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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Was wünschen Sie, Madame?“ fragte der junge Mann, der seine Promenade unterbrochen hatte. „Sprechen Sie offen, und zweifeln Sie nicht an meiner Bereitwilligkeit, jeden Ihrer Wünsche zu erfüllen. Sie sind mir eine so liebenswürdige und freundliche Wirthin, daß ich trostlos wäre, wenn es nicht in meiner Macht stehen sollte – –“

„O, es ist nicht viel!“ sagte Madame Bühl, die vor Entzücken über dieses Kompliment hoch erröthete. „Ich erlaube mir, Sie an eine kleine Förmlichkeit zu erinnern, die Sie ohne Zweifel vergessen haben.“

„O mein Gott, ist die Rechnung von voriger Woche nicht bezahlt?“

„Nein, nein, das ist es nicht! Sie sind ja so pünktlich –“

„Soll ich Ihnen auf zwei, drei Wochen pränumeriren? Sprechen Sie es ohne Scheu aus, und ich zahle mit Vergnügen. Ich kenne die Förmlichkeiten dieses Bades nicht, das ich zum ersten Male besuche.“

„Verzeihung, es handelt sich um eine geringfügige Förmlichkeit.“

„Nun, was ist es?“

„Ich habe ein Schema auf Ihren Schreibtisch gelegt, das jeder Fremde ausfüllen muß. Ist dieses Schema mit Ihrem Namen und der Angabe Ihres Standes versehen, so sende ich es in das Polizeibureau, das es nur zur Anfertigung der Brunnenliste verwendet. Sie haben das Blättchen übersehen – wäre nicht mein Mann Polizeicommissar, der die Ordnung in dieser Beziehung zu überwachen hat, man würde mich längst in Strafe genommen haben. Opfern Sie mir eine Minute und füllen Sie die Spalten aus.“

Madame Bühl deutete auf ein Papier, das auf dem eleganten Schreibtische lag.

Dem jungen Kurgaste schien diese Forderung nicht gelegen zu kommen. Die Heiterkeit, die der Brief hervorgerufen, verschwand von seinem schönen Gesichte, und unmuthig warf er einen Blick nach dem Schreibtische.

„Es ist wahr, ich habe es vergessen!“ sagte er kalt. „Mir liegt Nichts daran, in der Brunnenliste zu prangen, und wenn es nicht unumgänglich nöthig ist – –“

„Wäre es nicht, ich hätte sicher die Erinnerung nicht auszusprechen gewagt. Sie haben vielleicht Gründe, incognito hier zu sein.“

„Ja, ich habe Gründe, Madame! Es wäre mir lieb, wenn ich noch einige Tage jenes Papier unberücksichtigt lassen könnte. Bis dahin entscheidet es sich, ob ich bleibe oder abreise. Sie werden übrigens keinen Schaden erleiden,“ fügte er lächelnd hinzu; „die Saison ist schlecht, und auf Zuwachs von Gästen läßt sich nicht hoffen – ob ich nun bleibe oder reise, ich habe dieses Zimmer für den Sommer gemiethet, und werde es bezahlen. Nehmen Sie diese Börse, Madame, sie enthält den Miethzins.“

Mit freundlicher Gewalt drückte er der verlegenen Frau eine volle Börse in die Hand, die er aus der Tasche gezogen hatte.

„Mein Herr,“ stammelte sie, „mich hat nicht Mißtrauen geleitet – ich wollte Sie nicht verletzen!“

„Davon bin ich überzeugt, Madame; aber halten auch Sie sich überzeugt, daß Sie keinen Abenteurer unter Ihrem Dache beherbergen.“

„O, dessen ist Gott mein Zeuge!“ antwortete rasch Madame Bühl, die durch die Maschen der Stahlbörse die Goldstücke hatte blinken gesehen.

„Gut, Madame, so unterstützen Sie mich bei der kleinen Intrigue, oder wenn Sie es lieber wollen, bei dem kleinen Herzensromane, in dem ich wider meinen Willen eine Rolle übernommen habe.“

„Das habe ich mir gedacht!“ rief lächelnd die kleine Frau, indem sie die Börse in die Tasche ihrer Schürze gleiten ließ. „Nun, so bleiben Sie denn noch für einige Zeit Herr Ludwig, ich werde in diesem Jahre so nachlässig sein, daß mein Kurgast nicht in der Brunnenliste steht.“

„Aber der Polizeicomissar?“

„Ist mein Mann, und ich bin die Besitzerin dieses Hauses. Ich werde Ihr Incognito zu ehren wissen.“

Madame[WS 1] Bühl wollte sich entfernen; aber Ludwig hielt sie durch die anscheinend gleichgültig hingeworfene Frage zurück: „Uebermorgen ist Ball bei dem Fürsten?“

„Ja, mein Herr, er ist der erste, der diesen Sommer im Schlosse stattfindet. Serenissimus giebt vier Bälle während der Kurzeit. Man sagt, unser Landesherr wolle dadurch den Flor des Bades aufrecht erhalten; aber ich bin der Meinung, und habe sie auch oft gegen meinen Mann ausgesprochen, daß er ein ganz verkehrtes Mittel dazu gewählt hat.“

„Warum, Madame?“ fragte Ludwig gespannt.

