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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

sonderlich eingenommen war, nachdem ich wußte, daß sie von einem solchen Gatten getrennt leben könne.

Das Treiben der Badesaison verwischte auf einige Zeit die Erinnerung an Bulwer’s Erscheinen. – Soll ich dieses Saisontreiben näher berühren? Ich denke, es ist nicht ganz überflüssig, insofern das Publikum die deutschen Bäder meist nur aus bezahlten Zeitungs-Annoncen kennt, welche Alles im rosigten Lichte schildern, ihren Kurort als ein Arkadien oder einen Tempel, die Menschen darin als Halbgötter oder Engel erscheinen lassen. – Das Leben in den Bädern, ich meine hier solche, wo der grüne Tisch die Axe ist, um die sich die Saison dreht, bleibt sich immer gleich – mag die Scene in Baden-Baden, Pyrmont, Homburg oder Wiesbaden spielen. Steigen wir einmal in Baden-Baden ab. – Vor den Spielstunden tödtliche Langeweile. Der Kurplatz ist leer – der Spielpächter geht, die Hände in den Taschen, mit verdrießlichem Gesicht vor dem Saal auf und ab, ein Dandy liegt auf drei Stühlen, sonnt sich und wirft sechs Cigarren in den Staub, ehe ihm die siebente ansteht. Selbst die Natur scheint sich zu ennuyiren, die Sonne zieht Wasser und macht ein schläfriges Gesicht – kurz – wehe dem Fremden, der in einer solchen Spielpause den Kur- oder vielmehr Spielort betritt! Endlich schlägt die erwartete Stunde. Der Dandy auf seinen drei Stühlen erhebt sich, seine schlaffen Züge beleben sich auf einen Augenblick, er zieht die Weste mit einer gewissen Begeisterung glatt, setzt das Lorgnon ein und stiert über die Anlage auf das Portal des nächstliegenden großen Hotels. Auch in den Schau- und Spielwaarenbuden wird’s wieder lebendig, und durch ihre Reihen bewegt sich nach und nach die schöne und die häßliche Welt nach dem Kursaal. Nur wenig Kranke sieht man. Dort erscheint immer einer jener reichen Unglücklichen, bei 17 Grad Reaumur in einen Pelz gehüllt, einen grünen Augenschirm vor dem Gesicht, bis zum Kinn bedeckt und von zwei Dienern geführt, so schleicht die Jammergestalt zur nächsten Bank und setzt sich unter schweren Seufzern nieder. Auch die Rollwagen kommen nach und nach an, darauf mumienartige alte Damen mit großen Roccoco-Fächern, hier ein französischer Exgeneral, vielleicht der berühmte tollkühne Lamoricière, da der greise Maler Horace Vernet am Arme seiner Schwiegertochter. Das sind die wirklichen Kranken. Jetzt kommen die eingebildeten oder spielwuthigen. Ihr Entrée verkündet das Rauschen schwerer Stoffkleider, vornehmes Lächeln, Sprachen in allerhand fremden Zungen.

Unser Dandy mit den drei Stühlen hat indessen seinen Gegenstand erblickt. Im Kavalierschlenderschritt bewegt er sich einer Dame zu, der ein Lohndiener folgt. Mit einem kaum bemerkbaren Hutlüften, die Dame mit einem leichten Neigen des Sonnenschirmes, stehen sie sich einander gegenüber. Der Dandy nimmt dem Lakai den Shawl und eine schwere Cassette ab, reicht der Dame den Arm, und sie steuern dem Spielsaal zu. Beide affektiren hierbei ein langsames Tempo; je näher sie aber der großen Flügelthüre kommen, desto mehr beschleunigen sie unwillkürlich ihre Schritte. Noch ehe sie in den Saal eintreten, empfängt sie der Spielpächter, ein Mann von Welt und einem militärischen Extérieur. Es entspinnt sich zwischen ihm und der Dame folgendes flüchtige französische Zwiegespräch, welches im gemeinen Deutsch ungefähr so klingt:

Sie: „O, wie haben Sie mich gestern wieder behandelt – ist das galant?“

Er: „Madame, verdiene ich diese Vorwürfe – habe ich Ihnen nicht schon seit vier Jahren gerathen, nie ein und dieselbe Karte zu poussiren – Monsieur werden mir das bezeugen.“

Monsieur lächelt statt dessen einfältig.

Sie: (und hierbei schlägt sie den Pächter leicht mit dem Parasol) „Ach, Sie sind ein unverbesserlicher Bösewicht – aber geben Sie Acht, ich werde mich rächen – ich werde Sie sprengen – nicht so, Sir Edward?“

Sie gehen – und der Pächter wirft ihnen einen unzweifelhaft verächtlichen Blick nach.

