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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

in der Feldlock die Leimruthe. Im Herbste, wenn die Finken zogen, stellten sie ihnen Schneißen. Der „Fastenfink“ war der mehr geschätzte, und am blauen Schnabel erkenntlich. – Wie sie aus der Esse oder vom Schraubstock kamen, diese ungeberdigen Natursöhne, rußig und luftig, so gingen sie auf und davon mit ihrem Dußpfeifer auf dem Rücken, mit dem Gärnchen, der Leimscheide, der Mehlwürmerschachtel, dem scharfen Schnitzer, Käse und Brot und der vollen Schnapsflasche im Querchsack, mit dem langen Blasrohr in der Hand und „ein paar Pfennigen“ in der Tasche, und brachen unaufhaltsam in die noch kahlen Laubwälder durch Schnee und Wasser, lustig und guter Dinge, voll Schnurren und Schelmereien, ein ungewaschenes, ungezogenes Völkchen, dessen Narretheiding und starke Faust überall gefürchtet, wurde. Früh, eh’ noch der Tag graute, zogen sie die Dornsengasse im steilen Grund hinaus und tranken in den „Hüscherchen“ (Häuschen), zwei Pirschhäusern auf dem Gebirgsrücken mit Gastwirthschaft, die jetzt verschwunden sind und nur der Stelle, wo sie gestanden, ihre Namen hinterlassen haben, den Frühstücksbranntwein, dann weiter auf der rauhen Höhe des Gebirgsjochs über die Schwarzgraben-Halde hin, den „Kissel“ hinab, über den „Streifling“ hin, immer bergab dem Werrathale zu. War dieses durchschnitten, so ging’s den Langenberg hinauf, und der Pfad am Abhang desselben brachte die Vogelfänger in die schönen Buchen- und Eichenwälder in der Nähe des Dorfes Urnshausen. Da lagerten sie sich in einen Graben, verzehrten ihr „Käs und Brot“ und ihren Schnaps. Dabei horchten sie mit geübtem Ohre auf den Schlag der nahen Finken und stellten dann Gärnchen und Leimruthen und den „Dußpfeifer“ auf den besten Schläger aus, der den beliebten „urnshäuser Scharfen“ schlug. Der Leimruthenstock war schon zugerichtet, ein mäßiger Stab mit eingeschnittenen Kimmen, in welche der untere trockene Theil der Leimruthen eingeklemmt wurde. Daran wurden Mehlwürmchen als Lockspeise befestigt und der Dußpfeifer dicht daneben gestellt. Der Fink in den Bäumen, dem die Jagd galt, duldete in seinem Umkreise keinen andern Schläger. Sobald nun der Dußpfeifer zu schlagen begann, lustig und schmetternd, „Keil auf Keil“, wie der Kunstausdruck lautet, d. h. in einer Minute zwei bis drei Mal, gleichsam herausfordernd und verhöhnend, so erboste sich der „Sitzfink“, sträubte die Kuppe und flog nach der Stelle, wo der Dußpfeifer schlug, um ihn auszubeißen. In der Hitze gerieth er dann auf den Leimruthenstock oder ließ sich von den Würmchen anlocken und ward gefangen. Oder er ging in’s Gärnchen, das über ihm zusammenschlug, sobald er den Mehlwurm mit dem Schnabel faßte.

Es war auch nichts Seltenes, daß die rühler Vogelfänger auf ihren Waldfahrten mit den herrschaftlichen Jägern und Kreisern Händel bekamen, und sie gaben durch allerlei Unfertigkeiten, Neckereien, Sticheleien, Hänseleien, „Atzeleien“ und sonstigen Unfug meist die erste Veranlassung dazu. Auf solche Fälle bestens vorbereitet, befanden sich in ihren Händen außer den harten Blasröhren, frisch abgeschnittene tüchtige Knittel, in ihren Hosen- und Jackentaschen nicht nur Sand, Hammerschlag und Essenstaub, sondern auch der scharfe Schnitzer, in ihren Leimscheiden überflüssiger Vogelleim. Kam’s zur Prügelei – und es kam oft dazu, denn sie reizten und ärgerten die Leute, bis auch die Sanftmüthigsten wild und zornig wurden – so keilten sie mit den Fäusten, Blasrohren und Knitteln auf die Gegner los, rangen sie mit studirten Griffen und Kraftwendungen nieder, warfen ihnen den staubigen Inhalt ihrer Taschen in die Augen, klebten sie ihnen mit Vogelleim zu und salbten ihnen Haare und Kleider damit, so daß sie Alles, was sich ihnen feindlich entgegenstellte, in die Flucht schlugen und aus jedem Kampfe siegreich hervorgingen, da sie im äußersten Falle sogar von dem gefährlichen Schnitzer als Waffe Gebrauch machten. Wieherndes Hohngelächter und der brüllende Gesang grober Spottlieber verfolgten dann wohl mit einem Steinhagel den nicht selten blutig geschlagenen flüchtigen Feind. Die Sieger aber gingen mit ihrem Fang fröhlich von dannen.