Die Frau des Polizeicommissars war in ihr bestes Fahrwasser gerathen und sie ließ auch lustig das leichte Schifflein ihrer Redseligkeit dahinschießen.

„O, die Sache ist sehr einfach, mein Herr,“ fuhr sie fort. „Glänzende Bälle sind in einem Bade allerdings nothwendig, denn sie dienen dazu, die Gäste mit einander bekannt zu machen. Serenissimus aber trennt sie, er theilt sie in gewisse Kasten. Der Kaufmann, und wenn er ein Millionär ist, wird nicht zu den Bällen im Schlosse geladen, wohingegen jeder lahme und kranke Edelmann, der kaum die nothwendigen Kosten seiner Kur bestreiten kann, sehr höflich durch einen Kammerlakai invitirt wird. Nichts als das Wörtchen „von“ kann dem Kurgaste die Thür des fürstlichen Ballsaales öffnen. Seit der unglücklichen Revolution vor zwei Jahren scheint der Adel sich fester zusammenzuziehen und den Bürgerstand demüthigen zu wollen, denn schon in der vorigen Saison ging man bei der Wahl der Gäste sehr difficil zu Werke. Aber wer hebt denn unser Bad? Wer bringt das mehrste Geld hierher? Der reiche Kaufmann aus Hamburg und Bremen, und Leute, die über Hunderttausende zu kommandiren haben, lassen sich von einem kleinen Fürsten nicht zurücksetzen, der den größten Theil seiner Revenüen aus diesem Bade zieht. Ich behaupte, daß sich der reiche Kaufmannsstand ein anderes Bad aussucht, wo man ihn nicht so augenscheinlich zurücksetzt. Sie sehen, daß meine Ansicht begründet ist.“

Ludwig hatte mit großer Spannung zugehört.

„Wer entscheidet über die Einladungen?“ fragte er.

„Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, lieber Herr, denn meine Schwester ist Kammermädchen bei der Hofmarschallin. Der Herr Hofmarschall nimmt die Brunnenliste zur Hand, zieht die Namen mit dem Wörtchen „von“ heraus, und besorgt die Einladungen. Das ist die ganze Procedur. Ob diese Herren nun dem Bade Nutzen bringen oder nicht, ist gleich. Doch ja,“ fügte Madame Bühl höhnisch lächelnd hinzu, „einen Nutzen hat es gebracht: wir haben dieses Jahr viel Adlige hier, und Alle kommen auf die Bälle im Schlosse. Nun, wir wollen sehen, ob Serenissimus auf diese Weise den Flor seines Bades erhalten wird.“

„Und es giebt kein anderes Mittel, um Zutritt zu diesen Bällen zu erhalten?“ fragte der junge Mann wie ängstlich.

„Kein anderes; die Brunnenliste ist der Empfehlungsbrief. Wer nicht von Geburt ist, wird ohne Gnade ausgeschlossen, und wenn er eine Million besitzt. Doch, dort kommt mein Mann schon zurück,“ sagte Madame Bühl, indem sie durch das offene Fenster sah. „Verzeihung, ich ziehe mich zurück, denn ich muß ihm das Frühstück bringen.“

Sie verneigte sich und schlüpfte durch die Thür.

Als Herr Ludwig allein war, begann er seine Promenade wieder, aber unruhiger als zuvor. Er durchmaß das Zimmer mit großen Schritten. Plötzlich blieb er stehen, zog den Brief aus der Tasche und las ihn noch einmal. Folgende Zeilen, von einer zierlichen Frauenhand geschrieben, standen auf dem duftenden Papiere:

     „Mein Freund!

„Zu meinem großen Bedauern ist es unmöglich, eine Gelegenheit zu der Unterredung zu finden, die Sie fordern, und die auch ich sehnlich wünsche. Mir scheint, mein Vater ist durch einen Neidischen aufmerksam gemacht und sucht unsere gegenseitige Annäherung zu verhindern. Einige Worte werden genügen, um Ihnen völlige Aufklärung zu geben; aber ich kann sie aus Gründen einem Briefe nicht anvertrauen. Wenden Sie die größte Vorsicht an, wie ich sie anwende. Uebermorgen ist Ball bei dem Fürsten, wir sind dazu geladen, und ich glaube annehmen zu dürfen, daß auch Sie eine Einladung erhalten haben. Fordern Sie mich zu dem ersten Walzer auf, und während des Tanzes werden wir uns verständigen können. Es giebt keine andere Gelegenheit dazu. Sie wissen, was von der Unterredung abhängt. Der erste Walzer gehört Ihnen. Henriette.“

Ludwig drückte das Papier an seine Lippen, dann steckte er es mit zitternder Hand in ein Portefeuille.

„Es giebt keine andere Gelegenheit!“ flüsterte er schmerzlich. „O, über diese Welt, die sich despotisch von Vorurtheilen beherrschen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Madama
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_002.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)