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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

lange verborgen bleiben konnte, für nichts weiter, als für sogen. Naturspiele, und dachte, die Natur habe sich darin gefallen, in dem Schooß der Erde und der Felsen gewissermaßen Zerrbilder der lebenden Wesen niederzulegen. So lange dieser Glaube herrschte, konnte natürlich von einer wissenschaftlichen Erkenntniß der Erdentwicklung nicht die Rede sein.

Selbst jetzt noch kommt es dem Laien, der diese merkwürdigen und zahllosen Reste und Zeugen untergegangener Welten nicht aus eigener Anschauung kennen gelernt hat, wunderbar, ja mitunter unbegreiflich vor, wie man so weitgreifende Schlüsse in Bezug auf die Geschichte der Erde aus ihnen hat ziehen können. Gewiß aber schwinden diese Zweifel Demjenigen, der auch nur einmal Gelegenheit hatte, sich mit eigenen Augen von dem massenhaften Dasein jener untrüglichen Dokumente der Erdgeschichte zu überzeugen. Mit der Erkenntniß der Versteinerungen als solcher hat die Naturforschung einen ihrer riesenhaftesten Fortschritte gemacht, einen Fortschritt, dem nur die allerbedeutendsten Phasen der wissenschaftlichen Entwicklung des Menschengeschlechtes an die Seite gesetzt werden können. Die Versteinerungen sind für den Naturforscher das Nämliche, was Münzen, Geräthe, Statuen u. dergl. für den Geschichts- und Alterthumsforscher sind, und beide ziehen aus diesen Resten die gleichen, für jedes ihrer Wissensgebiete untrüglichen Schlüsse. Daher hat man auch mit vollem Rechte die Versteinerungen die Denkmünzen der Erde genannt. Derjenige muß kein Herz für Großes haben, der diese ehrwürdigen, uralten Zeugen verlorener Welten ohne innere Bewegung oder doch ohne ein Gefühl des lebhaftesten Interesses anzusehen im Stande ist!

Die Geschichte der Erde, obgleich unmessbare Zeiträume umfassend, ist doch in ihren Hauptzügen eine einfache und nicht schwer zu enträthselnde, sobald die Grundbedingungen bekannt sind, durch welche sie erzeugt und geleitet wird. Diese Grundbedingungen ruhen in zwei gewaltigen Naturkräften, deren Aeußerungen wir tagtäglich unter unsern Augen im Kleinen zu beobachten Gelegenheit haben —— den Kräften des Feuers und des Wassers. Seitdem die Erde als Einzelwesen besteht, kämpfen diese beiden furchtbaren Gewalten um ihren Besitz und ihre Herrschaft, und ihre ganze Geschichte ist nichts weiter, als die Erzählung der einzelnen Ereignisse dieses unaufhörlichen Streites: In diesem Kampfe ist das Wasser das immerwährend zerstörende und niederlegende, das Feuer das immerwährend schaffende und aufbauende Prinzip. Besäße das Wasser die alleinige Herrschaft der Erde, es würde zuverlässig nach und nach alle Unebenheiten der Erdoberfläche vernichten und ausgleichen und dieselbe überall in ein ungeheures, zehntausend Fuß tiefes Meer verwandeln.

Keine noch so hohen Berge oder noch so festen Felsen würden im Stande sein, seiner vernichtenden, innerhalb ungeheurer Zeiträume wirkenden Gewalt einen dauernden Widerstand entgegenzusetzen. Aber was das Wasser zerstört und zu Boden legt, richtet das Feuer mit leichter Mühe und um so höher und mächtiger wieder auf. Immerwährend quellen aus dem flüssigen glühenden Erdinnern Berge, Inseln und Länder auf, welche das Wasser in seine bestimmten Grenzen zurückweisen. Dieser glühende Erdboden oder das s. g. Centralfeuer verdankt seine Entstehung der allerfrühesten Bildungsperiode der Erde. Wie alle Weltkörper verdichtete sich dieselbe zu ihrer jetzigen Gestalt und Größe aus einer ungeheuren Nebel- und Dunstmasse und erzeugte bei dieser Verdichtung einen solchen Grad von Wärme, welcher alle ihre Bestandtheile in eine feuerflüssige Masse zu verwandeln im Stande war. Heute noch kennen wir keinen Bestandtheil der Erdrinde, der nicht auch auf künstliche Weise und durch Menschenhände vermittelst hoher Hitzgrade in einen flüssigen Zustand gebracht werden könnte. Nachdem sich die oberste Decke jener Glutkugel durch Ausstrahlung in den kalten Weltraum erkältet hatte und so zu einer festen Rinde um den flüssigen Kern geworden war, schlug sich die umgebende Wasserdunstmasse theilweise als Wasser auf derselben nieder, und mit diesem Moment beginnt jener ewige Kampf zwischen den Mächten der Ober- und denen der Unterwelt um den Besitz der beide von einander trennenden Erdrinde. Indem sich die erste Erstarrungskruste in Folge eines allgemeinen Gesetzes, dem alle erkältenden Körper folgen, fortwährend über ihrem flüssigen Inhalt zusammenzieht, der außer Stande ist, diesem Drucke nachzugehen, kann es nicht anders sein, als daß zahlreiche Spalten, Risse, Zerklüftungen in derselben entstehen, durch welche jener Inhalt theils zu Tage tritt, theils die über ihm gelegenen Erd- und Gesteinsschichten zerreißt, verändert, empor- und durcheinanderwirft, überfluthet u. s. w. Währenddessen ist das Wasser unaufhörlich beschäftigt, alle jene durch die Bewegung des Erdinnern entstandenen Hervorragungen und Erhabenheiten sogleich wieder aufzulösen, abzuflachen und die aufgelösten Theile an tiefer gelegenen Stellen wieder zu Boden fallen zu lassen. Auf diese Weise entstehen die s.g. Erdschichten, deren wir eine große Anzahl über einanderliegender kennen und welche sich alle innerhalb ungeheurer Zeiträume aus dem Wasser abgesetzt haben. Ihre Ruhe wurde und wird fortwährend gestört durch die unaufhörliche Reaktion des Erdinnern gegen seine Oberfläche, welche wir soeben beschrieben haben; sie werden emporgehoben, durch- und übereinandergestürzt, bei Seite gedrängt u. s. w. Auf diese Weise entstehen Berge und Thäler, Seeen und Meere, Inseln und Continente. Was Jahrtausende unter den Wogen des Meeres begraben lag, wird morgen als majestätischer Bergrücken zu den Wolken emporgehoben, und ehemalige Länder und Berge versinken für immer in eine Tiefe, in welche kein sterbliches Auge dringt.

