie über 36° 30’ nördlicher Breite und westlich über den Missuri ausgedehnt werden dürfe. Das Kansas-Territorium liegt aber weit über diese Grenzen hinaus. Wenn nun, wie es bis jetzt scheint, die Sklaveninteressenten in Kansas als Majorität den Ausschlag geben, ist der erste Schritt zur Auflösung der Union geschehen, gesetzlich-ungesetzlich gethan; denn sowohl das Missuri-Compromiß als die Bestimmung, daß Sklaverei oder Freiheit in Kansas von der Abstimmung der Bewohner abhängen solle, sind Akte des Congresses.

So wird das ungeheure Kansas-Territoriun, jetzt schon der eigentliche Kriegsschauplatz des Fundamentalzwiespalts der vereinigten Staaten, ein immer größeres historisches Interesse gewinnen. Auch abgesehen davon ist es als ein neues Stück Erde der neuen Welt, als blühende Wildniß eine erfrischende Neuigkeit, die ihre endlosen hügeligen Prairien- und Wälderdüfte erquickend herübersendet bis zwischen unsere polizeilichen Warnungstafeln, die jeden Graben und Feldweg, jedes Gräschen und Hälmchen unter Aufsicht und „in Ordnung“ halten.

Kansas dehnt sich von den Ufern des Missuri westlich bis Neu-Mexiko und Utah, den Schluchten und Abgründen der großen Felsenberge und von Texas und den indianischen Ländereien nördlich bis Nebraska, einer Art von zweitem Kansas, aus. Der östliche oder Missuri-Theil von Kansas umfaßt etwa 50,000 englische Quadratmeilen welligen, wohligen, üppigen Landes. In der Mitte dehnen sich endlose Weiden und Wiesen und im Westen schlummern unter Waldbergen unschätzbare Kohlen- und Mineralschätze. Das ganze Kansas-Territorium bedeckt einen Flächenraum von 120,000 englischen Geviertmeilen, die beinahe zu 130,000 werden, wenn man die wirkliche Oberfläche mißt. Diese besteht oft Hunderte von Meilen weit und breit in einem festgewordenen Gewoge von blühenden Thälern und Bergen, die also auf derselben geographischen Oberfläche viel mehr Terrain geben, als wenn berechnet nach der bloßen ebenen Ausdehnung. Ein Weg, der durch das Thor führt, ist allemal kürzer, als der, welcher uns nöthigt, über dasselbe hinwegzuklettern. Das Kansas-Territorium besteht aber zum größeren Theile aus solchen geschlossenen Thoren und Hügelwellen.

Bei der Unkenntniß, welche bis jetzt noch diese ungemessene künftige Welt verschließt, wäre damit vorläufig für eine Schilderung noch nicht viel anzufangen. Glücklicher Weise aber kam uns der Brief eines Deutschen in die Hand, der die Missionäre des Kansas-Vereins von Cincinnati, die Herren Boynton und Mason, auf ihrer Expedition zur Untersuchung des Landes und zur Organisirung des Widerstandes gegen die Sklavenhalterinteressen, 1854 und 1855 begleitete und einige interessante Detailschilderungen bietet.

Zuerst kamen die Missionäre der Freiheit von Missuri aus

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_404.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)