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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Herr Bertram, warb um ihre Hand, und ihrem Vater war er ein erwünschter Eidam. Sie aber zitterte vor diesem Gedanken. Bisher gewohnt, ihrem Vater in allen Stücken blindlings, wie einst in ihrer Kindheit, zu gehorchen, hatte sie jetzt plötzlich gefühlt, daß sie auch einen Willen habe und daß es, wenn sonst in keinem andern Punkte, doch in diesem Pflicht sei, dem eigenen Gefühl zu folgen, und in dieser Stimme mehr die Stimme Gottes zu erkennen, als in der krämerhaften Berechnung eines väterlichen Wunsches. Bertram war ihr verhaßt. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, daß er nur für den Mammon Sinn habe, daß sein ganzes Bestreben dahin ging, Schätze auf Schätze zu häufen, seine Speicher und Geldkisten zu füllen, um als der reichste Mann in Lübeck zu gelten. Er hatte deshalb auch eine große Stimme im Rath und im Bund der Hansa, bei vorkommenden Gelegenheiten legte er sich selbst den Titel eines Vicebürgermeisters bei — und wo er konnte, suchte er immer Herrn Johann Wittenborg die Amtsgeschäfte zu erleichtern — um dereinst sein Nachfolger zu werden. Er war ein angehender Vierziger und schon einmal verheirathet gewesen, auch das erste Mal hatte er nur Geld gefreit, und als seine reiche Gattin sammt dem Kind im Kindbett starb, munkelte man davon, er habe den Tod des vor ihr verstorbenen Kindes einige Tage verschwiegen, um sich als Erben desselben das ganze Vermögen der Frau zu erhalten.

Jetzt hatte er nicht ohne Absicht seit zwei Jahren sich ein neues, schönes Wohnhans dem des Bürgermeisters gerade gegenüber erbaut, und wie seine Magazine allmälig sich vergrößert hatten, dahinein seine Wohnung und sein Comptoir verlegt. Aber er ahnete nicht, wozu er dadurch Veranlassung gab.

Unter seinen Comptoiristen, die gerade in diesem Lokal beschäftigt waren, befand sich ein schöner, blondlockiger junger Mann, Erich Wieringer, der, als er nur eben nach Lübeck und zu Herrn Bertram gekommen, bei einem Mummenscherz Katharina Wittenborg getroffen, und an jenem Tage nicht von ihrer Seite gekommen war. Er hatte nicht gewußt, daß sie des herrischen Bürgermeisters Tochter und die fürnehmste Maid in Lübeck war — und auch sie kannte weder seinen Stand noch Namen. Aber sie hatten einander tief in die Augen geschaut und manches traute Wort gewechselt, und von jenem Tage an war das Schicksal Beider entschieden. Sie wußte nicht, wer er war — aber sie betete täglich zu Gott, daß er ihn ihr möge wieder zuführen, das holde Glück seiner Nähe ihr genießen lassen — denn nur an jenem Tage hatte sie gelebt und dabei gefühlt, daß sie auch ein Herz in der Brust habe. Er hatte nach ihr geforscht, und mit Schrecken erfahren: die schöne Maid sei die einzige Tochter des Bürgermeisters. Er hatte sie suchen wollen — doch nun floh er sie.