Es ist in einem Spielsalon eine alte ehrwürdige Sitte, daß man gewöhnlich an diesem oder jenem Fenster ein paar junge Damen sieht, die aufmerksam in einem goldberänderten Buche lesen. Zwei in einem Buche – dies sieht kindlicher, reiner aus als in zweien; dabei tragen sie lange, englische Locken, die nachlässig über das süße Gesicht herabfallen – vollendete Unschuld. Nicht selten steht dahinter eine höchst sittsam gekleidete Matrone, welche die Leserinnen zu überwachen scheint. Diese Damen figuriren meist als Verwandte des genannten Pächters und sind immer – Nichten. Derartige Fensterausstellungen sind für den Neuling berechnet, der in einem solchen Bilde der Harmlosigkeit etwas Vertrauenerweckendes findet und viel beherzter in den Rachen der Spielhöhle läuft, als wenn eine solche Fensterausstellung fehlte. Wir treten in den Spielsaal. Sammet, Seide, schwere Vergoldungen an den Plafonds und Wänden, vergoldete Armleuchter und Lustres imponiren hier dem Auge des Beschauers mit bestem Erfolg. Der Eindruck ist ein ernster, ja feierlicher – und diese Feierlichkeit wird weder durch lautes Sprechen noch durch Lachen unterbrochen – bald hört man das eintönige Geräusch des klingenden Metalls, bald die noch einförmigerern Ausrufe der Nummer der fallenden Kugel auf dem Roulette, oder den überzogenen Karton beim Trente et Quarante. Wir gehen am Roulette vorüber. Hier versammelt sich weniger die Geutre, höchstens sogenannte Zugvögel, Pariser Banquiersfrauen, holländische Blumenzwiebel-Händler, engagementslose Schauspieler, ruinirte Krautjunker und dergleichen. Das Trente et Quarante hingegen ist das auserwählte Spiel der Welt des besten Tons, auch gehört zum Verständniß dieses Spiels eine gewisse Berechnung (wenigstens glaubt man so), während am Roulette jeder Dummkopf sein Glück versuchen kann. Zudem coursirt hier meist nur das miserable Silber, während man dort nur mit Gold und hohen Banknoten manövrirt.

Das schöne Geschlecht ist beim Trente et QUuarante allerdings weniger vertreten, höchstens da oder dort ein paar uralte Damen in Rollstühlen, die bei jedem starken Verluste ein frisches Glas Wasser verlangen und nicht selten an der Bank von Krämpfen befallen werden. Dann rollt man sie ohne Umstände in ein Nebenzimmer, wo sich die betreffenden Erholungsmedicamente vorfinden, und nach einer halben Stunde rollen sie wieder herein an ihren Platz, den sie mit einem Handschuh belegten, und spielen mit todtbleichem Antlitz und zitternder Hand weiter. Nicht so jener junge, in die Höhe geschossene Engländer mit den Manieren und Gesten eines undressirten Jagdhundes. Er ist stark erhitzt, die Cravattenschleife sitzt ihm hinten – er sucht bereits in allen Taschen vergebens – nicht eine einzige Banknote mehr. Er flüstert in schlechtem Französisch einem der Croupiers Etwas zu; dieser wendet sich nach dem Spielpächter – der Spielpächter nickt verdrießlich – der junge Engländer muß enorm reich sein – denn er hat Kredit an der Bank. Nach einer halben Stunde steht er wüthend auf, reißt in der Zerstreuung dem nächstsitzenden Croupier die Schippe aus der Hand, nimmt einen fremden Hut mit und stürzt hinaus. Draußen sieht man ihn eine Stunde lang mit Meilenschritten auf- und abgehen und dann ein Glas Cognac mit Wasser trinken.

Diese Scene berührt indessen die übrigen Spielenden nicht im Mindesten, im Gegentheil, es ist ein Stuhl leer geworden, und ein Stuhl ist viel werth am grünen Tisch. Augenblicklich nimmt ihn auch ein sehr dicker Herr ein, der seit mehreren Stunden keine Karte setzte, sondern mit tiefernstem Blicke sein Pointirtäfelchen durchstach. Er kennt nun den Verlauf des heutigen Spiels, es kann ihm nicht fehlen. Rouge ist vorzüglich – noir sehr veränderlich – – der Bube außerordentlich constant – Madame perfide über die Maßen. – Es kann dem dicken Herrn, wie gesagt, nicht fehlen. Er setzt – richtig – Valet gagne – er doublirt – der Bube gewinnt abermals – schon wirft der dicke Herr einen triumphirenden Blick durch seine goldene Brille im Kreise umher – und siehe da – Madame gagne und – der schlechte Kerl von Bube verliert. Kaum nach einer Viertelstunde verläßt der Kartenstecher seinen Stuhl, den abermals ein Dritter mit Heißhunger einnimmt.

Plötzlich entsteht im Roulettesaal ein ungewöhnliches Geräusch, es wird gezischt, Ruhe geboten, und ein Polizei-Commissar begleitet ein Subjekt ziemlich eindringlich zur Thüre hinaus. Was ist geschehen? Ach, einer jener armen Teufel von Industrierittern hat behauptet, die zwei Gulden auf „rothem Feld“ gehörten ihm, und hat sie ohne Weiteres eingestrichen, um sich damit zu entfernen. Um den Skandal zu vermeiden, hat man ihm das Geld gelassen, jedoch seine augenblickliche Entfernung in’s Werk gesetzt, da man genau wußte, daß er gar nicht pointirt hatte. Dergleichen Zerstreutheiten kommen oft am Roulette, namentlich Sonntags vor, wenn die gemischten Raçen aus den naheliegenden Städten und Städtchen herüberkommen, um auch einmal ihr Glück zu versuchen. Diese Leute mit ihren paar Gulden verfallen stets der Bank, und sind, da es viel Sonntage im Jahre giebt, und an diesen oft Hunderte

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