Diese Erhärtungskruste der Erde, an welcher fortwährend so mächtige Kräfte zerstören und aufbauen und welche dem menschlichen Geschlechte als alleiniger Aufenthaltsort angewiesen ist, ist natürlich im ewigen Lauf der Zeiten durch Abkühlung und andere Umstände immer dichter und mächtiger geworden — eine Mächtigkeit, welche indessen im Vergleich zu der Dicke der Erde selbst immer noch so gering ist, daß man dieses Verhältniß mit dem Größen-Verhältniß verglichen hat, welches die Schaale einer Citrone zu deren Innerem darbietet. Mit einem Gefühl von Schauder erkennen wir demnach, daß Alles, was lebt, auf dem dünnen Mantel eines ungeheuren, nie verlöschenden Feuerherdes wandelt, und daß die alte Redensart „Fest wie der Erde Grund“ vor dem Auge der Wissenschaft heute zu einer Illusion geworden ist. Die Vulkane, die Erdbeben und die heißen Quellen dienen uns heute noch als untrügliche Zeugen und Beweise für das Dasein des Centralfeuers, welches zwar noch kein Menschenauge gesehen, aber der Menschengeist mit vollkommner Sicherheit erschlossen hat. Mit Unrecht fühlen wir uns aus langjähriger Gewohnheit sicher und ohne Furcht auf dieser zerbrechlichen Erdschaale. Die Erdbeben, welche unzweifelhaft ihren Ursprung aus dem tiefen und beweglichen Erdinnern nahmen und sich nicht selten über ein Zehntel oder ein Dreizehntel der ganzen Erdoberfläche auf einmal erstrecken, können ganze Städte in einem Nu versinken machen oder durch das Meer hinwegspülen lassen. Nicht selten öffnen sich mit Einemmale während solcher Erdbeben die Weichen des ungeheuren Glutballs in großer Ausdehnung und lassen Spalten entstehen, welche Feuer, Asche und glühende Massen ausspeien — so auf Guadeloupe im Jahre 1843, wo auf einmal 6000 Menschen durch ein solches Ereigniß umkamen.

Viele, welche mit den Thatsachen und Resultaten der geologischen Wissenschaften nur theilweise oder oberflächlich vertraut sind, können sich nicht von der falschen Vorstellung los machen, das Werk der Erdgestaltung sei für alle Zeiten vollendet, und wir stünden heute an dem letzten Abschnitt jener gewaltigen Erdrevolutionen, deren Erzeugnisse jetzt nur noch wie Denkmäler des Vergangenen vor unsern Augen lägen. Diese Ansicht ist eine ganz irrige. Die Erdoberfläche befindet sich in einer ewigen und andauernden Wandlung und ist in jeder Minute eine andere. Das ganze Werk der Erdgestaltung, die ganze Geschichte der Erde sind nichts mehr und nichts weniger, als die Wirkung und das Resultat derselben Naturkräfte und derselben Naturereignisse, welche noch heute und immerwährend unter unsern Augen an der Erdoberfläche thätig sind. Dieses Resultat scheint uns auf den ersten Anblick nur darum außer Verhältniß zu seinen Ursachen zu stehen, weil wir nicht sogleich an die Unermeßlichkeit jener Zeiträume denken, welche die Erde bedurft hat, um nach und nach bis auf ihre heutige Entwicklungsstufe zu gelangen. Diese Zeiträume sind fast endlos zu nennen, und die geologischen Wissenschaften lassen nicht den geringsten Zweifel darüber, daß während derselben niemals andere Kräfte an dem Bau der Erdrinde gewirkt haben, als heute noch an demselben wirken. Nur darüber besteht ein noch andauernder wissenschaftlicher Streit, ob anzunehmen sei, daß jene endgestaltenden Kräfte in vorweltlicher Zeit im Verhältniß zu heute stärker wirkende gewesen seien, oder ob nach dem Vorgange des berühmten englischen Geologen Lyell nicht einmal eine solche Vorstellungsweise zu gestatten, sondern anzunehmen sei, daß jene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_121.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)