Ein Sohn armer Eltern, hatte er es nur seinen ausgezeichneten geistigen Fähigkeiten, seiner Unerschrockenheit und Körperstärke zu danken, daß er überhaupt in einem Comptoir der Hansa Aufnahme gefunden, und jetzt schon einen der höhern Grade begleitete. Aber er sah voraus, daß wenn nicht eine Gunst des Zufalls ihm hold war, konnte er sich nie über die Stellung eines Comptoiristen erheben. Als solcher konnte er niemals selbstständig werden, und das allein schon war Grund genug, jede Maid zu fliehen, die einen tiefern Eindruck auf sein Herz machte. Aber das Schicksal wollte es anders. Er war von einer kühnen Seeunternehmung und einem längern Aufenthalt in dem Comptoir zu Bergen wieder zurückgekehrt, und als einer der Umsichtigsten, der eben so viel Kühnheit als Klugheit bewiesen, fand er zunächst bei Herrn Bertram Beschäftigung. Wie ward ihm, als er nach Jahresfrist die holde Katharina dem Fenster, an dem er arbeitete, gegenüber am Fenster ihres eigenen Gemaches stehen sah; wie er sah, daß sie erbebte, erröthete, erbleichte und das Fenster öffnete, daß die ganze herrliche Gestalt sich ihm zeigte! Geblendet fast und entzückt, wagte er einen innigen Gruß und — fand die holdeste Erwiederung. Und so ein tägliches Sehen, und immer neue, zwar immer verstohlene, aber — auch immer kühnere Zeichen eines wachsenden süßen Verständnisses — wie hätte er da vermocht zu widerstehen und noch länger sich selbst zu beherrschen? Er sah bald, daß Herr Bertram zu Katharina’s Freiern gehörte und daß der Bürgermeister ihn begünstigte. Aber eben so bald hatte er auch Gelegenheit, Bertram’s niedrige Denkweise und seinen selbstsüchtigen Charakter zu durchschauen, um zu wissen, daß er, wenn schon von Katharina´s Schönheit sinnlich erregt, doch zunächst aus den eigennützigsten Motiven um sie warb, daß er diesen Demant nicht zu schätzen wußte und daß er, indem er sich den Anschein gab, ihr alle seine Huldigungen zu widmen, im Stillen es nicht verschmähte, sich mit gemeinen Dirnen zu Vergnügen. War es nun Erich’s Sehnsucht, die nur einen Vorwand suchte, sich Katharina zu nähern, war es die Aufrichtigkeit eines edlen Charakters, die reinste Jungfrau vor einem berechnenden Egoisten, einen gemeinen Wüstling zu warnen: als er sie eines Abends allein im Garten gewahrte, kletterte er im Dunkeln zu ihr über die Gartenmauer — und da er vor der Erschrockenen stand — wußte er nicht, was er ihr zu sagen gekommen. Er sank zu ihren Füßen und alle Worte, die er sprach, wurden zu einem Hymnus der Liebe. Sie hob ihn zärtlich auf, und Herz an Herz gestanden sie einander Alles, was da drinnen klopfte und glühte. Es ward ein Liebesbund vom reinsten Adel, die unentweihte Seligkeit der keuschesten Empfindungen! Was kümmerte es sie, daß er in den Augen des bürgerlichen Herkommens ihrer nicht ebenbürtig war, daß seine Stellung ihm verbot, um sie zu werben? Wußte sie doch, daß er sie liebte, daß kein anderes Bild in seinem Herzen wohnte. Und auch er vergaß sein düsteres Verhängniß vor dem Triumph, daß sie die Hand, die er nicht begehren durfte, auch keinem Andern reichen würde! Wie leicht schien ihm nun die Entsagung, da er ihres Herzens gewiß war! So sahen sie einander noch öfter — aber immer mit der äußersten Vorsicht, um ihr süßes Geheimniß zu wahren. Jetzt aber stickte sie ihm heimlich ein kunstreiches Wamms in ihrer Lieblingsfarbe und verbarg darum die Arbeit vor den Augen des Vaters.

II.

Als der Bürgermeister in das Haus des Herrn Bertram eintrat, fand er diesen in seinem Comptoir und Erich stand vor ihm, seine Befehle zu empfangen. Mit geziertem Wesen und einer Unterwürfigkeit, die doch ziemlich hochmüthig aussah, hieß der Kaufherr den „Vater der Stadt“ willkommen. Dieser setzte sich auf den dargebotenen Sessel, wischte sich den Schweiß von der erhitzten, rothglühenden Stirn und sagte:

„Wißt Ihr die wichtige Neuigkeit noch nicht — habt Ihr noch keine Botschaft aus Wisby?“

„Vor einigen Tagen,“ antwortete Bertram, „als ein Schiff aus Gothland heimkehrte —“

Aber der Bürgermeister unterbrach ihn: „Ach was, vor einigen Tagen — wir haben eben erst auf dem Rathhaus die blutige Zeitung erhalten: König Waldemar hat Wisby überfallen, und nach einem blutigen Kampfe erobert. Ueber 1800 Bürger sind geblieben. All’ unser Eigenthum, alle Güter der Hansa, die gerade jetzt reicher als jemals dort aufgestapelt lagen, sind in die Hände der Dänen gefallen. Die Stadtmauern sind geschleift worden und all’ unsre deutschen Brüder dort, die nicht im blutigen Kampf das Leben verloren, sind von den Dänenhunden in die schmählichste Gefangenschaft geschleppt worden!“

Bertram rief erbleichend: „Wisby geschleift! -— Ich allein hatte für viele tausend Mark Güter dort lagern — und das Alles verloren!“

Seine Würde ganz vergessend, rannte er wie ein Verzweifelnder auf und nieder — er dachte nur an das, was er verloren, obgleich es im Verhältniß zu seinem Reichthum wenig genug war.

Erich aber erbleichte auch, weil er an die Schmach des deutschen Namens dachte, der recht gut vorzubeugen gewesen wäre, wenn das deutsche Reich und seine Fürsten und die mächtig gewordene Hansa nicht so lange, wenn nicht gleichmüthig, doch geduldig den frechen Uebergriffen des Dänenkönigs zugesehen hätten.

„Nun wahrlich!“ rief er „so weit mußt’ es kommen — endlich wird nun doch die Hansa genug Demüthigung und Schmach erfahren haben, um sich wider den Nachbar zu rühren!“

Der Bürgermeister warf einen drohenden Blick auf ihn — aber er fühlte sich und seine einflußreichen Genossen durch diese Worte zu sehr getroffen, als daß er sie hätte anders zurückweisen mögen, denn mit der erfahrenen Besonnenheit des weisen Alters:

„Dankt’s Eurer Jugend,“ sagte er herablassend, „wenn solches Aufbrausen Vergebung findet, — daß nicht voreilige Knaben, sondern bedächtige Väter im Rathe sitzen, ist eine wohlerprobte gute Einrichtung — was mit Bedacht beschlossen, mag dann mit Kühnheit ausgeführt werden, — Lübeck wird rüsten — wir werden

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