Außer den wuchtigen Schlägen, welche ihre unnahbaren Fäuste versetzten, verfehlte der geschickte Steinwurf ihrer Hand fast nie das Ziel. Sie trafen mit dem Steine den Vogel im Fluge und in der Spitze der höchsten Bäume; der Wurf holte die Taube vom Dache herab. Ein ihm nachgeschleuderter Stein machte denn auch in der Regel ein Loch in den Kopf des fliehenden Mannes. Wer einmal mit ihnen auf so empfindliche Weise zusammengerathen war, mied sie entweder ganz, oder suchte sich auf guten Fuß mit ihnen zu setzen. Es half auch nichts, wenn man sie mit Uebermacht angriff; denn in diesem Falle liefen die baarbeinigen Gesellen schneller als das Reh und stoben nach allen Seiten; und wer so weit gegangen wäre, ihnen eine Kugel aus dem Feuerrohre nachzuschicken, dessen Leben wäre sicher ihrer unbändigen Rachsucht verfallen gewesen. Denn wie überhaupt trotz aller Mühe erst ihrer katholischen und dann ihrer protestantischen Seelsorger ein mächtiges Stück Heidenthum in diesen Bergkindern hängen geblieben war, so hielten sie in’s Besondere eine gewisse Blutrache nicht nur für erlaubt, sondern sogar für Pflicht. – Die Jäger aber, die sie ruhig in den Wäldern gewähren ließen, oder sich wohl gar mit ihnen befreundeten, fanden bald ein kurzweiliges Ergötzen an den drolligen, wunderlichen Käuzen, und wenn sie mit ihnen fraternisiern, so gewannen sie gute lustige Freunde an ihnen, die durch Possen und Schwänke, launige Erzählungen und Aufschneidereien den Nachmittag im Walde und den Abend im Wirthshause wegscherzten, daß kein Mensch wußte, wie die Zeit verstrichen war. Mancher Jäger und Waldläufer sah ihnen also lieber hinter einem Baume oder einem Busche versteckt, zu, wie sich die schnurrigen Menschen im Walde einrichteten, wie sie rannten, um einen von der Leimruthe abgerissenen Vogel einzufangen, wie sie die hohen, glattschaftigen Bäume gleich wilden Katzen erkletterten, um ein Finken-, Drossel-, Amsel-, Rothkehlchen- oder Plattenmönchsnest auszunehmen, wie sie mit dem Stein, der Blasrohrkugel oder dem kurzen Knittel den Vogel trafen und dazwischen ihre läppischen Streiche trieben. Oder er setzte sich zu ihnen, ließ sich wohl dies und das gefallen und gab ihnen wieder Waare daran. Hatten sich die Rühler und die Jäger und Kreiser einmal befreundet, so wurden die erstern ganz gemüthliche Spaßvögel, schenkten neue Taschenmesser und aßen und tranken mit ihnen, bei welcher Gelegenheit sie mit ihren klassischen Zähnen die Schinken und Würste der Förster und reichen Bauern auf bewundernswürdige Weise vertilgten, und eine wahre Sündfluth von Bier austranken. So geschah es denn wohl, daß aus den erst bösen Feinden die besten Freunde wurden, bei welchen man Messer für die eigene Haushaltung und für die der Verwandten und Bekannten bestellte, was wieder manchen Geschäftsgang der Rühler in diese Gegend veranlaßte, und aus dem Vogelfänger wurde ein Handelsmann, er wußte kaum wie, der mit seinem Kalbfellranzen voll Messer auszog und mit schönem Gelde heimkehrte. Wohin solch ein schnurriger Messerhändler kam, da wurde er gern gesehen und noch lieber gehört, und in Familien und Wirthshäusern versammelte sich schnell ein großer Zuhörerkreis, um seine possirlichen Geschichten und Schwanke zu belachen.

Auf der „Tränk- und Feldlock“ ging’s der Jahreszeit wegen noch munterer und lustiger zu; denn sie fiel Ende August, wenn die Ernte der Feldfrüchte vorüber war. Da wurden die Leimruthen an kleinen Quellgerinnen („Vogeltränken“) oder auf dem Felde aufgestellt. Die „Feldbäumchen“ mit den in die Kimmen eingeklemmten Rüthchen wurden schon zu Hause eingerichtet und konnten auf jeden beliebigen Platz aufgestellt werden. Man besteckte aber auch im Felde oder in Zäunen stehende Bäume mit Leimruthen. Die Vogelfänger lagen faullenzend und Possen treibend in einem schattigen Hinterhalt und ließen ihren Dußpfeifer die Finken herbeilocken, oder sie suchten in Feld und Wald heilsame Kräuter, mit deren Eigenschaften sie wohl bekannt waren, oder sie schossen mit den Blasröhren wilde Tauben und andere Waldvögel, aus welchen sie sich schmackhafte Mahlzeiten bereiteten. Auch war es nichts Ungewöhnliches, daß sie bei solchen Gelegenheiten einen Hasen in aufgestellter Schlinge fingen, dem sie mit dem Schnitzer den Genickfang gaben, oder in den klaren Waldbächen Forellen mit der bloßen Hand fingen, worin sie eine bewundernswürdige Geschicklichkeit besaßen. Ja, es kam wohl auch vor, daß der Eine und der Andere mit dem Dußpfeifer und dem Blasrohre in frühester Morgenstunde eine gute Jagdflinte in das Feld und den Wald trug, und während der Lockvogel die Finken herbeirief, einen Rehbock auf das Fell brannte.

Die hohen schön gesonnten Berge mit den prächtigen Laubholzwäldern, die lieblichen Thäler und Gründe mit den springenden Quellen und dem grünen Rasenteppich waren allerdings der Lieblingsaufenthalt dieser kernigen Naturmenschen, aber die hohen Reize ihres Gebirges kamen ihnen dabei keineswegs zum Bewußtsein; sie schwelgten nicht in poetischen Gefühlen, welche die sie umgebende Natur in ihnen wachrief. Vielmehr waren sie ursprünglich

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